RTL geht neue Wege. Das hat der Sender spätestens gezeigt, als er sich kurz vor den Live-Shows von "DSDS"-Legende Dieter Bohlen trennte. Der Poptitan musste sowohl seinen Platz in der Gesangsshow räumen als auch bei "Das Supertalent". Es sollte ein großer Neuanfang werden mit komplett neuer Jury (auch der Rest wurde aussortiert), mit weniger Krawall und dem Fokus auf den Künstlern und Kandidaten. Kurzum: Für die fiesen Kommentare von Bohlen war einfach kein Platz mehr. Künftig setzt RTL auf Familienfreundlichkeit.
Sehr gut möglich, dass auch dieser Grund hinter dem nächsten Sendungs-Aus steckt, das nun bekannt wurde. Denn 2021 wird es keine weiteren Folgen von "Pocher – gefährlich ehrlich" geben. Der Comedian und seine Frau Amira werden nicht mehr mit ihrer Late-Night-Show zurückkehren, das berichtete zunächst "dwdl.de".
Als sich das Paar im Dezember 2020 von den Zuschauern verabschiedete, ging es wohl noch fest von einer Forstsetzung aus. Zumindest kündigte Oliver Pocher eine Rückkehr mit der Sendung für 2021 an – nach Amiras Babypause. Doch daraus wird nun nichts mehr. Nach 36 Ausgaben ist bereits Schluss mit der zum Teil sehr erfolgreichen Late Night der Pochers.
Für das neue, familienfreundlichere RTL-Programm dürfte die Show dennoch zu laut, zu krawallig, zu sehr "Bildschirmkontrolle" gewesen sein. Immerhin setzte der Sender in der Zukunft auch eher auf Stars wie Hape Kerkeling als auf Typen wie Bohlen.
PR- und Medienexperte Ferris Bühler sieht die aktuellen Veränderungen bei den Privatsendern – denn nicht nur RTL feilte in den vergangenen Monaten an seinen Strukturen und Inhalten – kritisch. "Man will künftig mit den Protagonisten und Formaten weniger anecken, um weniger öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Damit geht natürlich die DNA verloren, welche RTL über Jahrzehnte prägte. Ein soft-flauschiges Family-Weichspüler-Fernsehen für die ganze Familie wird RTL meiner Meinung nach nie werden", sagt er gegenüber watson. Er bezeichnet die Neuausrichtung von RTL deshalb als "großes Wagnis".
Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus an der Hochschule Würzburg, erklärte gegenüber watson zum Wandel der Privatsender hin zu mehr Seriosität und Familienfreundlichkeit kürzlich, dass sich die privaten TV-Sender in keiner leichten Situation befänden. Der Grund: "Das jüngere Publikum wandert zunehmend zu den US-amerikanischen Videostreaming-Plattformen ab."
Nun wollen die Sender zunehmend die älteren Zuschauer für sich gewinnen, die aktuell allerdings noch überwiegend die Öffentlich-Rechtlichen nutzen. "Die Privaten haben die 'Alten' über Jahrzehnte weitgehend vernachlässigt, weil sie für ihre Werbeeinnahmen, die Haupteinnahmequelle der Privaten, von weit geringerer Bedeutung waren als die 14- bis 49-Jährigen", so Frühbrodt weiter. Die Privaten seien deshalb nun zum schnellen Handeln gezwungen.
Allerdings gab der Professor für Fachjournalismus auch zu bedenken, dass es nirgends möglich sei, "einfach mal so den Hebel umzulegen". Es gebe schließlich im Falle der TV-Sender eine bestimmte Art und Weise, wie man Fernsehen macht. "Sicher meist mit einem geschickten Storytelling, oft aber auch sensationsheischend, zu überdreht und teils auch schlüpfrig. Da lässt sich die Zahnpasta nur schlecht wieder in die Tube zurückdrücken", meint Frühbrodt.
Für Oliver Pocher soll es bei seinem Haus- und Hofsender dennoch weitergehen. Erst vergangenen Samstag war er in der vorerst letzten Ausgabe von "5 gegen Jauch" als Moderator zu sehen. Auch beim "Wer wird Millionär?"-Zocker-Special der Prominenten war Pocher kürzlich dabei. Gänzlich von ihm trennen will man sich offenbar nicht. RTL erklärte gegenüber watson immerhin:
Die Person Oliver Pocher mag umstritten sein, doch kaum jemand hat in den vergangenen Monaten so viel Aufmerksamkeit auf auch durchaus gesellschaftlich wichtige Dinge gelenkt wie er. So zeigte er sowohl auf Instagram als auch bei "Gefährlich ehrlich" immer wieder Michael Wendlers kuriose und gefährliche Verschwörungserzählungen hinsichtlich der Corona-Pandemie auf. Außerdem setzt er sich zusammen mit Amira immer wieder für den Schutz der Kinder im Netz ein.
Andreas Zaik, der Co-Geschäftsführer der Produktionsfirma i&u TV, die die Late-Night-Show realisierte, stellte Pochers besondere Leistung im Gespräch mit "dwdl.de" vor wenigen Monaten heraus:
Er ergänzte damals außerdem: "Natürlich hat Oliver auch eine andere Seite, die dann vielleicht dazu verleitet diese starken Momente zu vergessen. Aber es wäre schade, wenn untergeht, dass Oliver Pocher mit Haltung und klarer Kante arbeitet und es wie kaum ein anderer schafft, Öffentlichkeit herzustellen und zwischen den verschiedenen Medien zu transportieren."
Nun muss Pocher vorerst wieder vor allem im Netz und in seinem Podcast laut sein. Aber immerhin: Bald wird er auch auf die Bühne zurückkehren. Am 13. August startet er mit seiner Tour und wird dabei auch wegen Corona ausgefallene Termine nachholen. Passenderweise wurde sein Programm sogar umbenannt – in "Oliver Pocher – gefährlich ehrlich".