Die deutsche Presse hat sich auf Lucien Favre eingeschossen. Nach einem auf den ersten Blick durchwachsener Saisonstart scheint der Schweizer Trainer von Borussia Dortmund überall das heißeste Gesprächsthema zu sein. Die "Sport Bild" brachte gestern gar schon einen ersten Nachfolger ins Spiel: José Mourinho soll es sein, falls oder gar wenn Favre entlassen wird.
Eine Meldung, die BVB-Sportchef Michael Zorc sogleich dementierte: "Präsident Watzke und Mourinho haben eine Männerfreundschaft, die schon seit vielen Jahren besteht. Der Artikel entbehrt jeglicher Substanz. Wir führen keine Trainerdiskussion. Wir sind froh, dass wir Lucien Favre haben."
Dass die Diskussion – von Fans und Medien – dennoch geführt wird, hat sich der BVB teilweise auch selbst zuzuschreiben. Vor dem Saisonstart gab Dortmund offen den Meistertitel als Saisonziel aus. Favre war zwar damit einverstanden, doch richtig begeistert klang er damals nicht über die forsche Formulierung: "Ich habe mein Okay gegeben, es so zu kommunizieren", sagte der 61-Jährige vor dem Saisonstart.
Diese angriffslustige Kommunikation, die guten Transfers und die hervorragenden Resultate in der Vorbereitung schürten die Erwartungen. Deshalb folgte bald die Ernüchterung, als sich der BVB bei Aufsteiger Union Berlin eine 1:3-Niederlage abholte. Und die Stimmung wurde nach drei Unentschieden in Folge gegen Frankfurt, Bremen und Freiburg natürlich nicht besser. Da half selbst der knappe Sieg gegen Tabellenführer Borussia Mönchengladbach am vergangenen Wochenende nicht.
So hatte man das Gefühl, dass Favre gegen Inter auswärts in Mailand einen Sieg oder wenigstens einen Punktgewinn gebraucht hätte, um die Gemüter wieder etwas zu beruhigen. Es gab stattdessen ein 0:2 – und wieder einiges an Kritik zur Leistung der Schwarz-Gelben.
Dabei vergisst man, dass die "Nerazzuri" derzeit die zweitstärkste Kraft in der Serie A sind. Mit Antonio Conte haben sie einen der besten, eine der international renommiertesten Trainer an der Seitenlinie. Inter liefert sich mit Serienmeister Juventus Turin ein Rennen um die Tabellenführung, das Team ist also ein Gegner, der sich mit Dortmund mindestens auf Augenhöhe befindet.
Zudem ist für den BVB noch nichts verloren. Man liegt in der Bundesliga zwar "nur" auf Platz vier, doch das punktgleich mit den Bayern und nur einen Zähler hinter Tabellenführer Gladbach. Auch in der Champions League ist mit vier Punkten aus drei Spielen noch alles möglich. Mit zwei Siegen in den Rückspielen gegen Slavia Prag und Inter sollte die Qualifikation für die Achtelfinals schon fast gesichert sein.
Statt alle Schuld dem Trainer zuzuschieben, ist es vielleicht an der Zeit einzugestehen, dass die Mannschaft nicht ganz die Qualität hat, die ihr vor der Saison zugeschrieben wurde. Die Abwehr um Mats Hummels und Manuel Akanji ist wacklig und nach vielen späten Gegentoren auch mental angeschlagen.
Und wenn das Spiel gegen Inter eines gezeigt hat, dann dass Dortmund ohne Kapitän Marco Reus und Torjäger Paco Alcacer die Durchschlagskraft fehlt. Da helfen auch die großen Namen von Thorgan Hazard, Jadon Sancho und Julian Brandt nicht weiter.
Verteidigt wurde der Schweizer Trainer auch von Frankfurts Sportdirektor Fredi Bobic bei Sky: "Wenn man Lucien Favre holt, dann weiß man, man holt einen top Fußballtrainer. Alles bei Dortmund auf den Trainer zu legen, weiß ich nicht, ob so etwas so richtig ist." Favre bekam auch Unterstützung von seinem ehemaligen Chef Max Eberl: "Die aktuelle Kritik an ihm ist definitiv überzogen", sagte der Gladbacher Sportdirektor, der von 2011 bis 2015 mit Favre bei den Fohlen zusammenarbeitete, dem gegenüber "T-Online". "Der Saisonstart in diesem Jahr verlief nicht herausragend, aber auch nicht schlecht. Lucien jetzt von außen so zu bewerten, wie es aktuell getan wird, ist überzogen."
Klar ist aber auch: Wenn Favre die Gemüter in Dortmund beruhigen will, dann braucht es am Samstag (15.30 Uhr/Sky) einen Sieg im Revierderby gegen Schalke.