Wenn es um das Champions-League-Finale geht, ist Jan Platte die Stimme beim Streamdingdienst Dazn. Wenn am Samstagabend Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool auf Toni Kroos und Real Madrid trifft, wird der deutsche Kommentator wieder zu hören sein.
Im Gespräch mit watson verrät er, was dieses Endspiel für ihn bedeutet, wie sich die beiden Teams entwickelt haben und warum er keinen Favoriten für das Endspiel hat.
watson: Jan, du kommentierst für Dazn das Duell zwischen Liverpool und Real Madrid. Es ist dein 4. Champions-League-Endspiel als Kommentator, allerdings erst dein zweites live vor Ort im Stadion. Ein Champons-League-Finale kommentieren ist sicherlich für jeden Kommentator ein besonderes Highlight.
Jan Platte: Es ist eine riesige Ehre. Ein Endspiel kommentieren ist schon etwas Anderes. Mein erstes Endspiel war in Madrid als Liverpool gegen Tottenham 2:0 gewann, das war ein sehr besonderes Erlebnis. Die anderen beiden Finals kommentierte ich dann von München aus, aufgrund der Pandemie waren wir mit Dazn dann nicht vor Ort, es hat aber trotzdem sehr großen Spaß gemacht. Und jetzt sind wir vor Ort in Paris, mit einer sehr besonderen Truppe: Laura Wontorra, Alex Schlüter, Sami Khedira, Sandro Wagner – mit dem ich das Endspiel dann kommentieren darf. Es herrscht eine große Vorfreude in der gesamten Redaktion, bei mir natürlich auch, so etwas mitzuerleben.
Gibt es denn eine besondere Herangehensweise?
Unter dem Strich ist es nur ein Fußballspiel, da tut man schon auch gut daran, wenn man sich selbst daran erinnert. So werden Sandro und ich das auch angehen, wohl wissend, dass es natürlich ein besonderer Rahmen ist und dieses Spiel eine besondere Bedeutung hat.
Wie sieht deine konkrete Vorbereitung auf so ein besonderes Finale aus – ist sie anders als bei normalen Spielen?
Ich bin gefühlt seit Wochen in der Vorbereitung. Man liest viel, schnappt alles auf, was es zu lesen und aufzuschnappen gibt, man schaut auch viel. Ich habe die letzten Spiele von Liverpool gesehen und die letzten Spiele von Real Madrid kommentiert. Wir waren in Madrid beim Media Day von Real Madrid und wir fliegen Donnerstag nach Paris, da sieht man Leute, hat Gelegenheit, sich auszutauschen, da gibt es den letzten Feinschliff.
Blicken wir mal sportlich auf die Begegnung und auf den Weg Real Madrids und des FC Liverpool ins Finale: Wie bewertest du die Finalpaarung?
Beide stehen sehr verdient im Endspiel. Liverpool ist seiner Favoritenrolle auf dem Weg ins Endspiel komplett gerecht geworden. Sie haben in der K.o.-Runde kaum Wackler gehabt - sie hatten im Rückspiel in Villarreal eine kurze Phase, wo man dachte, was passiert da gegen Villarreal, aber da haben sie auch gezeigt, welche Qualität sie besitzen, wenn es darum geht, sich aus einer schwierigeren Situation zu befreien. Sie haben das auf sehr souveräne Art und Weise geschafft.
Bei Real Madrid hingegen war der Weg ins Endspiel absolut dramatisch.
Das stimmt. Real Madrid ist einen komplett anderen Weg gegangen, musste ihn gehen. Es gab drei Paarungen gegen absolute Topklubs und Mitfavoriten auf den Titel, in denen Real Madrid manchmal selber wohl schon den Glauben verloren hat, es noch schaffen zu können, es aber jedes Mal wieder geschafft hat. Alleine diese Remontada-Qualitäten sind für mich ein großer Grund, dass sie verdient im Endspiel stehen.
Sowohl im Achtelfinale gegen PSG, im Viertelfinale gegen Chelsea und besonders dann im Halbfinale gegen Manchester City lag Real Madrid zwischenzeitlich zurück, war mit einem oder mehreren Beinen eigentlich ausgeschieden, kam aber jedes Mal doch noch auf teils unerklärliche Weise zurück. Wie ist das zu erklären?
Hermann Gerland hat bei den Bayern mal den Satz gesagt: ‘Immer Glück ist Können’. Das kann man ziemlich gut anwenden auf die K.o.-Bilanz und auch Historie von Real Madrid in dieser Champions-League-Saison. Sie hatten sehr gute Auftritte, zum Beispiel die erste Stunde an der Stamford Bridge, wo sie 3:0 führten.
Ganz anders in den Hinspielen bei Paris und Manchester City.
Genau. Sie waren gefühlt wahnsinnig unterlegen über eine geraume Zeit in Paris und bei Manchester City, aber sie haben es jedes Mal geschafft, nicht so sehr ins Hintertreffen zu geraten, dass es unmöglich gewesen wäre, zurückzukommen. Und da sind wir auch bei einer Fähigkeit, die in dieser Saison kaum eine andere Mannschaft in dieser Form hatte.
Und wie nehmen die Spieler das wahr?
Ich habe in Madrid mit Toni Kroos sprechen können, er hat auch gesagt: 'Dieser Lauf in der K.o.-Phase, der ist schon etwas Unglaubliches und Besonderes gewesen, selbst für Real Madrid.' Er hat sich selbst verneigt vor der Mannschaft, dass man es gemeinschaftlich immer wieder geschafft hat, aus den schwierigsten Situationen herauszukommen. Das ist ein Qualitätsmerkmal, das ist etwas, was ganz, ganz wenige andere Mannschaften haben. Wir erinnern uns an den FC Bayern München in der Champions League 2020 – die hatten eine Aura der Unbesiegbarkeit in diesem Turnier in Lissabon. Egal wer kam, es war klar, sie schaffen es, es war ihnen von Anfang an klar. Wenn Real Madrid in dieser Saison mitspielt, dann ist diese Hoffnung, das vermeintlich Unmögliche noch zu schaffen, berechtigt.
Das klingt fast nach der Favoritenrolle für Real Madrid.
Es gibt keinen Favoriten. Ich hätte vor einiger Zeit gedacht, Liverpool wäre der Favorit in einem Endspiel, aber ich bin mir selber unschlüssig. Es gibt Pro- und Contra-Argumente für beide Seiten. Ich bin sehr sicher, dass wir ein sehr gutes Liverpool, aber auch ein sehr gutes Real Madrid sehen werden. Nachdem, was beide in dieser Saison so vorgeführt haben, hätten es beide verdient zu triumphieren, gar keine Frage.
Real konnte durch die vorzeitige Meisterschaft Kräfte sparen, Liverpool hatte bis zum letzten Spieltag eine extrem hohe Belastung. Wird das Auswirkungen haben?
Ich glaube, man kann es in beide Richtungen interpretieren. Aber mein Eindruck aus Madrid ist: den Blancos geht es schon gut, sie haben die Zeit zu nutzen gewusst. Beim Media Day in Madrid hatte ich die Möglichkeit, die Stimmung aufzuschnappen, mit verschiedenen Leuten bei Real Madrid zu sprechen. Da kriegst du einen Eindruck davon, wie gut die sich fühlen, wie gut die diese Saison interpretieren und zu schätzen wissen. Es ist ja nicht so, dass es ihnen zugeflogen ist und sie jetzt sorglos ins Finale gehen. Die wissen, dass es Phasen gab, die nicht gut waren. Sie sind sich dieser Situation und dem Gegner, dem sie gegenüberstehen, sehr bewusst.
Und ist Liverpool durch die Dauer-Belastung im Nachteil?
Sie könnten vielleicht einen kleinen Nachteil haben – wenn es denn ein Nachteil sein mag, das weiß man auch noch nicht – dass sie bis zum letzten Wochenende unter Starkstrom standen. Derweil ist Real Madrid am 30. April Meister geworden, und zwar in relativer Entspanntheit. Das sind unterschiedliche Gemütslagen. Ob das eine ein Vorteil oder das andere ein Nachteil war, wissen wir am Samstagabend.