Im Sommer 2020 freute sich der damalige Bayern-Boss Hasan Salihamidžić auf den "Unterschiedsspieler" Leroy Sané. Und der damals 24-Jährige hatte sich vorgenommen, "so viele Titel wie möglich zu gewinnen, und ganz oben steht dabei die Champions League".
Titel sammelte er mit vier deutschen Meisterschaften, dem Uefa-Supercup und der Klub-WM einige in München. Den Unterschied auf dem Weg Richtung Champions-League-Titel machte er jedoch nur selten, viel mehr waren seine Leistungen in den vergangenen vier Jahren ein stetiges Auf und Ab.
Dass die Bayern-Bosse ihm dennoch einen neuen Vertrag angeboten hatten, hat vor allem mit einem neuerlichen Formaufschwung unter Trainer Vincent Kompany zu tun. Und statisch absolvierte der Außenspieler mit elf Toren in der Bundesliga seine beste Spielzeit. (Und es wären sogar deutlich mehr möglich gewesen.)
Nun wird die Zusammenarbeit in gut zwei Wochen enden. Sané wird die Münchner nach 220 Spielen ablösefrei verlassen, nachdem Sané und die Klub-Verantwortlichen immer wieder betont hatten, weiter zusammenarbeiten zu wollen. So ergeben sich so einige Fragen, die jetzt natürlich beantwortet werden wollen.
Zuerst natürlich: Warum hat Leroy Sané so lange gezögert, um seine Entscheidung zu treffen?
Eigentlich war ein neuer Vertrag bereits ausgehandelt, doch dann wechselte Sané die Berater-Agentur. Dass der FC Bayern seine Offerte nicht nachbessern wird, machten die Bosse auch öffentlich immer wieder klar. Immerhin: Der Klub beweist Stärke, indem er den Sané-Forderungen rund um seinen neuen Berater Pini Zahavi nicht nachgekommen ist.
Mit seiner Entscheidung vier Tage vor Start der Klub-WM hat der 29-Jährige seinem Noch-Arbeitgeber keinen Gefallen getan. Statt nach einer langen Saison viel rotieren zu können oder im vergangenen Zehn-Tages-Transferfenster reagieren zu können, geht das Team mit Michael Olise und den ebenfalls inkonstanten Kingsley Coman und Serge Gnabry als Außenspieler ins Turnier – der Weg zum Titel dürfte etwas schwieriger werden.
Nun soll Galatasaray Istanbul die größten Chancen auf eine Sané-Verpflichtung haben. Laut "Bild" bieten sie ihm ein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro netto, Sky berichtet von bis zu zwölf Millionen Euro, laut "The Athletic" sollen es sogar 15 Millionen Euro sein. Nur seine Unterschrift und letzte Details würden noch fehlen. Das wirft die nächste Frage auf: Was will Sané dort?
Sportlich wäre ein Wechsel an den Bosporus das Todesurteil vor allem für seine Karriere in der Nationalmannschaft. Klar, die Fans und die Atmosphäre sind von einem anderen Stern, aber sportlich ist die türkische Liga Galaxien entfernt von Sanés eigentlichem Wunschziel Premier League und auch der Bundesliga.
Vize-Meister Fenerbahce hatte in der abgelaufenen Saison neun Punkte Rückstand auf Galatasaray, aber auch 20 Zähler Vorsprung auf Samsunspor auf Rang drei.
Zudem glänzen türkische Klubs international selten: Gala scheiterte in der vergangenen Saison in den Champions-League-Playoffs und flog in der Europa-League-Zwischenrunde gegen AZ Alkmaar raus. Fenerbahce, das Sané laut "Bild" ebenfalls mit ähnlichem Mega-Gehalt lockte, schied im Achtelfinale gegen die Glasgow Rangers aus. Und Besiktas überstand nicht einmal die Vorrunde.
Die drei absoluten Aushängeschilder sind kaum konkurrenzfähig. In der Zehn-Jahres-Wertung der Uefa rangiert Gala auf Platz 65 noch hinter den Stadtkonkurrenten Besiktas (Platz 55) und Fenerbahce (45). Dass Sané sich seinen Traum vom Champions-League-Titel noch erfüllen wird, ist ausgeschlossen.
Immerhin: Als türkischer Meister ist Galatasaray für die kommende Champions-League-Saison qualifiziert.
Klar, Sané ist in Istanbul unangefochtener Stammspieler und würde für einen Drei-Jahres-Vertrag ein fürstliches Gehalt bekommen. Doch von Julian Nagelsmann mit Blick auf die WM 2026 weiterhin regelmäßig nominiert zu werden, dürfte eine Mammutaufgabe werden.
Zwar würde er auch in der Türkei die neue Nagelsmann-Vorgabe erfüllen, dass nur Spieler zur WM fahren, die "Rhythmus und Spielpraxis" vorweisen.
Doch das will Nagelsmann im besten Fall jede Woche auf europäischem Top-Niveau in England, Deutschland, Spanien und Italien sehen. Weitere Nominierungen würde Sané nur rechtfertigen, wenn er zumindest im DFB-Team eine Konstanz in seine Leistungen bekommt – dass er das Talent dafür hat, ist unbestritten.
Wenn er nicht liefert, hat der Bundestrainer Alternativen. Mit Brajan Gruda, Ansgar Knauff, Jan Thielmann, Paul Nebel und Paul Wanner lauern einige U21-Nationalspieler im Hintergrund, die Sanés Position auf den Außen und hinter den Stürmern ausfüllen können. Ganz zu schweigen von Jamal Musiala und Florian Wirtz.
"Ich spüre etwas Besonderes in der Truppe. Da schlummert noch sehr viel Potenzial. Das wollen wir herauskitzeln", sagte Nagelsmann mit Blick auf die kommende WM. Fraglich, ob dann auch Sané zu dieser Truppe gehört. Denn dass der Bundestrainer auch nicht davor zurückschreckt, große Namen zu streichen, bewies er vor der Heim-EM im vergangenen Sommer.