Christoph Baumgartner bejubelt seinen Treffer am 3. Spieltag der aktuellen Saison gegen Bayer Leverkusen. Bild: www.imago-images.de / imago images
Interview
Hoffenheim-Profi Christoph Baumgartner hat mit 23 Jahren bereits über 100 Bundesliga-Einsätze absolviert und spielte 25 Mal für die österreichische Nationalmannschaft. Im watson-Interview spricht er über Beleidigungen von Fans, mentale Belastungen und Fußballer, die Haltung zeigen.
watson: Christoph, du bist Profi-Fußballer, hast jetzt aufgrund der WM schon über einen Monat kein Pflichtspiel mehr absolviert. Ist dir eigentlich langweilig?
Christoph Baumgartner: Tatsächlich nicht. Natürlich hätte ich lieber mit Österreich die WM gespielt. Aber für den Körper und den Kopf war es gut, einmal die Akkus aufzuladen und sich abzulenken.
Wie sah während der WM-Pause die Arbeit bei euch in Hoffenheim aus?
Nach dem letzten Pflichtspiel bin ich für zwei Spiele noch zur österreichischen Nationalmannschaft gereist. Danach hatte ich zwei Wochen Urlaub und konnte in Thailand wirklich mal runterkommen. Anfang Dezember sind wir in Hoffenheim wieder eingestiegen, ziehen bis kurz vor Weihnachten durch. Im Januar geht es dann mit dem Trainingslager in Portugal in die heiße Phase.
Christoph Baumgartner spielte im November noch mit der österreichischen Nationalmannschaft bei einem Freundschaftsspiel gegen Italien.Bild: www.imago-images.de / imago images
Vor der Pause habt ihr in den letzten fünf Spielen nicht gewonnen. Welche Auswirkungen hatte das auf das Training?
Es wäre uns allen lieber gewesen, mit einem Sieg in die WM-Pause zu gehen. Trotzdem tun uns die spielfreien Wochen gut. Durch die schlechteren Ergebnisse ist vielleicht jedem bewusster, dass er noch etwas mehr arbeiten und einen Schritt mehr muss. Andererseits wäre nach guten Ergebnissen sicherlich die Stimmung etwas besser. Trotzdem schaffen wir gerade gut den Spagat zwischen harter Arbeit und Freude am Fußball.
Du hast die Pause für den Körper und den Kopf schon angesprochen. Wie sehr beschäftigt dich Fußball in deiner Freizeit?
Am Ende des Tages denken wir täglich an Fußball, nicht nur im Training. Auch abseits des Platzes macht man sich Gedanken und ist immer mit seiner Leistung und der des Teams beschäftigt. Das stresst auch. Deshalb tut freie Zeit mit der Familie so gut.
Wie gehst du mit dieser mentalen Belastung um?
Ich versuche mit Leuten darüber zu sprechen, die Ahnung von dem Ganzen haben und mich als Menschen verstehen. Meine Freundin ist als ehemalige Profi-Fußballerin enorm wichtig für mich. Sie weiß genau, wie ich mich nach einem guten oder schlechten Spiel fühle.
"Das uneingeschränkte Vertrauen zum Psychologen ist das Wichtigste."
Wie schaut es mit Unterstützung innerhalb des Teams aus?
Benjamin Hübner war für mich immer ein sehr guter Ansprechpartner. Er hat immer einen Rat, sowohl für mich persönlich als auch für die gesamte Mannschaft. Ich hoffe, das wird so bleiben, auch wenn er jetzt seine Karriere beendet hat.
Arbeitet ihr mit einem Sportpsychologen zusammen?
Wir sind da gut versorgt, ohne dass den Spielern aufgezwungen wird, wie oft sie mit dem Psychologen oder dem Mentaltrainer arbeiten müssen. Ich persönlich arbeite aktuell nicht mit einem Mentaltrainer. Ich bin zwar jung, habe aber schon viel von Psychologen der Auswahlmannschaften oder bei Hoffenheim gehört und mitgenommen. Zudem habe ich ein gutes Umfeld, mit dem ich über eventuelle Probleme sprechen könnte.
Im Gespräch mit Sportpsychologen wird immer wieder geschildert, dass Spieler Angst davor haben, sich bei Problemen zu öffnen. Denn der Trainer könnte über mögliche mentale Probleme informiert werden. Kennst du diese Gedanken von dir oder Mitspielern?
Nein, überhaupt nicht. Bei uns in Hoffenheim gab und gibt es immer einen Ansprechpartner für den psychologischen Bereich. Wenn mich mal etwas beschäftigt hat und ich dann diese Gesprächsmöglichkeit wahrgenommen habe, hatte ich immer ein sehr vertrauensvolles Gefühl – er oder sie hat auch eine Verschwiegenheitspflicht, sodass man sich als Spieler wirklich sicher fühlen kann. Das uneingeschränkte Vertrauen zum Psychologen ist das Wichtigste.
Joshua Kimmich oder Neymar werden vor wichtigen Spielen oder Turnieren oft als große Hoffnung der Medien und der Social-Media-Nutzer:innen aufgebaut, bei einem Scheitern aber heftig kritisiert oder beleidigt. Wie siehst du dieses Phänomen?
Kimmich und Neymar sind natürlich noch einmal ganz andere Größenordnungen als ich. Sie sind DIE Leistungsträger in ihren Ländern, noch dazu haben sie das Ganze bei einer Weltmeisterschaft erlebt – viel größer geht es kaum. Deshalb fällt es mir schwer, mich in sie hineinzuversetzen. Aber es ist ein zweischneidiges Schwert. Die meisten Fußballer brauchen in gewisser Weise den Druck, machen ihn sich auch selbst. Geht es gut, sind wir die gelobten Superstars. Geht es schief, sind wir die großen Verlierer. Die Fallhöhe ist von Beginn an extrem hoch.
Hast du das selbst schon mal erlebt?
In meinem zweiten Spiel für Hoffenheim 2019 habe ich früh Gelb-Rot gesehen, wir haben 2:4 am letzten Spieltag verloren, obwohl wir 2:0 geführt hatten. Als Folge haben wir die Qualifikation für Europa verpasst. Da ist es medial auf mich eingeprasselt, auch einige Fans haben da heftige Beleidigungen geschrieben.
"Wenn wir Spieler alles öffentlich machen würden, was uns auf Instagram geschrieben wird, würden sich einige an den Kopf fassen."
Was zum Beispiel?
Von den Nachrichten ist es extrem. Da geht es auf die niedrigste, persönliche Ebene und die Familie wird beleidigt. Wenn wir Spieler alles öffentlich machen würden, was uns beispielsweise auf Instagram geschrieben wird, würden sich einige an den Kopf fassen. Das ist echt krass.
Neben den Nutzer:innen auf Social Media sind aber auch wir – die Medien – für kritische Berichte verantwortlich. Wie nimmst du die Artikel bei Misserfolgen wahr?
Auch da ist es ab und an extrem: Mir fehlt an der einen oder anderen Stelle das Fingerspitzengefühl, gerade was die persönliche Ebene angeht. Wir Spieler verstehen, dass die Medien kritisch berichten. Aber es macht manchmal schon den Eindruck, dass es um größtmögliche Empörung geht, auch um mehr Klicks generieren zu können. Wörter wie "Schande" oder persönliche Herabwürdigungen sind da vermutlich erfolgsversprechender als eine kritische, aber sachliche Einordnung. Trotzdem gehört es aber auch zu unserem Job als Profi-Sportler, damit umzugehen. Zumal wir auch davon profitieren, wenn es ins Positive ausschlägt. Oft gibt es in den Berichten nur schwarz oder weiß.
Wie bist du damals mit den Schlagzeilen und Kommentaren nach deinem Platzverweis umgegangen?
Zu der Zeit war ich 19 Jahre alt, habe mir in erster Linie selbst Vorwürfe gemacht. Das Einfachste war für mich, das Handy wegzulegen und mich mit Menschen zu treffen, für die ich noch immer der gleiche Christoph Baumgartner war. Es heißt häufig, dass Fußball-Profis so viel Geld verdienen und das deshalb aushalten müssen. Oft wird der Mensch dahinter aber nicht gesehen, der auch unabhängig vom Gehalt existiert, Gefühle hat und verletzlich ist.
Während der WM wurde immer wieder darauf gedrängt, dass die Spieler und Teams politische Zeichen setzen sollen. Werden Fußballer aktuell zu oft gedrängt, Haltung zu zeigen?
Meiner Meinung nach darf so etwas nicht pauschal von einem Spieler verlangt werden. Das, was in Katar passiert ist, finde ich auch furchtbar und ich habe kein Problem damit, das anzusprechen. Wir Spieler haben eine große Reichweite, können Zeichen setzen und Positives bewirken – das machen auch viele Profis. Aber nicht jeder Spieler möchte zu jedem Thema ein Statement setzen – genau so wie generell nicht jeder Mensch ein Statement setzen möchte. Manche Spieler fühlen sich nicht wohl dabei, sind dann abgelenkt und können sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren. Anderen Profis fällt das leichter. Ich denke, die Hauptaufgabe von Fußballern ist schon, Fußball zu spielen. Bei der WM in Katar habe ich es als extrem empfunden.
Wie meinst du das?
Wie gesagt: Ich sehe das Turnier in Katar auch enorm kritisch. Aber in den zwei bis drei Monaten vor Beginn wurden wir Spieler so oft darauf angesprochen. Und was man auch miteinbeziehen muss: Direkt nach einem eigenen Spiel ist man voller Adrenalin und hat keinen Kopf für politische Statements – zumal diese Themen ja enorm komplex sind. Da ist so ein Interview wie jetzt, bei dem die Themenfelder vorher klar benannt wurden, besser. Ich kann mir Gedanken machen, welche Positionen ich vertrete und muss nicht überhastet und verschwitzt Stellung beziehen – das ist fairer und ehrlicher.