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Olympisches Bogenschießen: Bogenschützin Lisa Unruh spricht über ihre Olympia-Ziele

Olympia-Medaillen-Gewinnerin Lisa Unruh
Lisa Unruh könnte bei Olympia in Tokio erneut eine Medaille gewinnenBild: imago sportfotodienst / Xinhua
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"Es wird erwartet, dass ich eine Medaille hole": Bogenschützin Lisa Unruh über den Druck, bei Olympia erfolgreich sein zu müssen – und das Doppel mit ihrem Mann

21.07.2021, 09:55
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2016 sorgte Lisa Unruh für einen historischen Erfolg. Die Berlinerin gewann völlig überraschend Silber im Bogenschießen bei Olympia in Rio. Es war die erste Medaille, die Deutschland jemals in dieser Disziplin holte. Fünf Jahre später startet Unruh erneut den Versuch – wobei sie eine Wiederholung des Erfolgs nicht so einfach sieht.

Im Interview mit watson berichtet die 33-Jährige über die gestiegene Erwartungshaltung. Sie beschreibt, warum sie den Team-Wettbewerb schöner findet und dass sie wegen einer Verletzung die Olympischen Spiele wohl verpasst hätte, wenn sie – wie ursprünglich geplant – im Sommer 2020 stattgefunden hätten.

watson: Frau Unruh, 2016 haben Sie Silber bei Olympia in Rio geholt. Fünf Jahre später fahren Sie nach Tokio. Was hat sich in dieser Zeit für Sie geändert?

Lisa Unruh: Normalerweise nimmt das mediale Interesse bei Randsportarten nach Olympia ab und wird erst wieder kurz vor den nächsten Spielen mehr. Das war für mich nicht so. Das Interesse war weiterhin groß, ich hatte Auftritte in Fernseh-Shows – und man wird auch hin und wieder erkannt.

"Jetzt wird erwartet, dass ich wieder eine Medaille hole. Und das will ich auch, aber so einfach ist das nicht."
Lisa Unruh, Silber-Medaillen-Gewinnerin von Olympia 2016

Wie schaut es mit der Erwartungshaltung aus?

Die ist definitiv größer. Jetzt wird erwartet, dass ich wieder eine Medaille hole. Und das will ich auch, aber so einfach ist das nicht. Natürlich ist es mein Ziel, einen geilen Schuss abzuliefern, selbstbewusst aufzutreten und konzentriert zu sein.

Aber?

Ich kann nur meine Schüsse beeinflussen, weder das Wetter, noch den Gegner oder andere Umstände. Ich vergleiche das Bogenschießen immer gerne mit Tennis.

Warum?

Weil man eine Final-Situation hat. Man spielt oder schießt gegen jemanden. Entweder man gewinnt und ist weiter – oder man verliert und ist raus, weil die Bogenschieß-Wettbewerbe im K.o.-Modus ausgetragen werden. Aber: Beim Tennis geht ein Match drei Stunden, bei uns nur zwölf Minuten.

Im Verhältnis natürlich extrem kurz…

Genau. Und genau deshalb müssen die Schüsse perfekt sitzen, damit der Gegner weggeknallt wird. Aber genau darum ist es schwer vorhersehbar, wie es laufen könnte.

"Als Team macht es doch viel mehr Spaß, zu gewinnen."
Lisa Unruh bevorzugt den Team-Wettbewerb

In einem Interview haben Sie mal gesagt, dass sie die Medaille von 2016 gerne im Team gefeiert hätten.

Das ist richtig. Als Team macht es doch viel mehr Spaß, zu gewinnen. Dazu haben wir jetzt mit Charline Schwarz und Michelle Kroppen die Möglichkeit, im Mannschaftswettbewerb eine zusätzliche Medaille zu gewinnen. Und sind wir ehrlich: Im Team zu feiern ist doch sowieso viel schöner.

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Lisa Unruh präsentiert ihre Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio.Bild: www.imago-images.de / imago sportfotodienst

Geben Sie den beiden auch Tipps für Olympia?

Nur, wenn es darum geht, was sie noch einpacken können. Wie man einen Wettbewerb schießt, wissen sie selbst (lacht). Das brauche ich ihnen nicht erklären und auch nicht die Trainerin zu spielen.

Neben den Mannschafts-Entscheidungen gibt es erstmals den Mixed-Wettkampf. Ihr Mann, Florian, wird mit der besten deutschen Schützin, also vielleicht Ihnen, antreten. Motiviert das extra?

Es ist eine super schöne Sache, mit dem Partner die Olympischen Spiele zu erleben. Letztlich haben wir bisher alle Wettkämpfe gemeinsam bestritten, nur die Olympischen Spiele noch nicht – es ist wie ein fehlendes Puzzleteil.

Das Ehepaar Lisa und Florian Unruh
Lisa und Florian Unruh könnten als Ehepaar beim olympischen Mixed-Wettbewerb im Bogenschießen antretenBild: imago sportfotodienst / Agencia EFE

Obwohl der Mannschafts- und der Mixed-Wettbewerb Anlass zur Freude geben, gibt es leider auch schlechte Nachrichten bezüglich Olympia. Weil die Corona-Zahlen wegen der Delta-Variante steigen, wird es keine Zuschauer geben.

Ich bin erstmal froh, dass sie überhaupt stattfinden. An den Spielen hängen viele Sportlerherzen, da ist es sehr wichtig, dass sie ausgetragen werden. Dass keine Zuschauer da sind, ist nicht schön und sehr schade, aber es ist scheinbar ein notwendiges Übel, um die Krankheit und die Infektionen so gering wie möglich zu halten.

"Als Sportlerin einer Radsportart begleitet einen die Sonderstellung des Fußballs die ganze Karriere über."
Lisa Unruh über Zuschauer bei der Fußball-EM

Empfinden Sie es als ungerecht, dass zum Beispiel die Fußball-EM vor Zuschauern stattfinden konnte, Olympia aber jetzt nicht?

Als Sportlerin einer Randsportart begleitet einen die Sonderstellung des Fußballs die ganze Karriere über – das ist so. Das wird auch immer so bleiben, aber darüber rege ich mich nicht auf, weil ich die Situation in Tokio nicht ändern kann.

Fällt aus rein sportlicher Sicht ein großer Teil des Drucks weg, wenn keine Zuschauer vor Ort sind?

Zwischen den Schüssen applaudieren und jubeln die Zuschauer. Das wäre schon schöner, wenn da auch bei Olympia Fans wären. Wenn beispielsweise noch nicht mal Tribünen stehen und man die Grillen zirpen hört, dann ist es doch etwas zu ruhig.

Ihnen fehlt also die Interaktion mit den Zuschauern.

Genau. So werde ich, nachdem ich geschossen habe, zwar winken, aber wem? Natürlich hängt da eine Kamera und die Menschen zu Hause sehen mich, aber die und deren Reaktion sehe ich ja selbst nicht.

"Olympia ist einfach etwas Besonderes, weil auch der Qualifikationsprozess extrem schwierig ist."
Lisa Unruh über die Bedeutung von Olympia

Kann man bei Olympia die Bedeutung des Turniers während des Wettkampfs irgendwie ausblenden?

Olympia ist einfach etwas Besonderes, weil auch der Qualifikationsprozess extrem schwierig ist. Es ist ein Privileg, da hinzufahren. Es ist mit so viel Wille und Ehrgeiz verbunden.

Was ist noch besonders an Olympia?

Das Zusammenleben im Olympischen Dorf ist ganz speziell. Man trifft andere Athleten von anderen Sportarten. Normalerweise hat man ja nur Kontakt zu Konkurrenten aus der gleichen 'Branche'. Aber das ist etwas ganz Besonderes. Trotz Einschränkungen, Maskenpflicht und Abstandsregeln hoffe ich, dass man wieder Kontakt zu ihnen bekommen kann.

Über die schwere Olympia-Qualifikation haben wir schon gesprochen. Im Oktober 2019 mussten Sie sich an der Schulter operieren lassen. Haben Sie damals gezweifelt, dass sie rechtzeitig fit werden?

Zu dem Zeitpunkt sollten die Spiele ja noch im Sommer 2020 stattfinden, aber Zweifel habe ich nicht zugelassen, weil ich positiv an die Sache rangegangen bin. Eine Sehne in der Schulter hatte einen Riss. Dadurch hat sie über den Knochen gerieben. Das hat geschmerzt, war unangenehm und beim Schießen habe ich gezittert. Die Sehne wurde wie ein Gürtel fixiert und funktioniert wieder einwandfrei.

"Die Olympia-Qualifikation hätte ich wohl nicht geschafft"
Lisa Unruh über ihre Verletzung Ende 2019 und die Folgen auf Olympia

Hätten Sie es zu Olympia im Sommer 2020 geschafft?

Zu den Spielen selbst hätte ich wohl eine vernünftige Leistung bringen können. Aber die Qualifikation davor hätte ich wohl nicht geschafft. Beim ersten Quali-Wettkampf im März 2020 wurde ich Sechste von sechs. Da hatte ich auch Trainingsrückstand.

Wie sind Sie während Verletzungen drauf?

Ich habe definitiv einen Bewegungsdrang und kann nicht einfach einen ganzen Tag auf der Couch entspannen – das ist furchtbar und dann fühle ich mich irgendwie asozial (lacht). Nach einem anstrengenden Tag ist das in Ordnung, aber nicht die ganze Zeit.

Was haben Sie gemacht, um der schlechten Laune zu entgehen?

Ich sag es mal so: Nach der Operation war ja nur der Arm in einer Schlinge und die Beine haben zum Glück funktioniert. Ich konnte noch immer spazieren gehen. Das habe ich in dieser Zeit sehr oft und lange gemacht und nach einer Woche habe ich dann mit der Reha angefangen und täglich zwei Stunden trainiert.

Sie haben sich also gar keine Zeit zum Zweifeln gegeben.

Nein, überhaupt nicht. Ich habe auch mit meinem Sportpsychologen gearbeitet. Ich bin meine Schüsse durchgegangen und habe sie mir vorgestellt. Das nennt sich ideomotorisches Training.

Wie läuft das genau ab?

Einerseits achte ich auf meinen Atem, zähle mit und versuche an nichts zu denken. Dann baue ich ein, dass ich mir meine Schüsse vorstelle. Das geht auf zwei Ebenen.

Wie sehen die aus?

Einerseits so, als wenn du dich selbst aus einer Kamera siehst. Du schaust dir vor deinem inneren Auge den Ablauf deines Schusses an, siehst die Körperhaltung, den Atem und wie du den Bogen spannst.

Ideomotorisches Training
Unter ideomotorischem oder mentalem Training versteht man die Verbesserung oder das Erlernen von Bewegungsmustern nur durch intensives Vorstellen der Bewegung beziehungsweise des Sports. Forschungen haben bewiesen, dass auch bei der Vorstellung die gleichen Muskel-Kontraktionen stattfinden, wie bei der Bewegungsausführung.

Und andererseits?

Bei der zweiten Technik bist du in dir drin und stellst dir einen normalen Schuss vor. Du versuchst so zu fühlen, wie du es in echt machen würdest – es ist im Prinzip dasselbe. Die Forschung hat auch festgestellt, dass selbst beim mentalen Training die gleichen Muskelkontraktionen stattfinden.

Welchen Vorteil bringt es?

Bogenschießen ist eine Sportart, die große technische Präzision erfordert. Deshalb ist diese Übung enorm gut, um den Bewegungsablauf zu festigen und immer wieder einzuüben. Dabei findet alles im Kopf statt.

Kann man so auch den Druck von großen Turnieren wie den Olympischen Spielen simulieren?

Das ist im Training ehrlicherweise sehr schwer. Mir persönlich helfen da einfach Wettkämpfe, Wettkämpfe und nochmal Wettkämpfe. Dort kann man Abläufe testen, die man im Training trainiert – und eine gewisse Erfahrung sammeln.

Sie schießen vier bis sechs Stunden täglich, machen dreimal Krafttraining und drei- bis viermal Yoga pro Woche. Dazukommen Meditationen und zwei Läufe pro Woche. Haben Sie auch manchmal keine Lust, Sport zu machen?

Solche Tage gibt es zwar, aber sie sind wirklich sehr selten. Dazu passt, dass wir eine coole Trainingsgruppe haben. Ich habe nie wirklich Motivationsschwierigkeiten, wenn es ums Training geht. Und ich sehe es auch so, dass es mein Job ist. Nur im Winter ist es manchmal schwierig.

Warum?

Wenn es draußen kalt ist und man dann in seiner Hütte sitzt und rausguckt, durch den Schnee stapft – das ist manchmal nicht so schön. Aber auch da muss ich diszipliniert sein, damit ich dann Erfolg habe.

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