Das Drama rund um Alec Baldwin sorgt nach wie vor weltweit für Schlagzeilen. Der Hollywoodstar erschoss am 21. Oktober versehentlich am Set der Low-Budget-Produktion "Rust" mit einer Requisitenwaffe Kamerafrau Halyna Hutchins. Im Zuge dessen verletzte er auch Regisseur Joel Souza, der sich glücklicherweise auf dem Weg der Besserung befindet. Baldwin ist bei dem Westernstreifen nicht nur als Hauptdarsteller tätig, sondern auch als Produzent. Inwiefern er für den tödlichen Schuss möglicherweise bestraft werden kann, ist noch völlig unklar. Derzeit laufen die Ermittlungen in alle Richtungen.
Mittlerweile haben sich auch einige Beteiligte offiziell zu Wort gemeldet. Baldwin trat vor die Presse und erklärte, dass sie ein eingespieltes Team gewesen seien und dann sei "dieses schreckliche Ereignis" passiert. Er hoffe, dass der dramatische Vorfall aufgeklärt werden könne, um festzustellen, wie es dazu überhaupt erst kommen konnte. Zudem sei der 63-Jährige "sehr interessiert" an der laufenden Kampagne für eine Beschränkung von Waffen an Filmsets.
Gegenüber watson erklären Stuntfrau Jana Reinhardt und Stunt Coordinator Ronnie Paul, Sprecher vom Bundesverband deutscher Stuntleute, wie sie die Situation in den USA rund um die Arbeitsbedingungen an Filmsets bewerten. Zudem geben sie an, welche Situation in Deutschland an Filmsets herrscht und sagen, welche Erfahrungen sie mit Waffen an Sets gemacht haben.
Jana Reinhardt, die bereits in zahlreichen Produktionen als Stuntfrau wie "Wir sind die Welle" oder "Bridge of Spies – Der Unterhändler" mitwirkte, sagt, dass sie selbst nicht so oft mit Waffen am Set gedreht habe. Bei den Produktionen allerdings, wo dies der Fall gewesen sei, wäre sehr auf Sicherheit geachtet und die Waffen auch nur vom Waffenmeister ausgegeben worden. "Es sei denn es waren keine echten Waffen und mit denen wurde auch nicht geschossen", so Reinhardt.
Einer, der ebenfalls im Fokus der Ermittlungen in den USA steht, ist der Regieassistent, der laut eines Polizeiberichts Baldwin die Pistole mit den Worten "kalte Waffe" am Set überreicht haben soll. Demnach wurde Baldwin signalisiert, dass in der Pistole keine scharfe Munition sei. Der Assistent habe in der Befragung eingeräumt, dass er die Sicherheitsvorkehrungen nicht strikt befolgt, die Waffe nur unvollständig geprüft habe. Seine Anwältin sagte jedoch Fox News, es sei nicht klar, dass er tatsächlich die Waffe Baldwin direkt übergab. Zudem habe die Waffenmeisterin die Pistole zum Set gebracht.
In jedem Fall wäre es für Stuntfrau Reinhardt alarmierend, wenn die Waffe vom Regieassistenten und nicht vom Waffenmeister überreicht wird. "Für mich persönlich wäre es ein Alarmsignal gewesen und ich hätte mich wahrscheinlich nochmal vergewissert. Aber das ist meine persönliche Einstellung", sagt sie dazu. Dies sieht übrigens auch Stunt Coordinator Paul Ronnie so: "Wenn das tatsächlich so gewesen sein sollte, dann ist das für mich ein absolutes 'No-Go'. Ein Regieassistent hat weder die Aufgabe, die Kompetenz, noch die Befugnis, eine Waffe in die Hand zu nehmen oder gar jemanden zu überreichen. Das ist einzig und allein Aufgabe des Waffenmeisters vor Ort."
Bezüglich des Images in Bezug auf die Sicherheitsvorkehrungen und den Bestimmungen an Filmsets sagt Reinhardt wiederum mit Blick auf die USA im Vergleich zu Deutschland:
Den Gebrauch von echten Waffen am Set sieht die Stuntfrau übrigens so: "Was die Authentizität betrifft, halte ich es schon für richtig, echte Waffen zu benutzen. Aber grundlegend sollte echte Munition am Set verboten sein und sich die Zeit für die Vorbereitung und Nachbereitung mit der Waffe genommen werden beziehungsweise zur Verfügung stehen, um alle notwendigen Maßnahmen durchführen zu können, die die Sicherheit betrifft. Da sollte auch kein Regisseur oder wer auch immer drängeln."
Der Stunt Coordinator erklärt zum Gebrauch von Waffen am Set: "Wie bei anderen Effekten und Requisiten auch, gibt es oft die Möglichkeit, Dinge nachzubauen oder zu 'faken'. Viele Effekte und Requisiten 'leben' aber durch ihre Echtheit. Es wird heutzutage sehr oft mit CGI-Schüssen gearbeitet. Das heißt, es gibt eine 'echte', aber ungeladene Waffe, die nur vermeintlich geschossen wird. Das Mündungsfeuer und der Knall werden nachträglich bearbeitet. Das ist nicht nur sicherer, sondern auch praktisch und zeitsparend beim Drehen. Zudem gibt es heute schon FX-Waffen, die sogar einen Rückstoß simulieren, ohne dabei irgendeinen Schuss abzufeuern." Und weiter:
Paul beschreibt das Image der Sicherheitsvorkehrungen von US-Produktionen folgendermaßen: "Die Sicherheitsvorkehrungen bei US-Produktionen haben den Ruf, noch aufwändiger zu sein als die unseren. Persönlich habe ich die Erfahrungen gemacht, dass in US-Produktionen noch strikter nach Vorgaben und Kompetenzbereichen gearbeitet wird. Also eher das Gegenteil. Es mag einem so erscheinen, dass bei US-Produktionen mehr Unfälle geschehen. Man darf aber nicht vergessen, dass die Branche in den USA viel größer ist als die deutsche und dort fast doppelt so viele Filme entstehen."
Und weiter: "Dazu kommt, dass die Branche in den USA unter anderem durch die Presse oder auch durch uns Europäer im Allgemeinen genau unter Beobachtung steht, anders als die anderen großen Filmwirtschaften wie Indien oder China, wo gefühlt viel mehr Unfälle passieren. Der allgemein liberale Umgang mit Waffen in den USA ist jedoch grundsätzlich ein anderer als in Europa. So würde hier sicherlich niemand so schnell auf die Idee kommen, als Zeitvertreib Schießübungen an einem Set zu veranstalten."
Im Hinblick darauf, wie solch ein Unglück am Set passieren konnte, erklärt Paul folgendes: "Unglücksfälle am Set sind meist eine Verkettung mehrerer Umstände, die auf technischem und/oder menschlichem Versagen beruhen. Knappe Budgets und Zeitdruck fördern zudem die Unfallgefahr. Werden zum Beispiel unerfahrene Leute eingestellt, der billigste Anbieter gewählt oder Handlungsabläufe wegen enger zeitlicher Vorgaben 'optimiert', besteht die Gefahr, dass sicherheitsrelevante Aspekte wie Überprüfungen, Proben oder Sicherheitseinweisungen auf der Strecke bleiben."
Und weiter: "Sollte es stimmen, dass ein Teil des Teams Schießübungen (mit echter Munition) in der Nähe des Sets veranstaltet hat, spricht es für den fahrlässigen Umgang mit der Sicherheit am Set." Zu den Sicherheitsvorkehrungen merkt er an: "In Deutschland gibt es ähnliche Vorkehrungen wie in den USA. Es gibt eine Menge Vorschriften und Empfehlungen von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und den Berufsgenossenschaften, die einzuhalten sind. Ein Stunt Coordinator, Waffenmeister oder SFX Supervisor überprüft jede Aktion nach Unfallgefahren und ergreift Maßnahmen, um Gefährdungen von Personen möglichst auszuschließen."
Bei größeren Produktionen gebe es zudem noch einen Health and Safety Coordinator, der ausschließlich Sicherheitsaspekte im Blick habe. "Ein Waffenmeister folgt einem vorgegebenen Prozedere in der Handhabung mit Waffen, die einem Schauspieler oder Stunt Performer übergeben werden", stellt Paul klar. Auf die Frage, ob der erfahrene Stunt Coordinator bereits selbst in eine gefährliche Situation geraten sei, gibt er an:
Inwiefern die Sicherheitsvorkehrungen bei Blockbustern und kleineren Produktionen gleichermaßen streng beachtet werden, bewertet Paul so: "Eine kleine Produktion hat vielleicht keinen Health and Safety Coordinator, das heißt aber sicher nicht, dass Sicherheitsvorkehrungen weniger streng beachtet werden würden. Kleinere Produktionen sind übersichtlicher, persönlicher, Entscheidungswege kürzer und direkter, jedoch auch oft etwas unprofessioneller. Gerade bei kleineren Produktionen beobachte ich mehr Oberflächlichkeit im Umgang mit Waffen."
Laut des Sprechers würden Stuntfrauen und Stuntmänner wohl öfter mit Waffen zu tun haben als Schauspieler. "Neben der Rolle, die sie zu spielen haben, müssen sie zusätzlich die körperlichen Anforderungen des Stunts meistern. Dazu kommt, dass Waffen oft Teil einer Choreografie sind und zum Beispiel Schüsse während eines Kampfes, Gefechts oder Sturzes abgegeben werden müssen. In der Regel haben Stunt Performer dafür Workshops in der Waffenhandhabung absolviert", so Paul abschließend dazu.