Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist eines der herausragenden Aushängeschilder für unser Land. Schon immer war die Stimmung in Deutschland eng mit dem Zustand der Nationalmannschaft der Männer verknüpft.
Der Stolz auf das Wunder von Bern 1954. Seelers Größe nach dem verlorenen WM-Finale in Wembley 1966. Die Brillanz der frühen 70er Jahre. Der WM-Titel des vereinten Deutschlands 1990. Eine Phase des fußballerischen Abgehängtseins in den späten 90ern und frühen 00er Jahren. Das Sommermärchen 2006 und der folgende Aufschwung des deutschen Fußballs bis zum Weltmeistertitel 2014.
Die Verknüpfung war immer eng. Die Emotionen immer hoch. Da ging es oft um mehr als um Fußball. Aber mein Eindruck ist, dass die Schraube in den letzten Jahren überdreht wurde.
In Katar, ein Land, das die WM sicher nicht hätte ausrichten sollen, mussten die Spieler ausbaden, was die Sportpolitik zuvor nicht vernünftig geregelt bekommen hat. Das schwache Abschneiden der Nationalmannschaft bei den letzten Weltmeisterschaften wurde da schnell mal als Symbol für eine angeblich fehlende Leistungsbereitschaft junger Menschen in Deutschland umgedeutet.
Jede Niederlage wurde für diejenigen, die es ohnehin nicht gut mit unserem Land meinen, zu einem "Symbol des Niedergangs Deutschlands". Genau wie der vor einigen Monaten verkündete Wechsel des Ausrüsters vom deutschen Unternehmen Adidas zu dem US-Unternehmen Nike. Und auch das neue Auswärtstrikot wurde sofort zum großen Kulturkampfthema hochgejazzt. Pink ist für die einen schick und ein positives Symbol. Für die anderen der nächste Beweis für eine "geheime woke Agenda" des DFB.
Ich will ganz ehrlich sein: Mir ist das alles ein wenig zu viel. Natürlich ist der Fußball immer auch politisch. Das zu negieren, wäre naiv. Und es ist wichtig, dass der DFB und die Nationalmannschaft Werte haben und diese auch konsequent vertreten. Fairness. Zusammenhalt. Leistungsbereitschaft. Vielfalt. Bodenständigkeit.
Aber können wir wenige Tage vor der EM im eigenen Land ein paar Umdrehungen rausnehmen und nicht immer noch mehr in den Fußball hineingeheimnissen?
Mir sind für die kommenden Wochen einige andere Dinge wichtig: Wir wollen ein sicheres Turnier ermöglichen. Wir wollen uns als gutes Gastgeberland präsentieren. Wir wollen unsere europäischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in unserem wunderbaren Land willkommen heißen. Dazu kann jede und jeder etwas beitragen und mithelfen. Und wir wollen die deutsche Mannschaft unterstützen, sportlich das Bestmögliche rauszuholen.
Ich erwarte keine großen Symbole. Ich erwarte keine staatsmännischen Reden. Ich erwarte mutigen, engagierten Fußball und eine Offenheit gegenüber allen Fans und denjenigen, die dieses Turnier zu einem Fest machen wollen. Ich finde, so klar, kommunikativ, aber auch demütig wie Bundestrainer Julian Nagelsmann und Sportdirektor Rudi Völler diese Aufgabe in den vergangenen Wochen angegangen sind, kann das funktionieren.
Am Ende geht es um den Fußball. Am Ende weckt der Fußball und das Auftreten unserer Mannschaft auf und neben dem Platz die Leichtigkeit und das Lagerfeuer-Gefühl, das viele in unserer Gesellschaft in diesen herausfordernden Zeiten vermissen. Das kann man nicht bestellen oder programmieren.
Ich freue mich auf die EM. Auf unsere Mannschaft, die einen spannenden Mix hat aus der Erfahrung von Toni Kroos und Thomas Müller und jungen Weltklassespielern wie Florian Wirtz und Jamal Musiala. Ich freue mich auf die besten europäischen Spieler aus Frankreich oder England. Ich freue mich auf Underdogs aus Georgien oder Albanien, für die dieses Turnier ein besonderes Highlight ist.
Ich freue mich auf das Mitfiebern und die Begegnungen in vielen Städten und Orten in Deutschland. Im Stadion oder am Bildschirm. In der Kneipe oder auf dem Marktplatz. Darauf kommt es an.