Wer hätte vor ein paar Wochen gedacht, dass Hertha BSC gegen Borussia Dortmund am Samstag (15.30 Uhr/Sky) das interessanteste Spiel dieses Bundesliga-Spieltags werden wird? Wir jedenfalls nicht. Am Wochenende nun richten sich alle Augen auf BVB-Trainer Lucien Favre und Herthas neuen Coach Jürgen Klinsmann.
Favre ist im Fokus, weil ein Sieg in Berlin womöglich seine letzte Chance ist, seinen Job auf der Dortmunder Trainerbank zu retten und die Pleiten gegen Bayern und Barca sowie das Remis gegen Paderborn wiedergutzumachen. Die Maßgabe ist klar: Verlieren verboten.
Klinsmann ist im Fokus, weil er einfach Jürgen Klinsmann ist. Zehn Jahre nach seinem glücklosen Engagement beim FC Bayern ist der ehemalige Nationalstürmer zurück auf der großen Bundesligabühne. Klinsi hat bei der kriselnden Hertha das Traineramt übernommen, nachdem er erst vor knapp drei Wochen in den Aufsichtsrat gewählt worden ist.
Der Ex-Bundestrainer soll Hertha, die ewige graue Maus der Liga, in höhere Sphären führen. Damit die Alte Dame endlich zum ersehnten "Big City Club" wird, wie es Hertha-Investor Lars Windhorst mal formulierte.
Unterschiedlicher könnten die Vorzeichen für die Partie Hertha gegen Dortmund, die im ausverkauften Olympiastadion steigt, nicht sein: In der Hauptstadt herrscht seit der Inthronisation Klinsis Aufbruchstimmung.
Und in Dortmund? Dort herrscht Katerstimmung. Es knirscht. Die Ergebnisse der vergangenen Wochen stimmen nicht, passen nicht zum Anspruch des BVB. Favre steht in der Kritik, die Fans sind schon lange skeptisch, was den 62-jährigen Schweizer betrifft.
Auf den Pressekonferenzen vor dem Aufeinandertreffen der beiden wurde das sehr deutlich. Klinsi trat um kurz nach 13 Uhr leicht verschwitzt vor die Journalisten. "Die ganze Zeit war sehr intensiv, mit wenig Schlaf. Deshalb bin ich noch aufs Laufband gegangen." Dafür wirkte er aber äußerst frisch, er strahlte, die neue Aufgabe sei spannend. Auch mit 55 Jahren verdient sich Klinsi immer noch das Prädikat Sunnyboy.
Ganz im Gegensatz zu seinem Trainerkollegen in Dortmund: 500 Kilometer weiter westlich und eine knapp halbe Stunde vorher wirkte Favre fahl und viel wortkarger, als er ohnehin schon ist: Er konzentriere sich auf das Wesentliche, es gehe nicht um seine Person, gegen Barcelona habe man nicht schlecht gespielt, "wir müssen positiv denken". Als der ebenfalls auf der Pressekonferenz anwesende BVB-Manager Michael Zorc erklärte, dass jeder im Klub wisse, worum es beim Spiel gegen Hertha gehe, ergänzte Favre nur: "Ja, genau."
Klinsmann schwäbelte in Berlin über Lockerheit, "Leidenschaft" und "Energie", über "Aggressivität, Lauf- und Aufopferungsbereitschaft". Es mache ihm ungeheuer Spaß: "Alles steht hinter dem Prozess, wieder nach oben zu kommen." Entscheidend sei, wie die Mannschaft sich präsentiere: "Wenn wir mit Willen und Einstellung dabei sind, ist mir nicht bange", sagte der frühere Welt- und Europameister.
Hertha kann, trotz Tabellenplatz 15, befreit ins Spiel gehen. Bange ist vor dem Spiel eher den Borussen, die viel zu verlieren haben.
Als Favre und Klinsmann zuletzt im Februar 2009 aufeinandertrafen, verlor übrigens Klinsi – 1:2, mit Bayern gegen Favres Hertha. Beide Trainer konnten sich auf ihren Pressekonferenzen übrigens nicht mehr an dieses Spiel erinnern.
Ob die Hertha am Samstag im Duell Favre vs. Klinsmann wieder gewinnen kann? "Das Ergebnis nehmen wir gerne so mit für morgen", sagte Klinsi und lacht. Favre würde aus seiner Sicht wahrscheinlich auch wieder gegen Klinsmann gewinnen wollen. Er muss es sogar. Sonst waren es wohl seine letzten 90 Minuten als BVB-Trainer.
(as)