Die große Europa-Tournee von Rammstein findet dieses Jahr zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Denn parallel zu den ausverkauften Konzerten der Band werden seit Wochen schwere Anschuldigungen gegen den Sänger Till Lindemann erhoben. Zwar gab es am Rande mehrerer Auftritte Proteste, unterbrochen oder sogar abgesagt wurde aber keine der Shows.
Dennoch spitzen sich Gerüchte um ein mögliches Ende der Band zu. Gestützt werden diese nicht zuletzt durch die jüngsten Äußerungen eines Band-Mitglieds. Andererseits gibt es durchaus Argumente, die für ein Fortbestehen der Gruppe um Till Lindemann sprechen. Am 5. August stieg das Tour-Finale in Brüssel, viele Fans rätseln über die Zukunft.
An den anderen Band-Mitgliedern sind die Anschuldigungen gegen ihren Frontmann definitiv nicht spurlos vorbeigegangen. Bei einem der München-Auftritte von Rammstein konnte beispielsweise der Schlagzeuger Christoph Schneider seine Tränen nicht zurückhalten, natürlich lastet nun auch ein großer Druck auf Lindemanns Kollegen.
Schneider war es dann auch, der sich mit einem langen Statement bei Instagram persönlich zu Wort meldete und seine Gefühle angesichts der momentanen Situation beschrieb. "Die Anschuldigungen der letzten Wochen haben uns als Band und mich als Menschen tief erschüttert", erklärte er unter anderem.
In seinem Post offenbarte der Musiker aber auch Interna, die aufhorchen lassen. So berichtete er, Lindemann habe sich in den vergangenen Jahren von seinen Kollegen "entfernt und sich seine eigene Blase geschaffen". Da der 60-Jährige nun einmal der Kopf der Band ist, bereitet diese Information den Fans Sorge.
Driften Rammstein also ohnehin schon auseinander? Sollte dies der Fall sein, könnten die jetzigen Anschuldigungen gegen Lindemann der Band tatsächlich den Todesstoß versetzen.
Ein Indiz könnte darüber hinaus das letzte Album "Zeit" liefern, das im Frühjahr 2022 erschien. Der finale Song trägt den Titel "Adieu" und kann durchaus als Abschied von den Fans interpretiert werden – gleichwohl dies nur eine von mehreren möglichen Lesarten ist. Dass Rammstein ihren Abgang schon seit Längerem und auch unabhängig von den Anschuldigungen gegen Lindemann vorbereiten, ist sicherlich nicht vollkommen ausgeschlossen.
Zumindest der Sänger braucht die Band auch gar nicht zwangsläufig, um im Gespräch zu bleiben und seine (streitbaren) künstlerische Vision umzusetzen. Mit seinem Projekt Lindemann sorgte der Frontmann auch schon für Schlagzeilen, für Ende 2023 ist eine Solo-Tour geplant. Mit "100 Gedichte" veröffentlichte er außerdem einen vieldiskutierten Lyrik-Band.
Fest steht aber auch: Rammstein erfreuen sich weiterhin massiver Beliebtheit. Während der Deutschland-Konzerte herrschte bei vielen Fans eine "Jetzt-erst-recht"-Stimmung, im Ausland hingegen wird von vornherein nicht so ausführlich über die Vorwürfe gegen Lindemann berichtet.
Dass die Band auch künftig national wie international Stadien füllen können wird, ist sehr wahrscheinlich. Warum also aufhören?
Rein wirtschaftlich spricht nicht viel für ein Ende. Denkbar ist zwar theoretisch, dass die Veranstalter aus Image-Gründen künftig Abstand nehmen, aber warum sollten sie, wenn das Geld mit und dank Rammstein auch in finanziellen Krisen-Zeiten für die Branche weiter fließt? Das Gesetz von Angebot und Nachfrage kennt keine Moral.
Till Lindemann hat auch gezeigt, dass er bereit ist, in die Offensive zu gehen. Bei den letzten Konzerten provozierte er mehrmals mit abgeänderten Songtexten, sang unter anderem: "Und die Sänger vögeln nicht mehr". Auf diese Weise spielte er auf die Anschuldigungen an, und das in typisch provokanter Rammstein-Manier. So reagiert niemand, der sich verstecken möchte oder keine Lust mehr hat. "The show must go on" scheint seine Devise zu sein, womöglich gilt das auch für die Band insgesamt.
In München gab der Sänger dem Publikum zudem einen möglichen Hinweis, als er am Ende sagte: "Wir hatten ein Riesenglück mit dem angekündigten Unwetter. Glaubt mir, das andere wird auch vorbeiziehen." Lindemann ist also davon überzeugt, dass die Wogen sich glätten werden. Damit stünde weiteren Touren und Alben nichts im Weg.
Nicht zuletzt kann die Band-Dynamik in beide Richtungen ausschlagen: Die Gruppe zerbricht oder der Zusammenhalt wird noch (oder in diesem Fall wohl eher: wieder) stärker. Die nächsten Monate werden zeigen, wohin es für Rammstein geht. Womöglich brauchen Lindemann und seine Kollegen auch selbst erst einmal Zeit, um über die Zukunft nachzudenken. Eben die hatten sie in den letzten Monaten nämlich gerade nicht.
Nachtrag der Redaktion: Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte im Juni nach den Vorwürfen gegen Till Lindemann Ermittlungen aufgenommen. Diese wurden Ende August eingestellt. Die Auswertung der Beweise habe keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Den entsprechenden Artikel findet ihr hier.