Susie Wolff hätte es kaum drastischer formulieren können. "Wenn das nicht funktioniert", sagte Wolff über die neu gegründete F1-Academy, "dann funktioniert gar nichts".
2023 wurde die F1-Academy erstmals ausgetragen, als neue Rennserie ausschließlich für Frauen. Zuvor musste die W-Series als erste rein weibliche Rennserie Insolvenz anmelden. Es dürfe keine "Eintagsfliege" sein, sagte Wolff, die seit März 2023 als Geschäftsführerin der F1-Academy dafür verantwortlich ist. "Denn dann gibt es keine Chance für eine größere Vielfalt im Sport."
Carrie Schreiner kann die Drastik dieser Aussagen verstehen. "Es ist ihr Baby, sie hat da alles hineingesteckt und wirklich etwas Tolles erreicht", sagt sie im Gespräch mit watson.
Schreiner tritt seit der ersten Saison bei der F1-Academy an, damals noch für das französische Team ART Grand Prix. Dabei landete die 25-Jährige auf dem elften Rang und feierte in Zandvoort sogar einen Sieg.
Mittlerweile, in der zweiten Saison, fährt sie für Campos Racing. Und das sogar mit Unterstützung aus der Formel 1: Sie ist gleichzeitig im Nachwuchsprogramm des Traditionsrennstalls Sauber. Von den 15 Fahrerinnen in der F1-Academy werden zehn von je einem Formel-1-Team unterstützt.
"Es fühlt sich toll an, eine solche Unterstützung zu haben", sagt Schreiner. Anfang des Jahres habe sie einen Fitnesstest bei Sauber absolvieren können, ihr wurde die Factory im schweizerischen Hinwil gezeigt und sie durfte auch bereits im Formel-1-Simulator fahren. "Das sind Sachen, die ich vorher noch nie erlebt habe und dafür bin ich sehr dankbar."
Ein Großteil, sagt Schreiner, sei "finanzieller Support". In diesem Jahr sei alles etwas teurer geworden, "allein schon durch die ganzen Reisekosten zusammen mit der Formel 1".
"Man ist aber auch immer im Austausch, nach allen Sessions, nach allen Rennen", sagt Schreiner. "Da wird einem viel geholfen und auch auf Sachen geachtet, die man selbst oder auch das Team Campos nicht sieht."
Die Saison 2024 der F1-Academy umfasst sieben Rennen, die an den jeweiligen Rennwochenenden der Formel 1 stattfinden. Die Orte: das saudische Dschidda, Miami, Barcelona, Zandvoort, Singapur, Lusail in Katar und Abu Dhabi.
Das sei das Privileg, in der F1-Academy zu fahren, sagt Schreiner. "Dass wir an einigen der schönsten Orte der Welt sein dürfen." Bei einigen Reisezielen versuche sie auch "eine Woche oder zumindest ein paar Tage dranzuhängen".
Laut Susie Wolff seien nicht alle Formel-1-Teams davon überzeugt gewesen, die F1-Academy von der zweiten Saison an zu unterstützen: "Ein Teamchef sagte zu mir: 'Die F1-Academy klebt doch nur ein Pflaster auf das Problem. Wollt ihr wirklich versuchen, das Problem zu lösen?'"
Das Problem: Der Motorsport ist überwiegend männerdominiert. In der Geschichte der Formel 1 haben nur zwei Frauen jemals an einem Rennen teilgenommen. Maria Teresa de Filippis in den 50ern und Lella Lombardi in den 70ern.
Was es braucht, ist eine Breitenförderung des Sports, sagte Wolff. Gerne hätte sie sich den Luxus gegönnt, dass die Rennserie einfach nur "existieren und den Fortschritt vorantreiben könnte". Aber: "Es muss viel mehr sein, denn sonst werden uns in ein paar Jahren einfach die Fahrerinnen ausgehen".
Carrie Schreiner glaubt, dass die F1-Academy genau dieses Problem auch wirklich angeht. "Es ist einfach so, dass es wenig Frauen im Motorsport gibt. Das kann man nicht kleinreden", sagt sie. "Und jede Förderung und jede Unterstützung hilft da natürlich."
Davon sind nicht alle überzeugt. Sophia Flörsch, ebenfalls deutsche Rennfahrerin, sagte im Gespräch mit watson, es sei für sie "nie eine Option" gewesen, an der F1-Academy teilzunehmen. "Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich gegen die besten in meinem Sport fahren möchte. Das sind einfach Männer. Männer sind noch die Messlatte, die es zu schlagen gilt."
Die Autos, die in der Rennserie zum Einsatz kommen, liegen ungefähr auf Formel-4-Niveau. Die letztjährige F1-Academy-Gewinnerin Marta Garcia erhielt ein Cockpit in der Formula Regional, die noch unter der Formel 3 einzuordnen ist.
Carrie Schreiner verfolgt aber einen anderen Ansatz als Flörsch. "Seitdem ich Motorsport mache, bin ich immer nur gegen Männer gefahren. Ich sehe das nicht so, dass man jetzt nur noch gegen Frauen fährt, sondern dass die Serie als Ausbildung und Sprungbrett für Frauen im Motorsport dient", sagt Schreiner.
Noch nie habe es so eine nachhaltige Förderung für Frauen im Motorsport wie in der F1-Academy gegeben. Man könne sich dort messen und zeigen, dass man zu den besten Frauen der Welt gehört. "Und je mehr es gibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch mal eine in die Formel 1 schafft", sagt Schreiner. Sie glaube, dass es "in den nächsten zehn Jahren" eine Frau in die Formel 1 schaffen könne.
Bislang gibt es nur sieben Rennen in der F1-Academy, entsprechend sind die Pausen zwischen den einzelnen Rennen relativ lang. Die Zeit dazwischen, sagt Schreiner, nutze sie für Fitnesstraining und Testtage. "Vielleicht auch mal einen Gaststart fahren in einer anderen Formel-Serie."
Für die Zukunft würde sie sich zwar wünschen, dass es mehr als sieben Rennen geben werde, das sei aber auch immer eine Budgetfrage. "Jeder möchte so viel fahren wie möglich, aber das ist oft einfach nicht machbar."
Ohnehin sei sie bereits jetzt ausgelastet, selbst bei Rennpausen habe sie "dann doch fünf, sechs Termine". Sie glaube auch nicht, "dass es in Zukunft 30 Rennen geben wird, das ist für Nachwuchsfahrer aktuell schon ein gutes Programm".
Ab 2026 steigt mit Audi ein deutscher Automobilhersteller in der Formel 1 ein und übernimmt den Platz von Sauber. "Ich finde das extrem cool und positiv", sagt Schreiner. "Ich habe ja auch eine gewisse Historie mit Audi, ich bin schon einige Jahre im GT3 und GT4-Bereich mit der Marke gefahren."
Für sich selbst schätzt sie die Chancen aber nicht sonderlich hoch ein, in ihrer Karriere noch einmal in der Motorsport-Königsklasse zu fahren. "Ich bin so nah dran wie noch nie", sagt Schreiner. "Aber ich bin auch realistisch: Ich bin 25 und werde in diesem Jahr noch 26. Leider kam die Serie etwas zu spät." Sie würde niemals nie sagen, "aber natürlich ist es in meinem Alter noch schwieriger, als wenn ich gerade angefangen hätte".
Für dieses Jahr sei es ihr Ziel, "regelmäßig unter die ersten fünf zu fahren und ein Top-fünf-Resultat in der Meisterschaft zu erreichen". Die Serie sei noch mal um einiges stärker geworden als im letzten Jahr. "Es sind einige dabei, die schon in anderen Serien richtig gute Jungs geschlagen haben."
Als Lebensziel muss es auch gar nicht unbedingt die Formel 1 sein. "Mein Traum ist es, vom Motorsport leben zu können", sagt Schreiner. "Egal, in welcher Serie."