Joachim Löw übernahm das Amt des Bundestrainers nach der WM 2006 von Jürgen Klinsmann.Bild: Christopher Neundorf/Kirchner-Me / Christopher Neundorf/Kirchner-Media
Meinung
09.03.2021, 13:2609.03.2021, 16:03
Der Deutsche Fußball-Bund und Jogi Löw machten in ihrem Statement am Dienstagvormittag relativ schnell und deutlich klar, was die Stunde geschlagen hat: "Joachim Löw wird seine Tätigkeit als Bundestrainer nach der Europameisterschaft im Sommer 2021 beenden." Eigentlich lief Löws Vertrag noch bis zur WM 2022, doch der 61-Jährige bat den Verband um die Auflösung nach dem Turnier im Sommer. Löws Entscheidung kommt jedoch gut drei Jahre zu spät. Sein Ehrgeiz in allen Ehren, aber nach dem peinlichen WM-Aus 2018 wäre ein Rücktritt die einzig richtige Entscheidung gewesen.
Natürlich, Fußball-Deutschland ist Joachim Löw und seinen fußballerischen Erfolgen mit der Deutschen Nationalmannschaft auf ewig zu Dank verpflichtet. Eine Ansammlung von elf Akteuren, denen vor allem die Eigenschaften "kämpfen, laufen und niemals aufgeben" zugeschrieben wurde, entwickelte er kontinuierlich zur besten Fußballmannschaft der Welt weiter.
2014 führte Löw (Mitte) das DFB-Team zum WM-Titel. Bild: picture alliance / Frank Hoermann/SVEN SIMON
Wer erinnert sich nicht gern an den Abend des 13. Juli 2014 zurück? Mario Götze trifft in der 113. Minute im Finale gegen Argentinien und schießt Deutschland zum vierten WM-Triumph in der Geschichte. Herberger, Schön, Beckenbauer und Löw – der Breisgauer steht als Weltmeistertrainer in einer Reihe mit den ganz Großen des deutschen Fußballs. Aber schon damals wurden Stimmen laut, die Löw zum Rücktritt rieten. Ihr Argument: "Wie viel besser kann es noch werden?"
Seit drei Jahren stagniert die DFB-Elf in ihrer Entwicklung
Doch natürlich war es dem Coach auch nicht zu verübeln, mit dem WM-Team, unterstützt von jungen, talentierten Akteuren wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka, 2016 auch nach dem EM-Titel greifen zu wollen. Doch beim Halbfinal-Aus gegen Frankreich war beim deutschen Team erstmals zu erkennen, dass die Entwicklung stagniert.
Löw blieb und verantwortete so auch das peinliche Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Die zuvor oft gelobte Teamchemie stimmte überhaupt nicht, genauso wie Löws fußballerischer Ansatz. Seine 17-jährige Amtszeit wird für immer mit dem größten Erfolg und dem katastrophalsten Scheitern einer DFB-Elf bei einer Weltmeisterschaft verbunden sein.
Doch statt endgültig einen Schlussstrich zu ziehen, schmiss er nach dem Vorrundenaus die einstigen WM-Helden Hummels, Müller und Boateng aus dem Kader. Löw wollte einen erneuten Umbruch einleiten, der bisher alles andere als gut verläuft.
Nach der 0:6-Pleite wirkte der Bundestrainer ratlos. Bild: GES-Sportfoto / Angel Martinez
Denn wer meinte, es könnte gar nicht schlimmer um die DFB-Elf stehen, wurde Mitte November 2020 doch noch eines Besseren belehrt. Spätestens nach der 0:6-Niederlage gegen sich ebenfalls im Umbruch befindende Spanier hätte Löw erkennen müssen, dass die Mannschaft einen frischen Impuls braucht. Der Coach galt lange als unantastbar, doch nach dem Debakel hatte selbst DFB-Präsident Fritz Keller Zweifel an Löws Tauglichkeit.
Um vor allem auch wieder Zuschauer anzulocken – sobald Corona das wieder zulässt – braucht das Nationalteam ein neues Gesicht. Der DFB kämpft seit Jahren damit, dass die Stadien bei den Spielen nicht mehr ausverkauft sind. Selbst in Zeiten der Corona-Pandemie stehen die Einschaltquoten der Nationalmannschaft so schlecht wie seit 20 Jahren nicht mehr.
Holt Löw Müller, Hummels und Boateng auf seiner Abschiedstour zurück?
In zwei Wochen stehen mit den Partien gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien die nächsten Spiele in der WM-Qualifikation an. Statt Fragen zu einer möglichen Rückkehr von Thomas Müller, Mats Hummels oder Jerome Boateng beantworten zu müssen, nimmt Löw nun jeglichen Fokus von der Mannschaft. Mit seiner frühen Ankündigung lässt er dem DFB aber genug Zeit, um einen geeigneten Nachfolger zu finden.
Doch gerade im Hinblick auf das Turnier werden die Fragen nach den Weltmeistern von 2014 nicht weniger.
Mit einer erneuten Nominierung des Trios würde Löws Umbruch als gescheitert gelten und die Frage nach den nachkommenden Talenten beim DFB noch ein Stück größer werden lassen. Immerhin hat es der 61-Jährige noch geschafft, Bayern Münchens Super-Talent Jamal Musiala vom DFB zu überzeugen und somit den Umbruch ein klein wenig vorangetrieben.
Vielleicht laufen Mats Hummels , Thomas Müller und Jerome Boateng (v.l.n.r.) nochmal im DFB-Trikot auf. Bild: Sven Simon / Frank Hoermann/SVEN SIMON
Umbruch hin oder her: Der Bundestrainer machte bereits deutlich, dass der sportliche Erfolg für ihn über allem steht. Daher wäre es nur logisch, zumindest auf Thomas Müller zu setzen. Und auch Hummels und Boateng könnten dem Team mit ihrer Erfahrung in kritischen Phasen eines Turniers helfen.
Es wäre dem 61-Jährigen zu wünschen, dass er zum Abschied auch noch die Europameisterschaft gewinnt. Löw und drei von ihm zunächst aussortierte Akteure des WM-Teams von 2014 holen zum Abschied ihres Trainers den EM-Titel – es wäre eine märchenhafte Story.
Doch die Gruppe mit Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal und Außenseiter Ungarn lässt in der aktuellen Verfassung des Teams eigentlich nur wenig Hoffnung aufkommen.
"Ich gehe mit voller Stolz", verkündete Löw. Bei seinen Verdiensten um das DFB-Team ist das allemal gerechtfertigt. Aber es wäre schon einige Jahre zuvor angebrachter gewesen.
An einem Wochenende mit vielen Diskussionen über die Leistungen der Bundesliga-Schiedsrichter stach eine Szene heraus: der Platzverweis von Atakan Karazor. Im Zweikampf mit Wolfsburgs Maximilian Arnold hatte der Profi des VfB Stuttgart die Stollen seines Gegenspielers abbekommen – und doch war er derjenige, der in dieser Szene die verhängnisvolle zweite Gelbe sah.