Königsblau gegen Schwarz-Gelb, "Herne-West" gegen "Lüdenscheid-Nord", FC Schalke 04 gegen Borussia Dortmund. An diesem Samstag (15.30 Uhr) findet das Revierderby zum 177. Mal statt. Und es brennt wie immer.
Trainer Lucien Favre steht bei Borussia Dortmund vor dem Duell beim erstarkten Erzrivalen unter Druck. Beide Teams trennt nur ein Punkt, beide Mannschaften schielen auf die Tabellenspitze. Für Zuversicht bei den Schalkern dürfte die jüngste Derbybilanz sorgen: Von den letzten sieben Duellen ging nur eins gegen die Dortmunder verloren.
"Ich erwarte, dass man unserer Mannschaft ansieht, dass sie die Bedeutung dieses Spiels kennt", forderte BVB-Sportdirektor Michael Zorc am Freitag. "Für die Tabelle, für uns selbst, für unsere Fans. Wir wollen merken, dass die Truppe mit jeder Faser des Körpers gewinnen will."
Denn das Duell um die Nummer eins im Pott ist eines ganz sicher nicht: ein normales Fußballspiel. Alle, die das nicht glauben wollen, die sollten mit uns zurückblicken. (Spoiler: vor allem die Spiele in den vergangenen Jahren hatten viel Spektakel zu bieten.)
In der Saison 1969 treffen Dortmund und Schalke bereits am vierten Spieltag aufeinander. Es ist Herbst. Im Dortmunder Stadion "Rote Erde" gibt es keine Zäune. 40.000 Zuschauer drängen sich bis dicht an den Spielfeldrand. Die Fans werden zur Spielfeldbegrenzung.
Schalke geht in Führung. Der Schalker Anhang jubelt, stürmt den Platz. Die Dortmunder Ordnungshüter jagen mit Hunden hinterher.
Und dann das: Plötzlich liegt ein Schalker Spieler am Boden. Friedel Rausch kniet und schreit.
Der fünfjährige Schäferhundrüde Rex hat den Schalker Spieler am Gesäß erwischt.
Rausch bekommt eine Tetanusspritze, kneift die Hinterbacken zusammen und spielt weiter.
Dortmund gelingt noch der Ausgleich.
Rausch ist allerdings kein Einzelfall. Es erwischt auch einen zweiten Schalker: Rauschs Mannschaftskollege Gerd Neuser wird während des Platzsturmes in den linken Oberschenkel gebissen.
Die Gebissenen erhalten vom BVB-Präsidium später 500 Mark Schmerzensgeld – und einen Blumenstrauß.
Zum Rückspiel empfingen die Schalker den Erzrivalen dann mit einem Löwen.
Gebissen wurde niemand.
Das Spiel endet wieder 1:1.
Saison 97/98. Das Dortmunder Westfalenstadion zählt 55.000 Zuschauer. Es ist der letzte Spieltag vor der Winterpause.
Die reguläre Spielzeit ist vorbei. Dortmund führt 2:1.
Das Schalker "Kampfschwein" Marc Wilmots quält sich ein letztes Mal über den Flügel und flankt ins Nichts. Der Schiedsrichter gibt irrtümlicherweise Eckball für Schalke. Olaf Thon schießt die Ecke, Thomas Linke verlängert per Kopf.
Am zweiten Pfosten steht plötzlich
ein Mann bereit, der wohl irgendwie die Strafräume verwechselt hat. Schalke-Tormann Jens Lehmann schraubt sich in die Luft und trifft per Kopf zum Ausgleich.
Es ist das erste Feldtor eines Torhüters. Das 33.325 Bundesligator ist damit ein historisches.
Herbst 1966. Über das Dortmunder Stadion "Rote Erde" hat sich ein dichtes Nebelband gelegt.
Zuschauer freuen sich auf ein hitziges Derby und sehen doch - nichts. Und auch die Spieler haben so ihre Schwierigkeiten.
Schalkes Klaus Fichtel doziert:
Und der Dortmunder Lothar Emmerich, der in diesem Spiel angeblich drei Tore geschossen hat, weiß nach dem Spiel mit dieser messerscharfen Hypothese zu überzeugen:
Endergebnis: 6:2 für Dortmund, heißt es. Gesehen hat es kaum jemand.
12. Mai 2007. Schalke ist Fast-Meister. Bis zum Revierderby zumindest. Am vorletzten Spieltag treffen Dortmund und Schalke aufeinander.
Dortmunds Saison im Tabellen-Mittelfeld ist eigentlich schon gelaufen. Einziges Ziel: Dem Rivalen die Meisterschaft versauen. Und das klappt. Alex Frei und Ebi Smolarek treffen für Dortmund. Endergebnis: 2:0.
Jahre danach erinnert sich Marc-André Kruska bei watson: "Die hätten ja wirklich an dem Tag bei uns im Stadion Meister werden können. Sowas willst du nicht. Da ging es echt um alles. Das ist ein viel heftigeres Gefühl als bei einem normalen Derby. Es gibt nichts Geileres, als dem Lokalrivalen die Meisterschaft zu versauen."
Stuttgart wird Deutscher Meister. Und die BVB-Spieler Kehl, Weidenfeller und Metzelder posieren in einem originellen Trikot mit der Aufschrift: "Meister der Herzensbrecher – zweizunull". Brüller.
26. November 2017. Die Zeitungen titeln später "Jahrhundertderby".
Der kriselnde BVB geht überraschend in Führung. Noch bevor Aki Watzke "Thomas Tuchel" buchstabieren kann, steht es 4:0 für den BVB. Sogar Mario Götze trifft per Kopf. Die Welt für einen Dortmundfan könnte in diesem Moment schöner nicht sein. Doch dann passiert etwas Unerhörtes:
Der Schiedsrichter pfeift zur Halbzeit.
Darauf sind die Dortmunder offensichtlich nicht vorbereitet.
Oder um es mit den Worten des ehemaligen schottischen Nationalspielers Ian St. John zu sagen: "Ich wäre überrascht, wenn das Spiel bis zum Ende dauert."
Nach Wiederanpfiff starten die Schalker die Aufholjagd.
Plötzlich steht es 3:4. Die 90 Minuten sind um. Der Schiedsrichterassistent hebt die Tafel in die Luft. Darauf ist eine 7 zu sehen. In der vierten Minute der Nachspielzeit bekommt Schalke dann einen Eckball.
Jewhen Konopljanka schießt die vielleicht erste brauchbare Flanke seines Lebens. Der Mann ohne Vornamen (sie nannten ihn Naldo) köpft ein.
Der Schalker Anhang tobt. Naldos Glatze wird geküsst.
Das 4:4 wird für den BVB zur gefühlten Niederlage. Und der Anfang vom Ende für Dortmunds Trainer Peter Bosz.
Das 4:4 erinnert im Übrigen an ein anderes Derby mit umgekehrten Vorzeichen: 3:0 führt Schalke im September 2008 bis zur 67. Minute. Am Ende "gewinnt" Dortmund 3:3.
Das letzte Derby in der vergangenen Rückrunde war die kleine königsblaue Rache für den Diebstahl der Schalker Meisterschaft 2007.
Dortmund kämpft mit dem FC Bayern um den Titel. Die Schalker fürchten sich vor dem Abstiegsgespenst in Person des Relegationsplatzes. Mit nur einem Spiel kann der Revierrivale ins Verderben gestürzt werden.
Zunächst spielt der BVB vor heimischen Publikum groß auf, geht mit 1:0 in Führung. Doch die Königsblauen können mit zwei Standards gegen die dominanten Borussen das Spiel drehen. In der zweiten Hälfte wird es dann richtig wild.
Fünf irre Minuten lassen den Pott beben: Marco Reus holt sich mit einer Grätsche von hinten die Rote Karte, Daniel Caligiuri haut den fälligen Freistoß aus 25 Metern traumhaft in den Winkel zum 3:1. Die Hoffnungen der Favre-Elf auf ein Comeback zerplatzen dann endgültig, als der Borusse Marius Wolf nur drei Minuten später auch glatt Rot sieht.
Am Ende steht es 4:2 für Schalke und der königsblaue Abstieg rückt in weite Ferne. Der BVB verliert jedoch wichtige Punkte im Meisterschaftsrennen und ärgert sich doppelt, weil der FC Bayern beim späteren Absteiger aus Nürnberg Punkte liegen lässt.
Schalke gegen Dortmund ist zunächst ein ungleiches Duell. Im ersten Derby am 3. Mai 1925 schlägt Schalke Dortmund mit 4:2 in Herne. Ernst Kuzorra trifft doppelt für die Schalker.
Anfang des 20. Jahrhunderts heißt der Sieger fast immer Schalke 04. In diese Zeit fällt auch der höchste Sieg der Schalker über Dortmund - 10:0 in der "Gauliga Westfalen".
In den 1940ern ändern sich die Kräfteverhältnisse. 1943 gelingt Dortmund der erste Derbysieg. Torschütze ist August Lenz. Nach ihm wird auch das Klubhaus benannt.
Bis zur Gründung der Bundesliga 1963 gewinnt meist der BVB. Am 7. September 1963 kommt es dann zum ersten offiziellen Bundesligaderby. Schalke gewinnt mit 3:1.
(ts/bn)