In Zeiten von Corona ist beinahe nichts mehr wie es vorher war. In den vergangenen Wochen hat die sogenannte "Querdenker"-Bewegung immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die rhetorischen Mittel der Demonstranten werden zusehends bedenklicher. Glücklicherweise stoßen sie aber auf starken Widerspruch – auch von vereinzelten Prominenten. Einer, der sich besonders positiv hervorgetan hat, ist Oliver Pocher.
In seinem Instagram-Format "Bildschirmkontrolle" nimmt er kein Blatt vor den Mund: Er zieht Promis wie Michael Wendler zur Rechenschaft, die in den Verschwörungsglauben abgedriftet sind – und wendet sich an Nicht-Prominente, die wirren Thesen zum Virus folgen. In den entscheidenden Momenten setzt Pocher aber auf Eindringlichkeit und Sachlichkeit. Das macht ihn aktuell zu einer wohltuenden Stimme der Vernunft, die auch mediales Gewicht hat.
Schlager-Star Michael Wendler steckt mittlerweile tief im Verschwörungssumpf, verbreitet immer wieder krude Verschwörungserzählungen über Bundeskanzlerin Angela Merkel oder den Virologen Christian Drosten. Nach eigenen Angaben war Pocher über Wendlers "Telegram-Schrott" zunächst belustigt, erkannte dann aber den Ernst der Lage. Schließlich gebe es ja wirklich Leute, die sich das anguckten. Sein Fazit nach einem Telefonat mit Wendler: Bei dem Schlagersänger sei "Hopfen und Malz verloren". "Wir sind alles Gefangene", kommentierte Pocher das Ganze ironisch.
Danach bleibt Pocher am Thema Corona-Schwurbler dran. Wenig später erregte ein 11-jähriges Mädchen Aufmerksamkeit, das sich auf einer Corona-Demo in Karlsruhe mit Anne Frank verglich, weil es seinen Geburtstag nicht wie gewohnt feiern konnte. Der Entertainer erinnert an die deutsche Geschichte und stellt klar heraus, warum die Aussage des Kinds unglaublich hinkt:
Am vergangenen Wochenende beschwor dann die 22-jährige Jana aus Kassel eine Parellele zwischen sich selbst und der Widerständskämpferin Sophie Scholl, die wegen ihrer Tätigkeit für die Gruppe "Weiße Rose" 1943 von den Nazis hingerichtet wurde. Auch dazu meldete sich Pocher via Instagram zu Wort. Den Ordner, der seinen Dienst an dem Tag aus Protest gegen Janas Rede hinschmiss, bezeichnet er in dieser Ausgabe von "Bildschirmkontrolle" als "Held".
Bei aller Fassungslosigkeit, die bei Pocher zwischen den Zeilen durchscheint, ist ihm sein gewohnter Biss offensichtlich nicht abhandengekommen. Er verurteilt die Corona-Leugner auch nicht pauschal dafür, dass sie die erlassenen Maßnahmen kritisieren. Schließlich sei es sehr wohl seltsam, wenn Kinder morgens in der Schule von 20 und mehr Gleichaltrigen umgeben sind, nachmittags dann aber maximal einen Freund treffen dürfen.
Vielmehr zieht Pocher eine klare Grenze dort, wo der gesunde Menschenverstand endet – und insbesondere bei der Rhetorik der Verschwörungsmythiker, die immer öfter sogar den Holocaust verharmlosen.
Es ist eine wundersame Wandlung, die Pocher da hingelegt hat.
Er ist jemand, der sich im Laufe seiner Karriere oft genug im Ton vergriffen hat. Der das gebotene Maß häufig überschritten hat. Dem man nicht immer abnahm, dass er sein Gag-Feuerwerk auf Kosten von anderen der Sache wegen zündete – sondern gerne auch mal der eigenen Profilierung wegen.
Umso mehr erfreut jetzt sein aufrichtiges Engagement gegen gefährliche Tendenzen innerhalb der Gesellschaft. Die Gruppe der "Querdenker" mag zwar eine Minderheit darstellen, allerdings eine sehr laute, die auch Prominente für sich zu gewinnen weiß. Je stärker andere Stars dagegen Stellung beziehen, umso mehr Wind wird den Verschwörungsgläubigen aus den Segeln genommen.
Da sich die Schwurbler offensichtlich weiter radikalisieren, kann Pochers virtueller Einsatz auch gar nicht hoch genug angesehen werden. Der nahende Impfstoff, der auch ein Abklingen der Pandemie in Aussicht stellt, sollte nämlich gerade nicht dazu führen, dass die Bewegung jetzt unterschätzt wird.
Michael Blume ist Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg und forscht seit Jahren auf dem Gebiet der Verschwörungsideologien. Er warnt seit Jahren vor möglicher Gewalt durch Verschwörungsgläubige und beobachtet die Entwicklungen rund um die Corona-Demos aufmerksam. Das Intervenieren durch Prominente in sozialen Netzwerken bewertet auch er positiv:
Für Stars bietet die Corona-Pandemie gerade also die Chance, ihre Bekanntheit zu einem besonders wichtigen Zweck im Sinne der Demokratie einzusetzen. Während YouTuber Rezo vorwiegend bei jüngeren Leuten Gehör finden dürfte, decken Pocher und die Kabarettistin Sarah Bosetti mit ihren Videos auch ältere Generationen ab.
Sie alle leisten einen wichtigen Teil zur Aufklärung und Bewahrung rechtsstaatlicher Werte. Obwohl sie im weitesten Sinne "nur" Entertainer sind, verfügen sie mitunter über eine größere Reichweite als die meisten Politiker und in den Augen vieler sicherlich auch über ein höheres Maß an Glaubwürdigkeit.
Doch so gelungen Pochers jüngste Videos auch sind – wünschenswert wäre es natürlich, er müsste sie gar nicht erst drehen.