Fans und Stimmung sind zurück! Mancherorts in einer Weise, die nicht jedem gefällt: Pyrotechnik, Nebel, Schmähgesang, kritische Banner und in Berlin gar die Forderung an die Hertha Spieler: "Legt die Trikots ab!"
Letzteres ist eine Demonstration von Macht, wie wir sie seit mehr als zwei Jahren im Fußball nicht mehr erlebt haben. Auch deshalb ist die Einordnung und Bewertung solcher Szenen schwierig.
Der prominente Hertha-Manager Fredi Bobic tut es trotzdem: "Die Jungs aufzufordern, das Trikot abzugeben" und zu behaupten, sie seien "es nicht wert, dieses Trikot zu tragen: Da wird eine Linie überschritten, die aus meiner Sicht nicht okay ist". Die Spieler um den gebürtigen Berliner Maximilian Mittelstädt taten es trotzdem. Auch, um die aufgeheizte Situation zu beruhigen.
Was geht da gerade ab? Was bedeutet die Forderung nach dem Ablegen der Trikots? Wer ist es wert, für die Hertha oder jeden anderen Verein in der Bundesliga zu spielen? Zählt da vielleicht etwas anderes als das fußballerische Können? Sind die Spieler tatsächlich die richtigen Adressaten für diese Demütigung? Oder sollten eher die Bosse aus der Klubführung angesprochen werden? Ist der Umweg über die Spieler fair?
So viel steht fest: Im Fußball wird nicht nur um Tore und Punkte gespielt. Neben dem eigentlichen Spiel findet immer auch ein Machtkampf zwischen der Kurve und denjenigen statt, die den Fußball lenken und damit Geld und Macht anhäufen. Je weiter sich beide Lager voneinander entfernen, desto lauter und deutlicher wird dieser Machtkampf. Im Kern geht es darum zu klären, wem das Spiel gehört.
Diese Ausgangslage klingt nach Kulturkampf: "Arm gegen Reich", "Unten gegen Oben", "Basis gegen Spitze". Hierzu passt der Slogan: "Wir holen uns das Spiel zurück".
Der ist genauso alt wie die Geschichte des kommerziellen Fußballs. Die sich dahinter verbergende Idee wendet sich gegen den Versuch, dass finanzkräftige Investoren, Unternehmen oder andere Gruppen mit ihrem Geld das Spiel bestimmen (wollen). Dabei ist selbstverständlich auch den protestierenden Fans klar, dass der Zug des Fußballkommerz längst abgefahren ist und nicht mehr aufgehalten werden kann. Gleichzeitig wissen sie auch ganz genau, dass die Idee, sich das Spiel zurückholen zu wollen, durch und durch romantisch verklärt ist.
Auch die Forderung nach dem Ablegen der Trikots ist nichts anderes als Ausdruck einer überzogenen Folklore und deshalb Teil eines Machtspiels. Trotz der gegebenen Realitätsferne haben Szenen wie diese allerdings einen beachtlichen symbolischen Wert. Allen Beteiligten wird klar, dass wir im Fußball ungelöste Konflikte haben. Möglicherweise sogar ganz grundlegende Wertkonflikte, die auf absehbare Zeit nicht zu befrieden sein werden. Deshalb gehört auch die Symbolik des Machtkampfes zwischen Kurve und Establishment untrennbar zum Fußball dazu.
Dessen ungeachtet: Jedes Beispiel aus diesem Bereich kann dazu beitragen, die bestehende Schieflage im Spektrum der unterschiedlichen Erwartungen, Hoffnungen und Träume, die an den Fußball herangetragen werden, begreifbar zu machen.
Wir müssen uns dem nur stellen, zuhören und in allen Richtungen gegenhalten. Die Feststellung des Hertha Geschäftsführers, dass Fans da eine "Linie überschritten" hätten, ist deshalb nichtssagend und banal.
Demgegenüber empfinde ich es als ausgesprochen vielsagend, dass ein Spieler wie Maximilian Mittelstädt ebenso spontan wie schnörkellos sein Trikot hergegeben und vor der Kurve abgelegt hat. Dem gebürtigen Berliner fehlendes Herzblut für die Hertha unterstellen zu wollen, ist realitätsfremd. Auch wenn es kaum jemand bemerkt: Für mich hat dieser Spieler diesen Fans einen Spiegel vorgehalten. Völlig unaufgeregt.
Ich finde das gut und bin gespannt auf die Proteste und Symbole des anstehenden Spieltags. Nur zu: "Holt euch das Spiel zurück!"