Jérôme Boateng wird nun doch nicht zum FC Bayern zurückkehren. Bild: www.imago-images.de / STUDIO FOTOGRAFICO BUZZI SRL
Meinung
Auf X, ehemals Twitter, wurden sich wie so häufig bereits die Finger wund getippt, bevor auch nur irgendetwas feststand. Mittlerweile lässt sich sagen: anscheinend mit Erfolg. Denn der FC Bayern nimmt nun doch Abstand von einer Verpflichtung des ehemaligen Nationalspielers und Bayern-Profis Jérôme Boateng.
Dabei sollen die sportlichen Gründe nicht entscheidend gewesen sein. Wie die "Bild" berichtete, distanzierte sich der FC Bayern offenbar aufgrund des Strafverfahrens wegen schwerer Körperverletzung von einer Verpflichtung. Die Bayern schaffen somit einen Präzedenzfall.
Neu: dein Watson-Update
Jetzt nur auf Instagram: dein watson-Update!
Hier findest du unseren
Broadcast-Channel, in dem wir dich mit den watson-Highlights versorgen. Und zwar nur einmal pro Tag – kein Spam und kein Blabla, versprochen! Probiert es jetzt aus. Und folgt uns natürlich gerne
hier auch auf Instagram.
Denn bereits am Sonntag, als Boateng zum ersten Mal wieder in München mittrainierte, war klar, dass das Verfahren im Frühjahr wieder verhandelt wird. Die Verantwortlichen waren sich also durchaus bewusst, was eine Verpflichtung bedeuten würde – für den Verein, die Marke und vor allem die Außendarstellung.
FC Bayern bezeichnete Anschuldigungen als "private Angelegenheit"
Bayerns Sportdirektor spielte die Vorwürfe dennoch als "private Angelegenheit" runter, Trainer Thomas Tuchel appellierte an die Unschuldsvermutung. Zeit zu fragen: Was ist denn nun mit der Unschuldsvermutung?
Jérôme Boateng stand in München zuletzt wegen Körperverletzung vor Gericht.Bild: dpa / Sven Hoppe
In Anbetracht der überraschenden Kehrtwende lässt sich die Erklärung einzig und allein auf das Diktum der öffentlichen Meinung zurückführen. Die aktive Fanszene soll Proteste bereits geplant haben, in den sozialen Medien wurde die einhellige Meinung vertreten, der FC Bayern hätte seinen moralischen Kompass nun endgültig verloren.
Bei der bayerischen Fangemeinde gab es bereits früher Kritik an Entscheidungen des Vereins, beispielsweise an der Kooperation mit der katarischen Fluggesellschaft Qatar Airways. Im Juni wurde die Zusammenarbeit eingestellt – dem Vernehmen nach ging die Initiative aber von Katar aus, nicht vom Verein.
Causa Boateng: Vorverurteilung fängt früher an
Dabei stand der FC Bayern noch nie in Verdacht, sich von irgendwem in seine Handlungspraxis hereinreden zu lassen, geschweige denn von einer vermeintlich links-woken sozial-medialen Öffentlichkeit. Umso überraschender wirkt nun das Urteil der Bayern in der Causa Boateng.
Das führt zu der Frage, wie wir als Gesellschaft mit Personen umgehen, die aufgrund mutmaßlicher Straftaten vor Gericht stehen oder standen. Denn Tatsache ist, dass das Urteil einer zunehmend moralistischen Öffentlichkeit im Internet schon weit früher gefällt wird als das Urteil vor Gericht.
Gleichermaßen steht auch fest, dass ein Freispruch nicht bedeutet, sich nichts zuschulden kommen gelassen zu haben. Im vergangenen Herbst bezeichnete der zuständige Richter in seiner Urteilsbegründung den Sachverhalt im Boateng-Fall als "mehr als nachgewiesen".
Was passiert, wenn Boateng freigesprochen wird?
Sollte Boateng im kommenden Jahr nun tatsächlich freigesprochen werden, werden die turnusmäßigen Rufe nach einer Cancel Culture zu hören sein, die in ihrer Überheblichkeit Karrieren zerstört. Nach einem woken Mob, der vor nichts mehr haltmacht. Auch damit würden sich die Bayern dann konfrontiert sehen.
Das mag alles bei Jérôme Boateng und in vielen, vielen anderen Fällen nicht zutreffen. Was aber ist, wenn es aus Sicht derer, die bei dem Gerücht um eine Rückkehr von Jérôme Boateng wutentbrannt ihre Meinung kundtaten, einmal die "falsche" Person trifft – wie beispielsweise die ursprünglich für Achtsamkeit und Linksliberalismus stehende Sängerin Lizzo? Sollen dann andere Maßstäbe geltend gemacht werden?
Es ist schlicht schwer möglich, sich in einem Klima der Vorverurteilung gesellschaftlich zu rehabilitieren – unabhängig von dem letztlichen Urteil. Welche Ausmaße das annimmt, zeigt sich auch im Fall der verzögerten Reaktion des FC Bayern auf Jérôme Boateng: Der öffentliche Aufschrei hat etwas bewirkt. Eben jener Aufschrei mag häufig begründet sein, manchmal aber eben nicht. Und das wird dann zum Problem.
In seiner Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
Nachdem das Ergebnis der TV-Rechtevermarktung bekannt ist, stellt sich die Frage nach der Verteilung. 36 DFL-Klubs sind von den Erlösen dieses Deals wirtschaftlich abhängig. Je nach Zuweisung mal mehr und mal weniger.