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"Tatort"-Schauspieler Matthias Lier mit ehrlichen Worten über den Mauerfall

Schauspieler Matthias Lier
Schauspieler Mattias Lier ist in der DDR aufgewachsen und lebt heute in Berlin.Bild: Privat / Nils Schwarz
Interview

Schauspieler Matthias Lier über gemischte Gefühle zur Wende: "Ich bin doch kein Affe"

02.10.2023, 15:5512.10.2023, 16:33
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Zwei Kilometer. Weiter war es nicht bis in den Westen. Der Schauspieler Matthias Lier ist in Thüringen, direkt an der innerdeutschen Grenze, aufgewachsen. Eine Erfahrung, die ihn und sein Denken bis heute prägt.

Heute kennt man den Darsteller aus TV-Krimis wie dem "Tatort", doch er hat auch schon international für die BBC gedreht.

Im watson-Interview teilt er Eindrücke aus einer nicht-systemtreuen Kindheit, Erinnerungen an die Freiheit einer Pubertät nach der Wende und Gedanken zur (Nicht-)Einheit von heute.

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watson: Das Dorf Zella, in dem du aufgewachsen bist, lag direkt an der innerdeutschen Grenze. Wie war es da?

Matthias Lier: Wir haben den Hessischen Rundfunk empfangen und das West-Fernsehen war schärfer als das aus dem Osten. DDR1 haben wir gekriegt, DDR2 nicht. Aber wir wussten sowieso genau, dass das meiste, was da über den Westen verbreitet wurde, Schwachsinn war.

Klingt nicht so, als wärest du systemtreu erzogen worden.

Ich komme aus einem überhaupt nicht linientreuen Elternhaus. Mein Opa hatte einen Einzelhandel und wollte nicht Teil von der volkseigenen Handelsorganisation werden. Die Folge war, dass er eine Filiale nach der anderen schließen musste, weil er so gut wie nichts mehr verdient hat. Der hatte so einen Hass auf das System. Und davon hat mein Vater natürlich was mitgekriegt. Und ich dadurch dann auch.

Matthias Lier als Jugendlicher kurz nach der Wende.
Matthias Lier als Jugendlicher wenige Jahre nach der Wende in seinem Heimatdorf Zella in Thüringen.Bild: Privat / Matthias Lier

Wie seid ihr als Familie denn angeeckt?

Als ich im Kindergarten war, habe ich Udo Lindenberg gesungen, gegen den zeitweise sogar ein DDR-Reiseverbot verhängt wurde. Und ich habe den Honecker als Ober-Indianer betitelt. Die vom Kindergarten sind dann zu meinen Eltern gekommen und haben gesagt: "Wir sehen es ja genauso. Aber wir müssen das melden, wenn er das noch mal sagt."

"Ich werde nie vergessen, wie die Leute da alle auf unseren Trabi geklopft haben. Sie haben Bananen durchs Fenster reingereicht."

Du warst zehn Jahre alt, als die Mauer gefallen ist. Wie erinnerst du dich daran?

Das kam von jetzt auf gleich, völlig unerwartet. Auf einmal stand mein Vater vor mir und hat gesagt, die Mauer ist auf. Und dann hat er Tränen in den Augen gehabt.

Tatort Matthias Lier
Matthias Lier als Stalker im Mainzer "Tatort".Bild: Das Erste / Namche Okon

Was habt ihr gemacht?

Erstmal war die Grenze ja nur in der Hauptstadt offen. Und drei Tage später ging es wie ein Lauffeuer bei uns rum: "In Philippsthal haben sie aufgemacht." Wir sind sofort mit unserem Trabi bis nach Vacha gefahren. Direkt nebenan lag Philippsthal, das war dann schon im Westen. Ich war komplett euphorisiert. Dachte: endlich Demokratie! Aber ich hatte damals auch als Kind schon gemischte Gefühle. Ich werde nie vergessen, wie die Leute da alle auf unseren Trabi geklopft haben. Sie haben Bananen durchs Fenster reingereicht. Und ich dachte: Ich bin doch kein Affe!

Vermutlich war es nett gemeint.

Ich musste auch lachen, aber gleichzeitig habe ich mich gefühlt wie ein Idiot. Und da fing das schon an mit der Anpassung an den Westen.

Matthias Lier und sein jüngerer Bruder wenige Jahre nach der Wende.
Schauspieler Matthias Lier als Jugendlicher mit seinem jüngeren Bruder in Thüringen.Bild: Privat / Matthias Lier

Wie sah die aus?

Das ging so weit, dass ich versucht habe, Bairisch zu lernen, damit man nicht mehr hört, wo ich herkomme. Natürlich hat man das trotzdem sofort gemerkt. Alleine an den Klamotten. Ich habe mich gefühlt wie ein Mensch zweiter Klasse.

Wie meinst du das?

Es war auf einmal alles kacke, was aus dem Osten kam. Wir haben alles weggeschmissen. Die Mopeds sind verschenkt worden. Es wurden Lampen, Küchengeräte, Fernseher weggeschmissen. Man wollte die Zeit hinter sich lassen und jede Verbindung kappen. Alle wollten sich ganz schnell anpassen, um endlich wieder was wert zu sein. Und irgendwann kam dann die Phase des Zerstörerischen.

"Im Westen haben sie Marihuana geraucht, aber darüber wurde im Osten nur gelacht. Hier haben die Leute 'richtige' Drogen genommen"

Was war die Phase des Zerstörerischen?

Du konntest im Osten vorher nichts machen. Und jetzt auf einmal, mit der Wende, war alles möglich. Das fiel dann noch mit meiner Pubertät zusammen: Ich habe halt die ganze Zeit Grenzen getestet. Wo es nur ging. Wir waren feiern in Techno-Clubs. Das war schon wild. Ein Beispiel: Im Westen haben sie Marihuana geraucht, aber darüber wurde im Osten nur gelacht. Hier haben die Leute "richtige" Drogen genommen, und ich war, glaube ich, der Einzige in den Technokellern, der nichts genommen hat. Mir hat die Musik gereicht.

Und heute? Sind wir inzwischen ganz wiedervereinigt?

Im Westen gibt es viel Unverständnis darüber, dass sich im Osten viele noch nicht in einem gleichen Deutschland sehen. Aber wie soll denn das gehen? Wir aus der DDR sind nicht wie die Menschen aus der ehemaligen BRD. Und dort sind auch nicht alle gleich. Man wird doch zu dem, der man ist, durch das, was man erlebt hat. Und jeder im Osten hat ganz andere Dinge erlebt als Menschen in Westdeutschland.

ARD/SWR TATORT: AUS DEM DUNKEL, Fernsehfilm, Deutschland 2023, am Sonntag (08.10.23) um 20:25 Uhr im ERSTEN.
Daniel König (Matthias Lier, rechts) ist ins Visier von Ellen (Heike Makatsch) und ihren Ko ...
Matthias Lier wird als Verdächtiger im Mainzer Tatort "Aus dem Dunkel" (läuft am 8. Oktober im Ersten) verhört. Bild: SWRation / Peter Porst

Eine aktuelle innerdeutsche Grenze könnte man im Politischen erkennen. Ganz direkt gefragt: Warum ist in Ostdeutschland die AfD so erfolgreich?

Viele im Osten spüren gerade, dass sie immer noch nicht vollständig dazu gehören. Das sieht man schon an der Einordnung auf dem Lohnzettel, ob man in Ost oder West arbeitet. Da fühlt man sich schnell wie ein Bürger zweiter Klasse. Viele wollen auch nicht mehr werden, wie der Westen ist. Es ist eine Trotzreaktion auf das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.

Aber was bringt es dann, AfD zu wählen?

Nichts. Aber das ist wie das bockige Kind, das sagt: "Okay, wenn du mir jetzt nicht zuhörst, dann schmeiße ich mein Fahrrad weg." Weil es Aufmerksamkeit möchte. Und auf die AfD ist im Moment auf jeden Fall viel Aufmerksamkeit gerichtet.

Ist denn dieses Gefühl der fehlenden Aufmerksamkeit wirklich gerechtfertigt?

Wenn man sich mal umsieht in den Chefetagen der Dax-Konzerne oder in der Bundespolitik, ist es schon erschreckend, wie wenig frühere Ostdeutsche mit dabei sind. Ich finde das Thema wahnsinnig wichtig, ich habe dazu auch ein Drehbuch geschrieben, das hoffentlich bald verfilmt wird.

Matthias Lier
2022 hat Matthias Lier für die BBC-Serie "World on Fire" gedreht.Bild: Privat / Milli Rosa

Betrifft das Thema AfD denn auch deinen Freundes- und Familienkreis?

Bei mir geht der Riss wegen der AfD mitten durch die Familie. Mein Onkel ist einer der führenden AfD-Leute in seiner Stadt. Als ich das mitgekriegt habe, war ich natürlich schockiert. Und dennoch wollte ich verstehen, wie das sein kann, dass jemand meiner Verwandten Teil dieser Partei ist. Ich finde es wichtig, da im Dialog zu bleiben. Aber der Konflikt hat sich ja leider inzwischen so sehr zugespitzt, dass viele sagen: Ich rede mit denen von der AfD nicht. Aber das ist der falsche Weg, glaube ich. Dass es nichts bringt, die Partei wegzuignorieren, sehen wir ja an den Umfragen und Wahlergebnissen.

In diesem Video erfährst du mehr über die "Tatort"-Folge mit Matthias Lier, die die letzte von Heike Makatsch als Ermittlerin ist:

Wie können wir die Probleme zwischen Ost und West denn versuchen zu lösen?

Ich glaube, es ist wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen dafür, dass wir nicht eins sind – was sowieso total langweilig wäre. Sondern ein Zusammenschluss aus ehemaligen Westdeutschen, aus früheren Ostdeutschen und auch aus Migranten. Und dass alle ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben. Dass alle etwas mitbringen. Und dass es diese eine Monokultur nicht geben kann. Und ich glaube auch, dass es wichtig wäre, auch mal anzuerkennen, dass bei der Wiedervereinigung nicht alles total super gelaufen ist.

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