Das verflixte siebte Jahr wird es für die Formel E und die vier deutschen Hersteller und Fahrer nicht werden: Immerhin geht es in der neuen Saison erstmals um eine offizielle WM-Krone. Die oft belächelte Elektro-Rennserie ist vom Weltverband FIA aufgewertet worden. Am Freitagabend (17.30 Uhr) startet die Saison mit einem Nachtrennen in Diriyyah, Saudi-Arabien. Am Samstagabend steht dann gleich das zweite Rennen in Saudi-Arabien auf dem Programm.
Im Gespräch mit watson erklärt Formel-E-Experte Andreas Richter, warum die Rennserie vor allem junge Menschen erreicht, weshalb sie einen wichtigen Einfluss bei der Entwicklung von E-Mobilität hat – und was die Rennserie der Formel 1 aus seiner Sicht voraushat. Andreas Richter arbeitete 42 Jahre intensiv in verschiedenen Bereichen in und mit der Formel 1. Seit Beginn der Formel E im Jahr 2014 begleitet der Motorsportexperte die Rennserie intensiv.
watson: Herr Richter, die Formel E geht mit dem heutigen Rennen in ihre siebte Saison. Sie gilt als Rennserie der Zukunft. Gibt es in 20 Jahren gar keine Formel 1 mehr, sondern nur noch die Formel E?
Andreas Richter: Das glaube ich nicht. Die Formel 1 wird erstmal das Maß aller Dinge bleiben. Aber ich glaube an die Möglichkeit einer Co-Existenz beider Serien. Elektroautos hatten auch in der Gesellschaft in den ersten Jahren wenig Erfolg. Sie waren vielleicht das Zweit- oder Drittauto von vermögenden oder älteren Menschen oder wurden immerhin so wahrgenommen. Dieses Image haben Elektroautos mittlerweile nicht mehr.
Stattdessen sind Elektroautos auf dem Siegeszug, auch im Motorsport. Formel-E-Gründer Alejandro Agag hatte zuletzt sogar gefordert: "Die Formel 1 muss elektrisch werden." Er brachte eine Zusammenlegung der beiden Rennserien ins Spiel. Ist das denkbar?
Auch das glaube ich nicht. Die Formel 1 hat ein Alleinstellungsmerkmal, was neben dem reinen Motorsport auch einen sehr hohen Unterhaltungsfaktor beinhaltet.
Sie meinen die Promidichte und die ganze mehrtägige Show um das eigentliche Rennen herum.
Das hat die Formel E so nicht und diesen Unterhaltungsfaktor wird sie auch in den nächsten Jahren nicht beinhalten.
Könnte die Formel E stattdessen mit ihrem nachhaltigen E-Mobility-Ansatz dafür sorgen, dass sich junge Menschen wieder mehr für Motorsport begeistern?
Auf alle Fälle. Die Formel E spricht junge Leute auf eine ganz andere Weise an. Durch Elektromobilität und alleine schon deshalb, weil alle Rennen Innenstadtkurse sind. Wenn eine junge Familie in der Stadt oder stadtnah wohnt und mit dem Fahrrad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder sogar zu Fuß zur Strecke kommen kann, ist das ein wichtiges Argument.
Warum läuft es in Deutschland mit der Popularität dennoch nur so schleppend?
In Deutschland stieg die Popularität, als vor zwei Jahren die vier großen Sportwagenhersteller gemeinsam in einer Rennserie angefangen haben. Audi, BMW, Mercedes und Porsche waren noch nie gleichzeitig in einer Serie. Das hat einen Schwung gegeben, aber der blieb vergleichsweise gering. Bisher lief die Formel E aber bei Eurosport auch auf einem sehr kleinen TV-Sender.
Künftig zeigt jedoch Sat.1 die Formel E. Die Formel 1 hingegen wird nur noch im Pay-TV zu sehen sein...
Davon dürfte die Formel E wahnsinnig profitieren. Zumindest, wenn wir eine einigermaßen normale Saison haben. Die künftige Ausstrahlung bei Sat.1 ist nochmal etwas ganz anderes. Dort schauen viel mehr Menschen zu.
Mit Pascal Wehrlein und Andre Lotterer bei Porsche gibt es auch ein rein deutsches Team. Wird das für einen zusätzlichen Hype sorgen?
Ich glaube schon. Wir hatten in der Formel 1 zuletzt die Kombination aus deutschem Team und deutschem Fahrer, als Nico Rosberg 2016 im Mercedes Weltmeister wurde. Jetzt haben wir ein deutsches Team mit Porsche und zwei junge, gute Fahrer. Zudem hat Porsche öffentlich deutlich gemacht, wie stark sie auf die Elektromobilität bei ihren Straßenautos setzen. Wenn die Saison einigermaßen erfolgreich läuft, wird es eine Außenwirkung haben.
Die zwei deutschen Porsche-Fahrer dürften wohl auch gute Chancen auf den Sieg in dieser Saison haben...
In der Formel E können fast alle Teams und Fahrer gewinnen, das ist ja das Besondere. Wir haben derzeit zwölf Teams mit 24 Fahrern – mehr dürfen es laut Regelwerk auch nicht werden. In der Formel 1 ist das Maximum lange nicht ausgereizt, weil die Kosten inzwischen viel zu hoch sind. Bis auf zwei, drei Teams kann dort niemand ein Rennen oder eine Weltmeisterschaft gewinnen. Die Leistungsdichte in der Formel E ist weitaus höher.
Woran liegt das?
Das ganze Programm eines Rennwochenendes wird in der Formel E auf einen Tag verkürzt. Morgens um 8 Uhr freies Training, Qualifying am Mittag und das Rennen schon am Nachmittag. Das führt dazu, dass die Ingenieure unter einem höheren Erfolgsdruck stehen, Fehlentscheidungen wirken sich viel entscheidender aus. Viel mehr Teams und Fahrer können daher ein Rennen gewinnen.
Wenn Sie gerade von Ingenieuren sprechen: Die Formel 1 galt lange Zeit als Vorreiterin für Innovationen in der Automobilindustrie. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Formel E in Sachen Elektromobilität für den normalen Straßenverkehr?
Ich würde die Rolle der Formel E mit der Rolle der Formel 1 in den Anfangsjahrzehnten vergleichen. Der Transfer von den Entwicklungen der Formel E auf den normalen Straßenverkehr wird seit sechs Jahren durchgeführt – ohne, dass es die breite Masse bisher wahrgenommen hat.
Können Sie uns Beispiele nennen?
Die Energierückgewinnungssysteme, die Antriebseinheiten und die Leichtbauweise der Fahrzeuge, um aufgrund des geringeren Gewichts Energie zu sparen, wurden von der Automobilindustrie übernommen. BMW ist zum Beispiel weltweit der erste Automobilhersteller gewesen, bei dem die Ingenieure für den Fahrzeugbau auf der Straße und der Rennserie in einer Abteilung konzentriert wurden. Normalerweise arbeiten diese getrennt voneinander.
Ist es denn für die Rennfahrer eine große Umstellung vom Benziner zu Elektro?
Auch wenn ich selbst kein Rennfahrer bin: Ich sage zu einhundert Prozent Ja. Und alle Fahrer bestätigen das.
Wieso?
Die Art, mit dem Auto umzugehen, zu lenken, schnell zu fahren, Kurven zu fahren, unterscheidet sich massiv zu einem Auto mit Verbrennungsmotor. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Leistung eines Elektromotors mit der ersten Sekunde, in der Sie das Gaspedal betätigen, zur Verfügung steht. Das ist beim Verbrennungsmotor nicht der Fall.
Im kommenden Jahr werden sich BMW und Audi aber zunächst wieder aus der Formel E zurückziehen. Ist das eine Schwächung für die Serie?
Es war auch für mich eine große Überraschung, aber es ist keine Schwächung der Formel E. Es gab immer wieder in Wellenbewegungen den Ein- und Ausstieg größerer Automobilkonzerne. Das kann wirtschaftliche Gründe haben – oder, daran liegen, dass strategische Ziele erreicht wurden.
Also machen Sie sich keine Sorgen um die Zukunft der
Formel E?
Nein. Es wurde von der Formel E ein Abkommen mit McLaren getroffen, die in zwei Jahren einsteigen können. Der neu gegründete Stellantis-Konzern überlegt öffentlich, ob er mit Maserati oder Alfa Romeo einsteigen soll. Ford ist noch nie in der Formel E gewesen und ich erwarte diese Meldung eigentlich schon seit zwei, drei Jahren. Honda ist auch noch nicht drin und es gibt noch fünf, sechs große Marken, von denen ich sicher erwarte, dass sie irgendwann in die Formel E kommen. Die großen Zeiten der Formel E kommen erst noch.