Am Sonntag war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Anne Will zu Gast. Wills Talk-Konkurrent Frank Plasberg muss am Montag bei "Hart aber fair" die Fragen zusammenkehren, die der Auftritt übrig gelassen hat. Seine Sendung trägt den seltsam blumig formulierten Titel: "Verzeihung, wir haben da eine Frage: Scheitert Deutschland in der Krise?" Es geht darum, was in Deutschland – vor allem in der Pandemie – falsch gelaufen ist. "Beginnen so Staatskrisen? Was muss reformiert werden?", fragt Plasberg folgende Gäste:
Gleich zu Anfang gibt Norbert Röttgen, Mitglied des CDU-Präsidiums, eine wenig hoffnungsvolle Einschätzung der Situation.
Moderator Frank Plasberg witzelt angesichts des mahnenden Tonfalls und der Position von Röttgen innerhalb des Halbrunds der Gäste: "An dieser Stelle sitzt sonst Lauterbach." Der SPD-Gesundheitsexperte ist bekannt für seine mahnenden Wortmeldungen, die oft apokalyptisch klingen und sich leider fast ebenso oft als zutreffend erweisen.
Röttgen witzelt kurz zurück, dass es wohl wirklich am Stuhl liege, wird dann aber schnell wieder ernst. "Das sind naturwissenschaftliche Prozesse. Es ist nicht Zeit zum Diskutieren, es ist Zeit zum Handeln. Je länger wir warten, desto stärker werden die Schäden."
Für Röttgen hat sich die Ministerpräsidentenrunde als "dysfunktional erwiesen", der letzte Gipfel mit dem Hin und Her um die "Osterruhe" sei eine "Zäsur" gewesen. Die Runde müsse nun schnell nachbessern, sonst würde nächste Woche der Bundestag etwas beschließen, das ein "verschärfter Lockdown aus Berlin für alle Länder" sei, so seine Prognose.
Röttgen, der bei der Abstimmung um den CDU-Vorsitz gegen Armin Laschet und Friedrich Merz verloren hat, legt einen souverän-präsidialen Auftritt hin zu allen Themen vom Verwaltungschaos bis zum Impfproblem. "Wir haben echte Schwächen – wer heute nicht digital ist, kann nicht Verwaltung", außerdem hätte man es "mit dem moralischen Imperativ übertrieben".
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler geht mit der Politik noch strenger ins Gericht. Er könne "keine Strategie" erkennen, sehe "nur Angst" und wenig Sachkenntnis.
In Deutschland habe man beim Impfen der "Gerechtigkeit und Reihenfolge den Vorzug gegeben vor der Effizienz". In 98 Prozent der Fälle sei das auch der richtige Weg. "Aber die Politik hat nicht begriffen, welche dramatische Herausforderung diese Pandemie ist." Für ihn sind generelle Änderungen der deutschen Mentalität zwingend notwendig, weil es nach seiner Einschätzung nicht die letzte Pandemie sein wird.
Die ehemalige Piraten-Politikerin Marina Weisband leitet heute ein Demokratieprojekt bei politik-digital e.V. und ist Mitglied der Grünen. "Ich finde, Frau Merkel hat eine Chance verpasst, sich an die Bürger zu wenden mit einer Rückversicherung. Ich hatte das Gefühl, Frau Merkel wendet sich bei Anne Will vor allem an 16 Menschen" – sie meint die Ministerpräsidenten. Dass die angesichts der Zahlen keinen Lockdown forcieren, ist für sie unverständlich. Denn eigentlich seien weitere Maßnahmen auch der Bevölkerung nicht schwer zu vermitteln, man müsse nur gut erklären. Weisband meint: Eigentlich wollten alle dasselbe, sogar die Querdenker.
Die Mehrheit der Menschen sehe, dass sie vor einer neuen Welle steht. Nur seien die Maßnahmen bisher ungerecht zugunsten der Privatleute beschlossen worden. "Die Wurstfabrikation hat bisher noch niemand angehalten", stichelt Weisband gegen die Wirtschaft im Allgemeinen und die Fleischproduzenten im Speziellen – bei ihnen waren immer wieder Covid-Infektionen aufgetreten. Ihre Idee: Jetzt sofort Lockdown, verpflichtendes Homeoffice, dezentrale Schule und Betreuung, auch Ausgangssperre würde sie mitmachen. Dann runter bis Inzidenz 10, erst dann lockern.
Melanie Amann, Leiterin des "Spiegel"-Hauptstadtbüros, empfand die bisherigen Maßnahmen auch immer als "faulsten Kompromiss". Dass nun die Bundeskanzlerin mit einer bundesweiten Regelung drohe, sei eine "Kampfansage". Andererseits lasse sie die Untätigkeit ratlos zurück.
Das findet auch der Matthew Karnitschnig, Europa-Korrespondent des US-amerikanischen Online-Nachrichtenportals "Politico". Der Amerikaner mit einem österreichischen Vater und breitem Alpen-Dialekt hält sich nicht mit Kritik an Deutschland zurück. "Ich überlege mir, nach Amerika zurück zu gehen, um mich dort impfen zu lassen, das geht schneller. In Amerika redet man schon nicht mehr über Covid."
Er findet, Angela Merkel hätte sich "für die vielen Toten in den Altenheimen entschuldigen müssen", aber nicht für das Hin und Her um die Osterruhe. Er ist sich nicht sicher, ob alle an die Ernsthaftigkeit der Lage glauben würden. "Das mag stimmen, aber wir hören es seit einem Jahr."
Eigentlich wollte Plasberg auch mit dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) sprechen der auch an zwei Föderalismusreformen mitgearbeitet hat. Zu Beginn der Sendung ist der zugeschaltete 92-Jährige noch vor seinem beeindruckend überladenen Bücherregal zu sehen. Aber bevor es dann zum Gespräch kommt, verkündet Plasberg plötzlich: "Ihm geht‘s gut, aber seinem Rechner nicht. Der hat sich aufgeraucht."
Die Redaktion würde jetzt IT-Service mit Hamburg probieren und ein neues Programm aufspielen. "Vielleicht schaffen wir es, vielleicht nicht." Am Ende steht fest: Sie schaffen es nicht. "Handy hat er auch nicht. Das hat auch Stil. Auch wenn ich es mir heute gewünscht hätte." Aber das Thema wird uns ja so schnell nicht loslassen und so kann Plasberg Dohnanyi ja das nächste Mal einfach nochmal zuschalten.