Erst war der Jubel groß, nun weht ihr der Gegenwind ins Gesicht: Annalena Baerbock ist die erste grüne Kanzlerkandidatin und ihre Partei macht bei Umfragen Prozentpunkt-Sprünge. Erst nach oben, dann nach unten. Ihre nachträgliche Anmeldung von Nebeneinkünften hat Baerbock Beliebtheit gekostet, worüber Maischberger mit ihr spricht. Daneben geht es um die anderen Themen der Woche: Die staatliche Flugzeugentführung durch Belarus und Corona. Maischberger diskutiert mit folgenden Gästen:
Der Unternehmer Frank Thelen macht keinen Hehl aus seiner Abneigung den Grünen gegenüber. Sein Urteil aus Unternehmersicht: "Für mich ne Katastrophe", Wirtschaft und speziell gute Bedingungen für Startups finde er im Partei-Programm nicht. Dabei ist seine Überzeugung: Klimaschutz funktioniert nur durch Innovation. "Wir wollen ja nicht zurück in die Höhle gehen." Er träumt von Plastik, das sich abbaut, oder Transporte ohne Emissionen. Es sei ein "inkompetentes Programm".
Nach dem Höhenflug der Grünen nach der Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur, weht ihnen nun der Wind um die Nase. "Ja, ab jetzt geht’s steil bergab", freut sich Thelen. Einer der Gründe sind die vergessenen Nebenzahlungen von Annalena Baerbock. Thelen bietet an, 1500 Euro draufzulegen, wenn Baerbock ihre 1500 Corona-Sonderzahlung für Kinder spendet.
Cerstin Gammelin, Hauptstadtkorrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", sieht die Lage der Grünen nicht so schlimm. "Es ist eher eine Delle, ich würde nicht drauf wetten, dass es weiter bergab geht, es kann auch wieder bergauf gehen." Allerdings seien die zu spät angemeldeten Einkünfte von Baerbock schon eine Hypothek.
Nach der Eröffnungsrunde der Kommentatoren sitzt die Kanzlerkandidatin dann selbst im Studio zum Gespräch mit Maischberger. "Ich habe mich selbst über meinen Fehler tierisch geärgert", gibt sie zu. Sie habe alles korrekt versteuert, aber eben "nicht auf dem Schirm" gehabt, dass sie das Weihnachtsgeld der Partei auch an den Bundestagspräsidenten melden muss.
Warum sie nicht selbst damit an die Öffentlichkeit gegangen sei, sondern gewartet habe, bis es die "Bild"-Zeitung bekannt gemacht hat, will Maischberger wissen. "Natürlich ist man rückblickend immer klüger, tja, aus Fehlern lernt man." Auf Thelens Spendenangebot will sie nicht eingehen. Sie wolle sich nicht "reinwaschen" und zudem spende sie am Ende des Jahres ohnehin "einen erheblichen Teil" ihrer Sonderzahlungen. Baerbock wirkt trotz aller Routine ein wenig fahrig. Und sie bekennt auch: "Ich habe, seitdem ich Kanzlerkandidatin bin, Heftigstes erlebt."
Maischberger versucht sie mit kurzen Fragen zu knacken. Die Grünen-Basis wünscht sich eine Abgabe von 120 Euro pro Tonne CO2, sie bleibt bei 60 Euro für Wärme und Transport. "Ich komme selber vom Dorf, ich weiß, wie das ist, wenn man pendelt." Ein weiteres Reizthema: die EU-Grenzen. "Grenzen müssen immer durchlässig sein. Grenzen dazu da, zu kontrollieren, wer kommt rein und was kommt rein. Eine Grenze muss auch offen sein und Türen haben. Wir brauchen eine humane Flüchtlingspolitik, müssen aber auch kontrollieren, wer in die EU rein und rausgeht."
Ein Baustopp für Autobahnen? "Alle Straßenprojekte gehören auf den Prüfstand – auch die Autobahnen."
Da geht es um die Kandidatenentscheidung ("gemeinsam entschieden, die Frauenfrage spielte auch eine Rolle"), ihren ersten Joint ("keine Ahnung irgendwann als Jugendliche mal") und das umstrittene Pipelineprojekt Nord Stream 2:
Ob sie nach der Bundestagswahl in einem eventuellen Koalitionsvertrag darauf bestehen würde. "Ich würde dafür kämpfen."
Das findet der ehemalige ARD-Korrespondent in Moskau Udo Lielischkies richtig: "Es wäre zum ersten Mal eine wirklich spürbare Maßnahme, ein Projekt, an dem Putin sehr hängt." Er hält Putin auch für einen Mitwisser und Unterstützer bei Lukaschenkos Flugzeugentführung, um den oppositionellen Journalisten Roman Protassewitsch zu verhaften. Dass der Journalist nun in einem Fernsehspot gestanden hat, "erinnert an Schauprozesse unter Stalin". Damals habe man gefoltert, um Geständnisse zu bekommen.
"SZ"-Journalistin Cerstin Gammelin sieht die Nord Stream 2-Frage anders. "Es gibt nicht wirklich ein Druckmittel." Und Nord Stream 2 als "Investitionsruine" zu hinterlassen, sei auch keine gute Lösung. "Es ist eine sehr komplizierte Gemengelage."
Ohne Corona geht es auch in dieser Woche nicht. Star-Violinistin Anne-Sophie Mutter plädiert dafür, die Konzertsäle wieder aufzumachen, weil "das Ansteckungsrisiko im Konzertsaal schon fast gegen null geht." Im Großraumbüro liege sie 16 Mal höher. Die Kultur sei 14 Monate lang "totgeschwiegen" worden, und für Konzertverbote gebe es "keine wissenschaftlich wirklich haltbare Begründung", ganz im Gegenteil zu den entwarnenden Untersuchungen von Aerosolforschern.
Gerade hat das Bundesverfassungsgericht Anne-Sophie Mutters Klage abgewiesen. Die Begründung: Die Situation sei kein Berufsverbot für Künstler, sie könnten ja beispielsweise streamen. Mutter stellt jedoch klar, dass sie eine halbe Million Streams bei Spotify brauche, "um einige 100 Euro ausbezahlt zu bekommen". Ihr Fazit zum Streamen: "Es ist wunderbar, aber keine Einnahmequelle." Ihr Wunsch: Dass man den Veranstaltern zutraut "professionell und verantwortungsvoll Konzerte zu veranstalten".
Geschehen ist das gerade beim ESC in Rotterdam. Die Halle war voll wie vor Corona. 3500 Zuschauer feierten eng gesetzt und ohne Maske. Alle getestet. Für SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist das trotzdem kein Vorbild. "Das war ein Experiment – daraus kann man nicht ableiten, dass es auch in der Fläche passieren würde", bei einem solchen Versuch sei man da auch besonders vorsichtig. "Das ist nicht die Blaupause für das, was jetzt kommen kann." Aber es dauere ja nicht mehr lang, dann könne die Kultur öffnen. Bis vor kurzem seien die Fallzahlen noch zu hoch gewesen. "Nach 14 Monaten will ich doch keinen Rückfall riskieren, weil ich zwei Wochen zu früh öffne."
Österreich hat früher gelockert, steht nun aber mit den Zahlen nicht schlechter da als Deutschland, wirft Maischberger ein. Aber Lauterbach findet, man könne die Zahlen nicht vergleichen.
So könne man einer vierten Welle im Herbst gut entgegenwirken. Dazu brauche es eine Impfquote von 80 Prozent inklusive Kinder. Dann seien "schwere Ausbrüche im Herbst sehr unwahrscheinlich".
Zum Ende muss Maischberger natürlich auch nach seinen Nebeneinkünften fragen, die er wie Baerbock erst nachträglich gemeldet hat. Das hätte nichts mit Baerbock zu tun gehabt, das sei ihm im Rahmen einer Vorschusszahlung für sein Buch aufgefallen. Und er habe mittlerweile – wie angekündigt – die rund 18000 Euro für Unicefs Indienhilfe gespendet.