Es ist der normale Ablauf in der aktuellen Formel-1-Saison. 20 Fahrer starten beim Rennen. Und am Ende gewinnt Max Verstappen. Es ist bereits der zwölfte Sieg in diesem Jahr, den Verstappen in Monza feierte – der zehnte nacheinander. Neuer Rekord. So viele Erfolge in Serie schaffte kein anderer Fahrer vor ihm.
Dabei hatten die über 300.000 Menschen, die über das Wochenende verteilt ins Autodromo Nazionale Monza kamen, größtenteils eine andere Hoffnung. Denn die dominierende Farbe rund um die Strecke war das Rot der Tifosi. Das Rot von Ferrari.
Vor dem Wochenende waren die Vorzeichen nicht erfolgversprechend für das italienische Team beim Heimrennen. Ferrari lag in der Konstrukteurs-Wertung nur auf dem vierten Platz, Carlos Sainz war mit 102 Zählern auf dem fünften Rang der Fahrerwertung noch der beste Ferrari-Pilot. Die Pole Position von Carlos Sainz und der dritte Rang von Charles Leclerc erhöhten jedoch die Hoffnungen auf ein erfolgreiches Monza-Wochenende.
Am Ende des Rennens am Sonntag sprangen der dritte und vierte Platz für Sainz und Leclerc heraus. Der Spanier konnte den übermächtigen Verstappen nur 15 Runden hinter sich halten, musste sich deshalb mit einem Platz hinter den beiden Red-Bull-Piloten zufriedengeben.
Eine Vorahnung, dass es genau in diese Richtung gehen würde, hatten Nicolo Mateo und Marco Fumagalli bereits am Freitag. Sie arbeiteten während des Wochenendes als Steward, halfen im Park rund um die Strecke. Es ist ein klassischer Job für Student:innen. Die beiden sind an Universitäten in Mailand eingeschrieben, interessieren sich aber für die Königsklasse des Motorsports. Die Hoffnung auf einen Ferrari-Sieg war dennoch gering.
"Wenn Max Verstappen crasht und Lewis Hamilton auch und Sergio Pérez vielleicht auch, dann könnte es mit einem Sieg klappen", ordnete Marco mit einem Lachen vor dem Rennen ein. Dann schob er nach, dass er die Chance auf einen Ferrari-Sieg auf null Prozent beziffern würde – er sollte Recht behalten.
Dabei gehören Ferrari und Monza zusammen wie sonst der Stern zu Mercedes in der Formel 1. Monza ist seit 1950 Austragungsort des Grand Prix von Italien in der Formel 1. Nur 1980 setzte das Autodromo ein Mal aus. "Die Formel 1 ist sehr wichtig für Monza. Es ist keine große Stadt und es ist DAS Wochenende im Jahr, in dem die Stadt die Aufmerksamkeit der ganzen Welt bekommt. Es kommen viele Tourist:innen und mit ihnen auch Geld, was ökonomisch sehr wichtig ist", erklärt Nicolo die Bedeutung für die gesamte Region.
Eine große Rolle spielt da auch die Liebe der Italiener zu Ferrari. "Du wächst in Italien mit Ferrari auf. Deine Eltern bejubeln Siege der Scuderia und du schaust die Rennen im TV. Heute noch treffen sich sonntags größere Gruppen und schauen die Rennen gemeinsam", erklärt Nicolo die italienische Liebe zu Ferrari. Für ihn sei es so ähnlich, wie sich die Spieler der italienischen Nationalmannschaft anzugucken.
Das wird auch klar, wenn man sich die Aktivitäten der Ferrari-Stars und das Feedback der Fans wenige Tage vor dem Rennen anschaut. Bereits am Mittwoch stand eine PR-Veranstaltung an. Im Ferrari-Flagship-Store in der Mailänder Innenstadt, fußläufig zum bekannten Dom, präsentierten sich Carlos Sainz und Charles Leclerc den Fans von 17 bis 20 Uhr.
Die ersten versammelten sich bereits um 11 Uhr, sicherten sich die besten Plätze, um ihren Idolen so nahe wie möglich zu kommen. Am Rande der Strecke fand Sainz Worte für die Leidenschaft der Fans, die er bei diesem Event erfahren habe: "Wir hatten einige Veranstaltungen in Mailand. Die Zuneigung, die Charles und ich von den Fans erhalten haben, war herzerwärmend und ein weiterer Grund, unser Bestes zu tun."
Obwohl beide Ferrari-Piloten das taten, warten die Tifosi nun schon vier Jahre auf einen Scuderia-Sieg in Monza. 2019 gewann Leclerc in seinem ersten Jahr bei der Scuderia den Großen Preis von Monza. "Es war die ganze Woche in den Nachrichten und die Leute erinnern sich noch immer daran", sagte Nicolo am Wochenende. Seine Augen strahlen dabei.
Aber nicht nur für die Stadt Monza, die umliegende Region in der Lombardei und die italienischen Tifosi ist das Rennen wichtig, auch für die Formel 1 selbst. Das Event im königlichen Park steht im krassen Gegensatz zu den neuen Rennwochenenden in Saudi-Arabien, Katar oder auch Bahrain. Nur wenig andere Strecken symbolisieren die Tradition im Motorsport so wie Monza. Die Rennserie erhält sich dadurch einen Teil des eigenen Mythos. Die anderen Strecken stehen für die Globalisierung und das Wachstum, das die Formel 1 anstrebt, um noch mehr Geld zu verdienen.
Mit dem abgelaufenen Wochenende fanden insgesamt 74 Rennen der Motorsport-Königsklasse in Monza statt – einige davon sind unvergessen aufgrund ihres legendären Verlaufs. 1971 gab es insgesamt 25 Führungswechsel, ehe der Brite Peter Gethin mit einem Vorsprung von 0,01 Sekunden vor Ronnie Peterson gewann. Die ersten fünf Fahrer trennten gerade einmal 0,61 Sekunden.
Dazu bietet Monza oft nicht nur knappe Rennen, sondern auch schnelle. Nicht umsonst hat die Strecke den Spitznamen "Temple of Speed" erhalten und hält den Rekord für die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit eines Siegers. Michael Schumacher gewann 2003 mit durchschnittlich 247,58 Kilometern pro Stunde auf dem Tacho. Es war damals Schumachers 50. Ferrari-Sieg, der natürlich für Jubel bei den Tifosi sorgte.
Neben all der positiven Erfahrungen in Monza gibt es aber auch die andere – die gefährliche – Seite der Strecke. Drei Fahrer starben hier während eines Formel-1-Rennens. Dazu kam eine private Testfahrt, bei der die italienische Rennfahrlegende Alberto Ascari ums Leben kam. Neben den Fahrern selbst verloren aber auch Zuschauer und Streckenposten ihr Leben. Beispielsweise, als der Deutsche Wolfgang Graf Berghe von Trips im Ferrari 1961 mit Jim Clarks kollidierte, die Kontrolle in der berüchtigten Parabolica-Kurve verlor und im Drahtverhau landete.
15 Fans starben, Berghe von Trips wurde aus seinem Boliden geschleudert und war sofort tot. Das letzte Todesopfer, das Monza gefordert hat, war ein Streckenposten. Er wurde beim Rennen 2000 in der ersten Runde nach einer Karambolage durch einen Reifen erschlagen. Michael Schumacher gewann den Lauf am Ende, brach auf der Pressekonferenz in Tränen aus. Er wurde darauf angesprochen, dass er nun 41 Siege habe, genau wie der legendäre Ayrton Senna, der 1994 beim Rennen in Imola sein Leben verloren hatte.
Jahre später erklärte Schumacher: "An diesem Tag war alles zu viel für mich. Unmittelbar vor dem Rennen erfuhr ich, dass ein alter Bekannter einen Herzinfarkt hatte. Dann war da der Zwischenfall mit dem Streckenposten. Erschwerend kam noch der Druck hinzu. Wir mussten unbedingt gewinnen. Die Nachricht, dass ich Ayrtons Anzahl an Siegen egalisiert hatte, brachte das Fass dann zum Überlaufen. Für mich war er immer der Beste."
Es sind all diese emotionalen und verrückten Geschichten, die Monza für Formel-1-Fans besonders machen. Auch für die beiden Studenten Marco und Nicolo ist die erste Strecken-Erfahrung trotz verpasstem Ferrari-Sieg ein voller Erfolg. Euphorisch erzählt Nicolo: "Ich habe das Wochenende genossen und es geliebt an diesem Event zu arbeiten, auch wenn es anstrengend war. Mir hat es Spaß gemacht, Teil davon zu sein und die Möglichkeit gehabt zu haben, Formel-1-Autos in Realität zu sehen."