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Vor erster EM-Quali: Schiedsrichterin Wildfeuer über Frauen und Männer im Fußball

Franziska Wildfeuer ist seit fast einem Jahr FIFA-Schiedsrichterin
Franziska Wildfeuer ist seit fast einem Jahr FIFA-Schiedsrichterin.Bild: www.imago-images.de / Peter Hartenfelser
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Schiedsrichterin Wildfeuer erzählt: "Frauen liegen nicht so lange am Boden wie Männer"

21.10.2021, 12:5822.10.2021, 11:06
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Seit Januar ist Franziska Wildfeuer offiziell FIFA-Schiedsrichterin, aber auf ihren ersten Einsatz musste die 27-Jährige fast zehn Monate warten. Am Donnerstag ist es soweit, sie pfeift beim U-17-Damen-EM-Qualifikationsturnier in Schweden die Partie zwischen Wales und Schweden.

Die gebürtige Bayerin rückte zu Beginn des Jahres als FIFA-Schiedsrichterin nach, weil Bibiana Steinhaus-Webb ihre Karriere beendete. Aktuell pfeift Wildfeuer auch in der Frauen-Bundesliga und in der Regionalliga der Männer.

Im Interview mit watson spricht Wildfeuer nun über den Unterschied zwischen Damen- und Herren-Fußball, wie sie sich als Spielerin gegenüber Schiedsrichtern verhalten hat und welche Schwierigkeiten es in der Nachwuchs-Gewinnung bei den Schiedsrichtern gibt.

Watson: Frau Wildfeuer, haben Sie gerne recht und sorgen Sie für Ordnung?

Franziska Wildfeuer: (lacht) Als Schiedsrichter gehört es dazu, dass man Recht und Ordnung schaffen will. Aber generell ist es mein Ziel, das Spiel in geregelten Bahnen zu halten. Aber es geht auch darum, über die Kommunikation mit den Spielern und Spielerinnen das Spiel zu lenken und übertriebene Härte zu vermeiden.

Sie selbst pfeifen in der Frauen-Bundesliga und bei den Herren in der Regionalliga. Welche Unterschiede stellen Sie da fest?

Grundsätzlich treten in beiden Konstellationen 22 Sportler und Sportlerinnen an, die das gleiche Ziel verfolgen. Deshalb habe ich auch als Schiedsrichterin die gleiche Aufgabe: Das Spiel in geordneten Bahnen halten.

Dennoch wird es Unterschiede geben, oder?

Das Spiel bei den Männern ist allein von der Statur her körperlicher. Sie gehen etwas härter in die Zweikämpfe rein. Dafür sind Frauen in einer anderen Sache härter."

Franziska Wildfeuer (l.) zeigt Ex-Hertha-Profi und aktuellem Potsdam-Trainer Sofian Chahed die Gelbe Karte
Franziska Wildfeuer (l.) zeigt Ex-Hertha-Profi und aktuellem Potsdam-Trainer Sofian Chahed die Gelbe Karte.Bild: www.imago-images.de / Jan Huebner/Frick

Wobei?

Frauen liegen nicht so lange am Boden wie Männer und­­­ verlieren dadurch weniger Spielzeit. Davon abgesehen gehe ich in die Spiele mit der gleichen Vorbereitung rein.

Wenn die Zweikämpfe aber unterschiedlich geführt werden, haben Sie auch Probleme bei der Umstellung der Bewertung der Zweikämpfe?

Mittlerweile ist das ein Automatismus und ich muss mir dessen nicht bewusst werden. Am Anfang fiel mir diese Umstellung vielleicht noch etwas schwerer.

Gibt es Unterschiede in der Ansprache mit den Spielern und Spielerinnen?

Mein Gefühl ist, dass ich mit Männern mehr kommuniziere. Frauen sind nicht ganz so greifbar, weil sie im Kopf wieder schneller bei der nächsten Spielsituation sind. Männer nehmen die Dinge, die ich sage, mehr an. Dadurch kann ich die Gemüter auch gut beruhigen.

Bevorzugen Sie es bei Männern oder Frauen zu pfeifen?

Das ist für mich beides gleich. Hauptsache es ist ein Fußballspiel und ich darf die Leitung da übernehmen.

Die Leitung übernehmen sie offenbar auch sehr gut. Seit Januar sind sie offiziell FIFA-Schiedsrichterin. Was hat sich seitdem für Sie geändert?

Der Fokus liegt nun noch mehr auf der sportlichen Ausdauer-Fähigkeit. Ich investiere in entsprechende Trainingseinheiten mehr Zeit, trainiere nun fünf bis sechsmal pro Woche. Ich kann das nur, weil meine Partnerin mich unterstützt und wir auch gemeinsam Sport treiben. Zusätzlich kamen noch die internationalen Einsätze hinzu.

Dort waren sie bisher nur als 4. Offizielle tätig. Wann ändert sich das?

Ich habe schon selbst das ganze Jahr mitgefiebert und befürchtet, dass ich die erste FIFA-Schiedsrichterin bin, die im ersten Jahr kein internationales Spiel pfeifen darf (lacht). Aber erst kürzlich habe ich erfahren, dass ich vom 22. bis 28. Oktober ein U17-EM-Qualifikations-Turnier der Damen pfeifen darf.

Wie war Ihre Reaktion, als Sie davon erfahren haben?

Die Vorfreude war riesig, aber ich spüre auch eine gewisse Anspannung. Aber die Lust darauf ist natürlich auch extrem hoch, endlich die Spielleitung für ein internationales Spiel zu übernehmen.

15 Jahre wird es dann von ihrem ersten Schiedsrichter-Schein zum ersten internationalen Spiel gedauert haben. Was war damals Ihre Motivation?

Am Anfang hat mich meine Mutter dafür motiviert. Ein Freund hat den Schein gemacht und sie hat gesagt: ‚Fahr mit.‘ Dann hatte ich das Regelbuch vor mir liegen und habe den Schein gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war die Schiedsrichterei für mich aber zweitrangig, weil ich selbst noch gespielt habe.

Wann hat sich das geändert?

Mit 15 oder 16 Jahren kam die Frage auf, ob ich aus der Jungen-Mannschaft zu einem Mädchen-Team wechseln würde. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich entschieden, den Fokus auf die Schiedsrichterei zu setzen.

Franziska Wildfeuer (Mitte) bei ihrem ersten Bundesliga-Spiel in der Frauen-Bundesliga
Franziska Wildfeuer (Mitte) bei ihrem ersten Bundesliga-Spiel in der Frauen-Bundesliga.Bild: imago sportfotodienst / foto2press

Wie hat sich die Spielerin Wildfeuer gegenüber Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen verhalten?

Ich glaube, ich war eine schreckliche Spielerin. Als ich zwölf bis 15 Jahre alt war, dachte ich vielleicht oft, dass ich mehr als der Schiedsrichter wisse, weil ich den Schein ja schon hatte. Da habe ich ein bisschen rumgemeckert und auch mal gelbe Karten dafür bekommen.

Besonders im Amateur-Bereich bleibt es nicht immer nur beim Meckern. Immer wieder gibt es körperliche Angriffe auf Schiedsrichter. Haben Sie selbst auch solche Erfahrungen sammeln müssen?

Ich war zum Glück noch nicht betroffen, aber ich weiß von einem Schiedsrichter-Kollegen, der körperlich angegriffen wurde. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. Die Schiedsrichter betreiben ein Ehrenamt, entscheiden nach bestem Wissen und Gewissen. Gewalt, aber auch Rassismus und andere Diskriminierungen haben auf und neben dem Fußballplatz sowie in unserer Gesellschaft nichts zu suchen.

Glauben Sie, dass genau diese Phänomene die Nachwuchsgewinnung im Schiedsrichter-Wesen erschwert?

Das kann ich mir gut vorstellen.

Wie kann man dagegen vorgehen?

Es ist wichtig, darüber aufzuklären und klarzumachen, dass Gewalt keine Lösung ist. Natürlich kann man durch solche Maßnahmen auch die Angst nehmen. Es gibt aber auch noch weitere Optionen, Schiedsrichter zu gewinnen oder Sensibilität für das Thema zu schaffen.

Wie?

In Schleswig-Holstein gibt es beispielsweise das Schiedsrichter-Praktikum. Da werden Interessierte an die Hand genommen und können aus verschiedenen Winkeln einen Eindruck von der Schiedsrichterei gewinnen. Selbst, wenn sie am Ende keine Schiedsrichter werden, sind sie für die Situation des Referees sensibilisiert.

"Das Spiel bei den Männern ist allein von der Statur her körperlicher. Sie gehen etwas härter in die Zweikämpfe rein."
Franziska Wildfeuer über Zweikämpfe im Männer-Fußball

Wie engagieren Sie sich selbst bei der Gewinnung von Nachwuchs?

Wegen meiner aktiven Schiedsrichter-Karriere und dem Arbeitsleben, kann ich nicht so aktiv sein, wie ich es gern würde. Ich bin aber von jedem Mädchen und Jungen begeistert, die mit der Schiedsrichterei anfangen. Wenn bei mir junge Mädchen mitfahren und an der Seitenlinie helfen, versuche ich immer, meine Begeisterung an sie weiter zu geben.

Sowohl im Amateur- als auch im Profi-Bereich sind Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen von Bewertungen abhängig, um aufzusteigen. Bibiana Steinhaus hing lange in der 2. Liga fest und durfte trotz guter Leistungen nicht in die Bundesliga aufsteigen. Haben es Frauen in der Schiedsrichterei schwerer?

Manchmal dauert der nächste Schritt eben drei, fünf oder vielleicht auch zehn Jahre. Außerdem kommt es auch immer darauf an, in welcher Lebensphase man ist und ob man beruflich alles so managen kann, dass in der Schiedsrichterei der nächste Schritt möglich ist.

Anders gefragt: Denken Sie manchmal: ‚Wenn ich ein Mann wäre, würde ich jetzt schon in der zweiten oder dritten Liga pfeifen‘?

Nein, gar nicht. Ich denke, dass es ein faires Bewertungssystem ist. Wichtig ist es aber dabei auch, dass man über mehrere Jahre konstant eine gute Leistung zeigt, dann wird man auch dafür mit einem Aufstieg belohnt.

"Bibiana Steinhaus ist die Pionierin im Frauen-Bereich in Deutschland."
Franziska Wildfeuer über die ehemalige Bundesliga-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus

Welche Rolle hat Bibiana Steinhaus grundsätzlich für Schiedsrichterinnen wie Sie gespielt?

Sie ist die Pionierin im Frauen-Bereich in Deutschland. Dementsprechend stellt sie für viele Frauen eine Vorbildfunktion da, weil sie die erste Frau ist, die es in die Männer-Bundesliga geschafft hat.

Ist sie auch Ihr Vorbild?

Nein, das antworte ich immer, wenn ich das gefragt werde. Ich schaue mir viele verschiedene Dinge von Schiedsrichtern ab, sei es die Körpersprache, die Kommunikation oder die Einstellung zum Spiel.

Was haben sie von Bibiana Steinhaus abgeguckt?

Definitiv ihre Kommunikationsfähigkeit. Von Dr. Felix Brych die körperliche Fitness. Aber es müssen nicht immer nur Profi-Schiedsrichter sein. Ein Schiedsrichter aus der Bezirksliga hat immer Atem-Übungen vor Spielen gemacht, damit er sich besser konzentriert. Das mache ich heute auch noch hin und wieder.

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