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Deutschland schmückt sich selbst vor allem mit zwei Dingen: Mit einer "deutschen Ingenieurskunst" – die vor allem darauf fußt, in schnellen Autos noch schneller durch die Gegend zu fahren – und dem Ruf, als Land der Dichter und Denker zu gelten. Ob nun zutreffend oder nicht: Oliver Goethe vereint in seiner Person beide Tugenden.
Denn Oliver Goethe ist als eine der größten deutschen Motorsporthoffnungen Pilot in der Formel 3 und gleichzeitig nach eigenen Angaben ein Nachfahre des berühmtesten aller deutschen Dichter: Johann Wolfgang von Goethe.
"Ich bin mit ihm verwandt, meine Oma und mein Vater haben mir das gesagt", erzählt der 19-Jährige im Gespräch mit watson über seinen Namensvetter. "Ich selbst bin unsicher, wie nah wir mit ihm verwandt sind. Aber mir wurde gesagt, dass er definitiv im Familien-Stammbaum ist, was sehr cool ist. Es ist ziemlich ironisch, wie unterschiedlich die Berufe jetzt sind."
Statt um Worte ringt er nach Luft, anstelle der Feder schwingt er sich in die Kurven. In der zurückliegenden Saison fuhr Goethe zum ersten Mal über die gesamte Dauer als Stammpilot in der Formel 3 für das italienischen Team Trident Racing. Bereits im Jahr zuvor nahm er an zwei Rennwochenenden teil, damals für das Team Campos Racing. Für ihn ist klar, wo es einmal hingehen soll:
"Das Langzeit-Ziel und der absolute Traum ist die Formel 1. Jeder, der in der F3 antritt, hat den gleichen Traum." Das sei definitiv möglich, sagt er selbstbewusst, "auch wenn es sicherlich schwer ist. Einige schaffen es und ich sehe keinen Grund, weshalb ich es nicht schaffen sollte".
Mit Audi geht ab 2026 passenderweise auch ein deutsches Team in der Formel 1 an den Start. "Das wäre ein Traum, in einem deutschen Team zu sein", sagt Goethe. "Aber ich wäre froh, in überhaupt irgendeinem F1-Team zu sein."
Profitieren kann er in seiner noch jungen Karriere auch von seinem Vater. Roald Goethe war früher selbst Autorennfahrer, nahm regelmäßig an GT-Rennen sowie an der European- und American Le Mans Series teil. Auch im Hinblick auf die Sprache sei er eine Unterstützung.
"Ich lerne es langsam, aber sicher", sagt Oliver Goethe zu seinen Deutschkenntnissen. "Ich muss aber von Beginn an anfangen, habe es nie wirklich gesprochen, weil ich in England aufgewachsen bin. Manchmal spricht mein Vater mit mir auf Deutsch. Ich will es lernen, weil ich stolz bin, das Land zu repräsentieren."
Goethes Vater ist Deutscher, seine Mutter Dänin. Früher ist er noch unter dänischer Flagge gefahren, in der Formel 3 kurz unter monegassischer und nun unter deutscher.
"Ich habe mich für Deutschland entschieden. Es war eine schwierige Entscheidung, weil ich Familie von beiden Seiten habe. Außerdem gibt es nicht viele deutsche Fahrer bei den Einsitzern. Deshalb fühle ich mich sehr stolz, das Land zu repräsentieren." Genau das kann ihm nun auch von Vorteil sein.
Seitdem Mick Schumacher (ebenfalls mit berühmtem Nachnamen gesegnet) im vergangenen Jahr seinen Formel-1-Platz im Haas-Cockpit verloren und Sebastian Vettel seine Karriere beendet hat, fehlt es in Deutschland an Identifikationsfiguren. Nico Hülkenberg vermag es nicht, das Vakuum auszufüllen. Dem globalen Trend entgegenlaufend, nimmt die Begeisterung für die Formel 1 hierzulande ab.
Ein junger, aufstrebender Fahrer aus Deutschland, dem Land der Rasenden, noch dazu mit dem Nachnamen Goethe – viel passender scheint eine Besetzung nicht sein zu können. In seinem ersten kompletten Jahr kann er bereits auf eine eindrucksvolle Premierensaison zurückblicken. Auch wenn es noch Luft nach oben gibt.
"Es gab Höhen und Tiefen und war nicht ganz so konstant, wie ich es sein wollte", sagt Goethe. "Es gab unglückliche und glückliche Moment, aber mehr Konstanz und ich hätte noch weiter oben angreifen können. Aber letztlich war es ein positives Jahr."
Insgesamt wurde Goethe Achter in der Gesamtwertung, mit einem Sieg in Silverstone, der "offensichtlich das Highlight" war, wie er erzählt. In Monza, dem letzten Rennen im Kalender, holte er die Pole-Position und sicherte seinem Teamkollegen Gabriel Bortoleto dadurch den Weltmeistertitel. "Ich habe ihm gesagt, dass er mir danken muss", sagt Goethe mit einem Augenzwinkern über seine Hilfestellung.
Und dennoch: Wenn der große Traum von der Formel 1 in Erfüllung gehen soll, bedarf es einer Steigerung. Wie es für ihn im nächsten Jahr weitergeht, wisse er noch nicht, die Formel 3 oder die Formel 2 werde vermutlich der nächste Schritt sein, sagt Goethe. Für Stagnation bleibt keine Zeit.
"Du brauchst, glaube ich, ein überragendes Rookie-Jahr in der Formel 2, in dem du einen sehr guten Eindruck machst und um die Meisterschaft kämpfst", sagt Goethe. "Dann gibt es die Möglichkeit, direkt in die Formel 1 zu kommen. Wenn du im zweiten Jahr die Formel 2 gewinnst, ist es definitiv möglich. Sobald du ein drittes Jahr in der Formel 2 brauchst, wird es schwierig."
Gleichzeitig brauche man aber auch die richtigen Verbindungen. Und Vorbilder. Aktuell bewundere er vor allem die Dominanz von Max Verstappen, dem amtierenden und neuen Formel-1-Weltmeister. Aber auch ein Landsmann diene ihm als Inspiration – in mehrfacher Hinsicht. "Als ich kleiner war, habe ich super gerne Sebastian Vettel auf und neben der Strecke beobachtet", sagt Goethe. "Er ist eine großartige Persönlichkeit. In seinen jungen Jahren war er schon ein starker Fahrer."
Auch wenn er sich derzeit selbst noch nicht in der Position sehe, auf gesellschaftspolitische Themen aufmerksam zu machen, stimme er Vettel in seinen Bemühungen zu und bewundere ihn für sein Engagement, insbesondere für Nachhaltigkeit.
"Im Moment bin ich nicht wirklich auf dem Niveau, dass ich die öffentliche Aufmerksamkeit und die Fans habe, um darüber zu reden", sagt Goethe. "Sobald man bekannt ist und einen großen Einfluss auf solche Dinge hat, würde ich darüber nachdenken."
Im kommenden Jahr kann Oliver Goethe voraussichtlich auch seine volle Konzentration auf den Motorsport lenken. "Ein Jahr muss ich noch in die Schule und den Rennsport damit unter einen Hut bringen", sagt Goethe. Er versuche, damit vor der kommenden Saison fertig zu werden. Bei welchem Team er am Steuer sitzen wird und ob in der Formel 3 oder der Formel 2 ist allerdings noch offen.
