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FC St. Pauli wehrt sich gegen Darstellung als "Kultklub" und verteidigt Vorgehen

15.09.2024, Bayern, Augsburg: Fußball: Bundesliga, FC Augsburg - FC St. Pauli, 3. Spieltag, WWK-Arena. St. Paulis Torwart Nikola Vasilj, St. Paulis Hauke Wahl, St. Paulis Jackson Irvine , St. Paulis C ...
Für den FC St. Pauli geht es in dieser Saison vor allem um den Klassenerhalt in der Bundesliga.Bild: dpa / Harry Langer
Interview

FC St. Pauli will ein "Kulturklub" sein und verteidigt politische Haltung

25.10.2024, 14:41
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Von außen betrachtet, wirkt es wie ein riesiger Widerspruch. Hier der Verein mit der Totenkopfflagge, die aus der Punk- und Hausbesetzerszene stammt. Ein Klub, der die Dinge anders machen will im Milliardenbusiness Fußball-Bundesliga.

Auf der anderen Seite ist genau dieses Symbol, mit dem man den FC St. Pauli verbindet, in urbanen Szenevierteln in ganz Deutschland omnipräsent. Jeder Hipster, der was auf sich hält, drückt dem Verein die Daumen. St. Pauli ist ein "Kultklub", das ist ungeschriebenes Fußball-Gesetz in Deutschland.

"Die Hälfte der Menschen, die mit dem FC St. Pauli sympathisieren, interessieren sich nicht für Fußball."
St. Paulis Marketingchef Martin Drust

Im Interview mit watson erklärt der Marketingchef des Hamburger Bundesligisten, Martin Drust, warum St. Pauli gar kein "Kultklub" sein will und wie sich politische Einstellung und Milliardenbusiness Bundesliga miteinander vereinen lassen.

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watson: Martin, ist der FC St. Pauli ein Kultklub?

Martin Drust: Nein. Kultklub ist etwas, was wir gar nicht sein wollen.

Wieso nicht?

Das ist eine Zuschreibung, die von anderen gemacht wurde und denjenigen gegeben wird, die aus der grauen Masse herausstechen. Das Wort an sich mögen wir nicht. Das hat immer etwas Verklärerisches und Nostalgisches.

Was wollt ihr dann sein?

Wenn du sagst, wir sind ein Kulturklub, gebe ich dir recht. Wir sind eine Sport- und Kulturmarke, aber wie "Kult" verwendet wird, so wollen wir nicht gesehen werden.

Wie wird "Kult" denn verwendet?

Der Begriff ist ein bisschen zu sehr auf Spaß und Entertainment bezogen und was wir hier machen, ist ja durchaus auch ernst. Deshalb ist es viel mehr als „Kult“, aber das hängt auch immer mit dem Sprachverständnis zusammen.

Martin Drust vom FC St. Pauli *** NUR F
Martin Drust ist Leiter der Marketingabteilung beim FC St. Pauli. Bild: imago images / Funke Foto Services

Und wie verstehst du das Wort?

Für mich ist das eine Zuschreibung aus den 90ern im Sinne von cool und gut. Aber das ist zu oberflächlich und trifft den Kern des FC St. Pauli nicht.

Was ist euer Kern?

Wir sind, und das ist in dem Fall die richtige Interpretation, ganz stark durch die Subkultur des Punks geprägt. Der FC St. Pauli ist zu dem geworden, weil Personen aus dieser damals vorherrschenden Subkultur ins Stadion gegangen sind. Sie haben die Entwicklung angestoßen und vieles aus dieser Jugend-Subkultur ist noch tief in uns drinnen. Wenn du unsere Stadion-Playlist hörst, ist mir das manchmal sogar zu viel Punk (lacht). Zudem gibt es noch einen größeren Rahmen.

Welchen?

Dass wir einfach sehr stark mit dem Thema Kultur assoziiert werden. Bei uns findet einmal im Jahr die Millerntor-Gallery statt, da hängt das ganze Stadion voller Kunst. Zudem gibt es so viele Bands und Künstler:innen, die Freunde des Vereins sind und unseren Totenkopf tragen, ohne dass wir danach fragen.

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Die Totenkopf-Flagge und die politische Haltung der Fans gehören zu den Markenzeichen des FC St. Pauli. Bild: imago images / Andreas Hannig

Das führt aber auch dazu, dass der Totenkopf in urbanen Szenenvierteln in ganz Deutschland omnipräsent ist.

Die Milieus in Großstädten ähneln sich und die sprechen wir nicht unbedingt an, weil wir ein Fußballverein sind, sondern auch eine Haltungsmarke. Hier wären wir beim nächsten Punkt von Kultur.

Was heißt das?

Dass wir den Profifußball und uns als Verein in der Verpflichtung sehen, die Möglichkeiten, die man hat, für einen positiven gesellschaftlichen Wandel einzusetzen. Und damit bedienen wir nun einfach ein progressives Milieu in urbanen Gebieten – aber nicht ausschließlich dort. Unsere Studien zeigen auch immer wieder, dass gut die Hälfte der Menschen, die mit dem FC St. Pauli sympathisieren, sich nicht für Fußball interessieren.

Ärgert euch das?

Nein. Wir spielen trotzdem erfolgreichen Fußball und sind in die Bundesliga aufgestiegen. Es macht uns viel größer als wir eigentlich auf Basis der Pokale in den Vitrinen sein dürften. Wenn wir das aus Marketing-Perspektive betrachten, haben wir ein Potenzial außerhalb unseres Kerngeschäfts. Das kann kein anderer Fußballverein von sich behaupten.

Nutzt ihr dieses Potenzial voll aus?

Eigentlich zu wenig, denn es ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Aber natürlich referenzieren wir immer wieder mit dieser Zielgruppe, indem wir beispielsweise in unserem Aprilscherz verkündet haben, dass wir gendergerechte Sprache verpflichtend vorschreiben und unseren damaligen Trainer Fabian Hürzeler*in nennen. Diese Dinge finden meist eine weit größere Reichweite als sportliche Posts. Das heißt, wir tun ab und zu Dinge, die diese Erwartungen an uns erfüllen.

"Du wirst niemanden finden, der Totenkopf-Hoodie trägt und die AfD wählt."

Um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Nein, darum geht es uns nicht. Wir wollen zeigen, dass es auch anders in diesem Fußballgeschäft geht als "Sport Bild", Alfred Draxler, "Doppelpass" oder wer auch immer der Meinung ist, dass nur mehr Geld in dem System alles besser macht.

Als Teil des Milliardenbusiness Bundesliga könnt ihr euch den gängigen Mechanismen aber nicht komplett entziehen.

Unser Geschäftsmodell und unsere Positionierung sind für Sponsoren trotzdem attraktiv, wir realisieren davon nur nicht alles. Wir lassen von Sponsoren keine Eckball-Statistiken präsentieren oder vermarkten auch den Stadionnamen nicht.

Wie viel Geld geht dadurch verloren?

Unser Präsident Oke Göttlich hat in dieser Hinsicht mal von drei bis fünf Millionen Euro pro Saison gesprochen. Haltung bedeutet aber immer auch, dass man dabeibleibt, wenn es anfängt wehzutun. Wir haben uns für den schwierigen Weg entschieden und versuchen trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben. Und wir sind hinter Vereinen gleichen Zuschnitts nicht total hinten dran.

Um mitzuhalten, habt ihr eine Genossenschaft gegründet, damit Fans den Verein finanziell unterstützen können.

Anstatt zu lamentieren, versuchen wir jetzt diesen Ansatz zu fahren und im Profifußball mitzuhalten, denn dieser ist essenziell für uns. Er sichert nicht nur unsere Arbeitsplätze, sondern ist die Bühne für das, wofür der FC St. Pauli steht. Du wirst niemanden finden, der Totenkopf-Hoodie trägt und die AfD wählt. Je größer die Bühne dafür ist, desto besser.

Das habt ihr auch nochmal verdeutlicht, indem ihr eine linksgerichtete Schriftart präsentiert habt. Das sorgte für Wirbel.

Natürlich gab es die erwartbaren Reflexe, wenn man sich positioniert: "Politik hat im Sport nichts zu suchen", "gewinnt mal lieber Spiele", "alles wird politisiert". Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht überdrehen. Bei der Typografie haben wir es aber auch nicht richtig gut gemacht. Das arbeiten wir gerade auf.

Was habt ihr nicht gut gemacht?

Die Neigung ist nur eine Anwendung. Es sind sieben Schrifttypen in drei Schnitten, die inklusiv ist, für 200 Sprachen optimiert und viele Sonderzeichen beinhaltet. Das ist alles zu kurz gekommen. Aber bei der Kommunikation haben wir uns auf die Linksneigung mit der vermeintlich verbundenen Haltung konzentriert, um uns letztendlich auch mit Absicht ins Gespräch zu bringen.

Erwartet man von euch in dieser Hinsicht mehr als von anderen Vereinen?

Aus dem Blickwinkel der Leute, die uns gut finden: definitiv. Ich glaube auch, dass der eine oder andere Verein oder die Liga ganz froh ist, dass wir Dinge tun, damit sie passieren und andere sie nicht tun müssen.

Würdest du dir von anderen Vereinen mehr Engagement wünschen?

Das kann ich nicht beurteilen, denn das muss ja von der Organisation auch gewollt sein. Unsere eigene Richtung ist klar: Wir wollen die gesellschaftliche Verantwortung des Profifußballs ernst nehmen und zeigen, dass wir eine wirkliche Alternative sind.

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