Die Verpflichtung von Julian Nagelsmann ist der letzte Rettungsanker des DFB, um auf dem immer kürzer werdenden Weg zur Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land doch noch so etwas wie eine Aussicht auf Erfolg und wenigstens Spuren von Begeisterung und Anteilnahme im deutschen Fußballvolk zu schüren.
Dieser Neuanfang wird in mehr als 6.000 Kilometer Entfernung angepfiffen. Die Nationalelf spielt heute Abend um 21 Uhr in Hartford, Connecticut gegen die USA (RTL) und am kommenden Mittwoch nachts um 2 Uhr im Lincoln Financial Field in Philadelphia gegen Mexiko (ARD).
Die Distanz zwischen Deutschland und den beiden Spielorten ist mindestens ebenso groß, wie die emotionale Entfremdung der deutschen Fans von der Nationalmannschaft und dem DFB. Während wir schlafen, wird die Nationalmannschaft mit der Nagelsmann-Spielphilosophie versuchen, Begeisterung zu entfachen. Ob und wie das gelingt, werden wir am Donnerstagmorgen im Radio hören oder der Tagespresse entnehmen. Live dabei sein wird kaum jemand.
Nicht nur deshalb wurde die USA-Reise vorab sowohl von Fans, Medienvertretern und vor allem von Bundesliga-Managern kritisiert. Viel Aufwand für zwei einfache Länderspiele mitten in der spannenden Bundesliga-Saison.
Die Zeit hätte besser genutzt werden können, zumal der neue Bundestrainer – strategisch und taktisch gesehen – genau da weitermacht, wo der alte Bundestrainer Hansi Flick zuletzt aufgehört hatte: Es wird getestet und nach einer Stammformation gesucht.
Dabei wirft Nagelsmann viele Vorarbeiten über den Haufen und beruft einerseits schon wieder neue Spieler in den Kader und holt gleichzeitig mit Mats Hummels eine ehemalige Stütze der Abwehr zurück ins Team. Ich bin gespannt, ob es diesmal stimmt und wir nach der USA-Reise in sportlicher Hinsicht tatsächlich klare Verhältnisse haben werden.
Wie so oft geht es aber auch bei dieser Reise um weitaus mehr als um den Sport. Der Trip nach Übersee ist zugleich auch eine Werbe- und PR-Veranstaltung für den Deutschen Fußball. Dabei ist es vor allem der DFL und den Bundesliga-Klubs wichtig, im nordamerikanischen Raum Fuß zu fassen, um die Auslandsvermarktung voranzubringen.
Außerdem findet ja die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko statt und die DFB-Oberen gehen offensichtlich ganz selbstverständlich davon aus, dass sich die Nationalelf auch für dieses Turnier qualifizieren wird. In dem Fall ergibt es auch aus wirtschaftlicher Sicht Sinn, bereits heute Präsenz zu zeigen, um der amerikanischen Fußballnation die Aufwartung zu machen. Mein Rat: Bitte nicht vergessen, dass ihr euch für die WM erst noch qualifizieren müsst!
Vorerst scheinen die Prioritäten aber noch woanders zu liegen. Neben den 26 nominierten Spielern und dem Trainerteam reist nämlich noch eine gleich große Gruppe aus 26 Bundesliga-Managern und Topfunktionären gemeinsam mit der Nationalelf durch die USA, um Geschäfte mit dem Fußball im amerikanischen Sportbusiness zu machen.
Von offizieller Seite bekommt diese Tour durch die USA dann auch einen schmissigen Titel: Es handelt sich im typischen Manager-Sprech um eine "Leadership-Reise". Möge der Erfolg mit euch sein. Die Fans in Deutschland werdet ihr damit jedenfalls nicht zurück ins Boot holen!