In den Debatten um die Besetzung der frei gewordenen Stelle des Bundestrainers wurde Überraschendes deutlich: Wir haben möglicherweise nicht genügend qualifizierte und geeignete Trainer im Land. Zumindest zu wenige, denen man den wichtigsten Trainerjob im bezahlten Fußball zutrauen mag.
Der Pool der infrage kommenden Personen war klein und niemand weiß, wer diesen Kreis festgelegt und ins Spiel gebracht hatte. Aber während der öffentlichen Debatte um die Flick-Nachfolge haben sich alle brav an diese Vorgaben gehalten und in Hinblick auf ihren Wunsch-Bundestrainer im Grunde immer nur über zwei Männer gesprochen: Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann.
Dabei war das "Namen-Bingo" um den künftigen Bundestrainer vollends offen angelegt, denn seitens des DFB gab es kein belastbares Anforderungsprofil für diesen wichtigen Job. Der vermeintliche Wunschtrainer Jürgen Klopp bleibt vorerst in Liverpool und die Handvoll weiterer Experten für diesen Job kam nie wirklich infrage.
Sie wurden allesamt sehr schnell aus dem öffentlich diskutierten Verzeichnis gestrichen. Niemand weiß, wer deren Namen auf die Liste gesetzt hatte und aus welchem Grund gerade die da draufstanden:
Louis van Gaal (72) hatte in den letzten Wochen mit einer Verschwörungstheorie zum Ausscheiden der Holländer bei der WM für Schlagzeilen gesorgt und behauptet, es sei vorab festgelegt worden, dass Lionel Messi mit den Argentiniern Weltmeister werden müsse.
Solche Geschichten sind mindestens ebenso unterhaltsam wie die Erkenntnisse zum Medizinball- und Hügellauftraining des Felix Magath (70), der seit seinem Titelgewinn mit dem VfL Wolfsburg vor 14 Jahren nie mehr vorn mitspielen konnte. Aber auch Matthias Sammer (55) galt einige Tage lang als heißer Kandidat für das höchste Traineramt, obwohl er nur über fünf Jahre Erfahrung als Trainer verfügte und die auch schon 20 (!) Jahre zurückliegen.
Deshalb wurde das, was der Boulevard seit Tagen wusste und alle anderen übernommen haben, am Freitag verkündet: Julian Nagelsmann (36) bekommt den prominenten Posten des Bundestrainers.
Für Stefan Effenberg und viele andere ist er zu jung und unerfahren, während er für Jürgen Klopp genau der Richtige ist. Und alle anderen wissen, dass allein die öffentliche Debatte festgelegt hat, wer Bundestrainer werden soll.
Es gab kein Anforderungsprofil, kein Scouting und auch kein Auswahlverfahren. Der DFB Präsident kann sich kein Risiko leisten und nimmt einfach den Mann, der beim "Medien-Bingo" um das wichtigste Traineramt im Land übriggeblieben ist: Julian Nagelsmann soll den Erfolg zurückbringen.
Ebenso wie bei der Besetzung der Stelle des Sportdirektors hat eine Kombination zwischen Zufall und Kumpanei zu einer Entscheidung geführt. Erschreckend, denn dieser Posten ist wegweisend für die Fußballentwicklung in Deutschland.
Dennoch wurde zunächst mit dem Ex-Profi Sami Khedira (36) und dann mit der Uefa-Direktorin Nadine Keßler (35) verhandelt, um sich dann für den Frührentner Andreas Rettig (60) zu entscheiden. Unterschiedlicher können Kompetenzprofile nicht ausfallen.
Solange mir niemand erklären kann, welche Schlüsselkompetenzen, Erfahrungen und Visionen diese drei grundverschiedenen Persönlichkeiten verbinden, verbleibt der Eindruck, dass bei der Vergabe der Führungsposten im Deutschen Fußball gewürfelt wird.
Nagelsmann ist ohne Frage OK. Das wären aber Hannes Wolf, Stefan Kuntz und viele andere Fußballlehrer in diesem Land auch gewesen. Dann hoffen wir mal, dass die Mannschaft auch wirklich zum Trainer passt und dass der neue Trainer die umfangreichen Erfahrungen aus den vielen Experimenten des alten Trainerstabes auch irgendwie nutzen und in Erfolg übersetzen kann.
Alles andere als der Kurs zum Titelgewinn bei der Europameisterschaft 2024 ergibt mit Julian Nagelsmann keinen Sinn. Immerhin ist das DFB-Team seit anderthalb Wochen der Bezwinger des Vize-Weltmeisters aus Frankreich und der neue Trainer sollte schleunigst damit beginnen, aus dem Schatten von Rudi Völler herauszutreten!