Enissa Amani hält selbst nicht viel von ihrem Können als Talkerin. Ihre Show "Die beste Instanz" überzeugte ihre Community dennoch vollends, nachdem der WDR mit der Wiederholung von "Die letzte Instanz" einen Rassismus-Eklat ausgelöst hatte.Bild: Getty Images Europe / Andreas Rentz
Interview
02.03.2021, 09:0202.03.2021, 09:01
Enissa Amani ist iranisch-deutsche Comedian, ehemalige Vize-Miss Westdeutschland, Schauspielerin, Autorin, Regisseurin – und als verursache das alles nicht genug Arbeit, regt sie sich leidenschaftlich als immer deutlicher wahrgenommene politische Aktivistin über Rassismus in Deutschland auf. Und wenn, dann richtig: Vor kurzem sorgte die WDR-Sendung "Die letzte Instanz" für Negativ-Schlagzeilen. Die durchgängig weißen Gäste plauderten über als rassistisch geltende Begriffe und die Legitimation ihrer Verwendung.
Amani prangerte das auf Instagram in einem Livestream an, doch nachdem wenig Resonanz vom WDR kam, entschied sie sich kurzerhand, mit "Die beste Instanz" eine eigene Talkshow auf Youtube auf die Beine zu stellen. Sie lud dafür Natasha A. Kelly, Max Czollek, Nava Zarabian, Gianni Jovanovic und Mohamed Amjahid ein, fünf Experten mit Expertise zum Thema Rassismus und Sprache. Das kam an, ihre Fans forderten bereits Nachschub, am besten im Fernsehen.
Im Interview mit watson spricht Enissa jetzt ausführlich über strukturellen Rassismus in Deutschland, erklärt, was sie von den Entschuldigungsversuchen der "Die letzte Instanz"-Runde hält und ob sie künftig tatsächlich weitere Ausgaben ihrer Sendung mit vielfältigen Gästen plant.
Außerdem erklärt sie, warum sie mittlerweile immer häufiger TV-Auftritte absagt. Besonders schlecht kommt dabei die RTL-Sendung "Stern TV" weg, zu der Amani eine Woche nach dem Anschlag von Hanau eingeladen war. "Es gab keine Sendung über Hanau. Die Themen danach waren stattdessen Schönheits-OPs, Silikonbrüste, die geplatzt sind und Ähnliches. Und ich dachte nur, das kann doch nicht sein." Eine "Unverschämtheit", wie Amani findet.
watson: Der WDR und seine Gäste von "Die letzte Instanz" fanden sich nach der zweiten Ausstrahlung in einem Shitstorm wieder, inklusive Rassismus-Vorwürfen. Danach hast du kurzerhand deine eigene Talkshow namens "Die beste Instanz" produziert. So viel Wut im Bauch gehabt?
Enissa Amani: Nun, nachdem der WDR meine Anmerkungen, eine Sendung mit 5 Experten zu machen, die bei so einem wichtigen Thema nicht nur Unbetroffene ohne wissenschaftliche Expertise sind, mit einem "Danke für die Anregung" beantwortet hat, vermutlich schon.
Und das wolltest du nicht einfach so hinnehmen?
Genau, dann dachte ich irgendwann: Warum mache ich das hier überhaupt? Warum versuche ich die dahin zu pushen? Wenn die mit Viewerzahlen nicht das Gleiche generieren können wie ich, wenn wir mal ehrlich sind.
Also dann einfach selbst?
Ich kann einfach mit einem Video eine viel größere Zuschauerschaft erreichen als bei einem WDR-Talk und dachte mir: "Komm, ich mach’s einfach selbst".
Klingt nach ziemlich viel Aufwand.
Es war auch nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Es hat mich zum Beispiel auch eine Stange Geld gekostet, eine Location zu mieten, das Team anzumieten, die Kameras, die Leute, die Fahrtkosten, die Gäste. Das war alles nicht ohne.
Aber es hat sich gelohnt?
Wahnsinnig.
Inwiefern?
Ich mache Sachen immer sehr impulsiv und denke wenig darüber nach. Das hat auch schon mal schlechte Seiten. Und in dem Fall habe ich gar nicht mit so einer hohen Resonanz gerechnet.
Warum nicht? Das Thema war in Deutschland doch auf allen Kanälen Gesprächsthema.
Das stimmt. Nur hatte ich angenommen, dass so einen wissenschaftlichen Talk vielleicht 10.000 Leute schauen oder so. Das finden die Leute bestimmt gut, dass ich das mache, aber das wird nicht mehr viral gehen, weil es für die meisten sicher zu akademisch ist. Aber dann wurde selbst der 7-minütige Trailer allein eineinhalb Millionen Mal geteilt.
Wen wolltest du mit deiner Show genau erreichen?
Die Gesellschaft. Das ist ein Thema, das einfach für uns als Gesellschaft, als Deutschland, mehr als nur relevant ist. Mehr als nur aktuell. Das betrifft uns alle, das betrifft uns auf allen institutionellen Ebenen – egal, ob das behördlich ist oder ob es Sender sind. Und das betrifft nicht nur Deutschland, es wird ja überall diskutiert, dass wir teilweise als Menschheit uns selbst hinterherrennen.
Wie meinst du das?
Jeder Mensch ist beispielsweise mit dem Wissen aufgewachsen, dass es nicht in Ordnung ist, Tiere qualvoll zu halten, damit wir uns ernähren können. Trotzdem kriegen wir die Strukturen nicht schnell genug angepasst, weil wir Menschen eben auch bequem sind und ungern drastische Änderungen vornehmen. Aber manche Sachen brauchen eben drastische Änderungen.
"Die Leute, die das sagen, sind meist auch diejenigen, die sich aufregen, wenn man zum Beispiel eine Maske tragen muss."
Rassismus zum Beispiel?
Was Rassismus in Deutschland betrifft, was rassistische Gewalt in Deutschland betrifft. Ja. Da sprechen die Zahlen ja für sich. Das Bundeskriminalamt veröffentlicht regelmäßig, wie viele Anschläge wir von rechter Seite zu verbuchen haben und wie viele von anderen Seiten. Das sind alles Themen, die wichtig sind und die Konsequenzen haben. Wie Mohamed in der Show gesagt hat: Die haben Konsequenzen für Existenzen. Menschen, denen Berufsoptionen nicht ermöglicht werden, die Lebensoptionen nicht in der Weise haben, wie sie sie haben sollten.
Es gab dann den Vorwurf von Kritikern, dass sich in deinem Talk über Probleme aufgeregt wird, die keine sind…
Für die Dominanzgesellschaft ist es immer leicht zu sagen: "Das sind doch keine wichtigen Probleme." Die Leute, die das sagen, sind meist auch diejenigen, die sich aufregen, wenn man zum Beispiel eine Maske tragen muss.
Wo siehst du die Gründe hierfür?
Die Leute sind so an ihre Privilegien und Bequemlichkeit gewöhnt, dass solche kleinen Dinge plötzlich zur Rebellion führen. Plötzlich haben die Leute wilde Theorien und gehen damit auf die Straße, stürmen das Kapitol in Amerika oder hier den Bundestag. Weil eine Kleinigkeit an deren Tagesablauf verändert wurde. Weil plötzlich der Laden nicht mehr aufhat, wo man nachts sein Bier getrunken hat.
Und dann?
Dann fragen diese Leute: "Sind das wichtige Probleme? Gibt es überhaupt Rassismus in Deutschland?" Dass andere Menschen hier mit wahnsinnigen Stigmata leben, nicht die gleichen Chancen bekommen, Gewalt ausgesetzt sind, das wird so als Plauderei abgetan. Aber bei einer weltweiten Pandemie, wenn sich ein paar Sachen an unserem Alltag ändern, verlieren manche komplett den Verstand und verbreiten wirre Theorien.
Aus einer Arroganz heraus?
Ich glaube ihnen, dass sie das so empfinden, dass sie denken: "Ach, was regen die sich da über so einen Quatsch auf, wie ich mein Schnitzel nenne."
Und welche Antwort würdest du geben?
Meines Erachtens begreifen die Leute nicht, was für einen Impact das auf dich hat, wenn du als Schwarzer Deutscher groß geworden bist und mit welchen Schwierigkeiten du hier aufwächst. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, weil sich das in allen Punkten bemerkbar macht.
"Wenn der Einzelne sich nicht verbessert, dann passiert auch in der Gesellschaft nichts."
Versuch es gerne.
Wie lange hat es gedauert, bis wir hier Puppen kaufen konnten, die auch mal braune Haare oder eine schwarze Haut hatten? Das nimmt alles Einfluss aufs Selbstbild, auf das Selbstbewusstsein. Was wir für schön und nicht schön halten. Welche Chancen wir bekommen. Und das fängt nicht erst mit einer Diskussion um Schnitzel mit vier Privilegierten an.
Zählst du dich auch zu den Privilegierten?
Auch ich muss mir meiner Privilegien bewusst sein. Das ist eine Taktik von mir, von der ich hoffe und sehe, dass die ankommt. Ich nehme mich selbst mit in den Topf und zeige nicht nur mit dem Finger auf andere. Jeder muss gucken, was er in den letzten Jahren falsch gemacht hat. Wie kann ich besser werden, wie kann ich an mir arbeiten? Die Gesellschaft wächst immer nur dann, wenn auch das Individuum als einzelnes wächst. Wir hängen alle zusammen. Wenn der Einzelne sich nicht verbessert, dann passiert auch in der Gesellschaft nichts. Und das schulden wir den nächsten Generationen.
Wie meinst du das konkret?
Ich kann einfach nicht für mich, sagen wir, weiter Fleisch konsumieren oder alles in Plastik stecken, aber gleichzeitig sagen, dass ich mir eine schöne plastikfreie Welt wünsche. Oder dass Tiere nicht gequält werden. Ich muss immer an mir arbeiten, aber ich muss auch Strukturen aufbrechen. Ich kann als Einzelne so viel darauf verzichten, wie ich will, wenn die Struktur alles weiter am Laufen hält.
"Das ist so, als würde ich mich in einem Swimming-Pool in ein Schlauchboot legen und sagen: 'Ah, so fühlen sich also Flüchtlinge im Mittelmeer'."
Aber sind nicht viele Einzelne eine Gemeinschaft?
Das schon, nur gibt es hier noch die strukturelle Ebene. So ist es auch mit Rassismus in diesem Land, der zum großen Teil geduldet wird und als normal angesehen wird. Ich höre immer wieder, "das ist doch völlig normal, so haben wir es doch immer gemacht". Und das ist einzelnen Personen eben gar nicht bewusst.
Erinnert dich das an Thomas Gottschalks Aussagen in "Die letzte Instanz"?
Ich bin auch mit einem Thomas Gottschalk groß geworden, das war auch für mich ein großer Fernsehname. Dass der sich einfach überhaupt nicht bewusst ist, was in der Welt los ist, wenn er sagt, er hat sich schwarz angemalt, um Jimi Hendrix zu würdigen und wusste damit zum ersten Mal, wie sich ein Schwarzer fühlt. Das ist so, als würde ich mich in einem Swimming-Pool in ein Schlauchboot legen und sagen: "Ah, so fühlen sich also Flüchtlinge im Mittelmeer. Hier ist ja auch Wasser um mich herum." Das ist so realitätsfern.
Die Talkrunde "Die letzte Instanz" im WDR mit Steffen Hallaschka, Jürgen Milski, Micky Beisenherz, Janine Kunze und Thomas Gottschalk.Bild: screenshot wdr
Was hältst du von den Entschuldigungsversuchen der Gäste Janine Kunze und Micky Beisenherz?
Das ist etwas schwieriger. Von einigen weiß ich, dass es nicht der erste Ausrutscher war. Dass sich eben auch bestimmte Denk-Mechanismen bei denen so verfestigt haben, dass das ganz schwierig ist, die bei denen rauszubekommen. Sowas ist jahrelange Arbeit. Aber das darf auch keine Rechtfertigung sein. Deswegen bin ich der Meinung, man muss die Leute über Jahre beobachten und schauen, ob so eine Entschuldigung ernst gemeint war. Oder ob der nächste Ausrutscher zwei Monate später wiederkommt. Das ist das, was ich oft beobachtet habe und das war auch in der WDR-Sendung so.
Klingt so, als würdest du ihnen die Entschuldigung nicht ganz abkaufen.
Da sitzt ein Beisenherz, der hat vor vier Jahren schon geschrieben, "Kleine Titten sind wie Flüchtlinge, keiner will sie haben", und hat damit sowohl Sexismus als auch Fremdenfeindlichkeit zur Schau gestellt. Und er sagte erst ein paar Wochen zuvor noch, dass dieser Auschwitz-Witz von irgendeinem Kollegen überbewertet sei. Da kann keine Rede davon sein, dass er sagt: "Ah, das wusste ich nicht. Danke, dass es mir jemand beigebracht hat und jetzt lasse ich es weg und entschuldige mich aufrichtig."
"Wir sind eben nicht, wie gerne dargestellt, 'die andere Seite der Medaille'. Wir sind Deutsche."
Welche Lösung siehst du?
Sowas braucht immer jahrelange Arbeit. Man kann das auf alle möglichen Dinge übertragen. Nehmen wir an, du hast Flugangst und möchtest das ablegen – das ist sehr schwierig von einem Tag auf den anderen. Das geht auch bei internalisierten Rassismen, bei rassistischen Gedankengängen oder beim Thema Sexismus bei Männern nicht von heute auf morgen. Männer und Frauen von einem Tag auf den anderen komplett gleich zu bewerten, ist unmöglich. Das braucht seine Zeit.
Du sprichst diese Dinge zumindest immer offen an.
Ich bin eine Person, die solche Themen klar benennt, trotzdem versuche ich auch, diplomatisch zu sein. Man merkt es, glaube ich, auch in der Sendung: Ich bin diejenige, die immer wieder einwirft, dass mein Video vor allem von Menschen geteilt wurde, die keinen Migrationshintergrund haben. Ich bin jemand, der versucht, auch Raum zu lassen und nicht zu spalten. Es ist eben nicht das Gleiche. So, wie es mir oft von rechter Seite vorgeworfen wird.
Kam dieser Einwand auch nach deiner Sendung?
Das fand ich spannend. Es kam zwar wenig Kritik, aber wenn, dann oftmals: "Ihr macht das Gleiche. Ihr habt da jetzt sechs Leute hingesetzt und nicht einen Deutschen." Das war so bezeichnend, dass sie nicht verstehen, dass wir doch Deutsche sind. Wenn ein Gianni über etwas spricht, selbst wenn er das Wort Alman benutzt, dann ist er ein Alman und ein Roma. Das ist ein großer Unterschied, wenn wir als Deutsche, aber eben auch als Angehörige einer Minderheit über Rassismus sprechen. Wir sind eben nicht, wie gerne dargestellt, "die andere Seite der Medaille". Wir sind Deutsche.
Wie weit sind wir nun in Deutschland?
Noch lange nicht am Ziel, denn das ist ein schwieriger und deswegen auch oft für uns sehr frustrierender Weg. Aber das ist ja mit vielen Themen so. Manche Themen sind aber mehr mit Gewalt behaftet und deswegen muss man konsequent im Widerstand sein.
Mit Gewalt behaftet?
Ja, Gewalt an Frauen ist zum Beispiel so eine gefährliche Thematik. Da muss man auch den Widerstand schneller hinbekommen. Da reicht es nicht abzuwarten, ob die Männerwelt, die diese Gewalt ausübt, Schritt für Schritt mal was dazulernt. Da müssen große Schritte gemacht werden, damit sich was bewegt. Denn es geht immerhin um Menschenleben. Weil eine Frau oder ein Kind zu Hause das Leben verlieren kann.
"Es passieren immer wieder Ausrutscher in dem Maße, sodass man denkt, das dürfte so nicht mehr geschehen."
Zurück zur Rassismus-Diskussion. Wie schätzt du die Position des WDRs in der Debatte ein?
Im Fall des WDR glaube ich auch, dass es dort zu wenige Leute gibt, die das verstehen. Ich habe den WDR auch nicht als Ganzes gebasht. Ich habe schon öfter mit denen zusammengearbeitet und auch ganz klar in meinem Instagram-Video gesagt, dass sie viel gut und viel richtig machen und bemüht sind in dieser Richtung. Aber es passieren immer wieder Ausrutscher in dem Maße, sodass man denkt, das dürfte so nicht mehr geschehen. Aber sie passieren leider immer noch.
"Die letzte Instanz" war eine Wiederholung. Das heißt, es wurde schon einmal gesendet, ohne hinterfragt worden zu sein.
Ich glaube, Pocher hatte das gesagt: "Ja, diese Sendung lief ja lustigerweise schon im November und da hat keiner was gesagt." Was mich daran so aufregt, ist, warum hat er denn dann nichts dazu gesagt? Denn ich habe es damals nicht gesehen. Es war wieder sehr bezeichnend für mich und meine Impulsivität, denn ich habe es an dem Tag gesehen und bin eine halbe Stunde später live gegangen.
Du kritisiert also die Leute, die bereits im November die WDR-Sendung gesehen haben und nichts gesagt haben.
Was ist mit all den Leuten, die das schon gehört und eben nicht darüber gesprochen haben? Das als Argument zu verwenden und zu sagen: "Ach ja, da habt ihr euch nicht aufgeregt…" Ja, weil ich es nicht gesehen habe. Und wo wart ihr?
Inwiefern konnte dein Talk was zur Aufklärung beitragen?
Danach haben so viele Leute die Bücher meiner Gäste bestellt. Das waren eben viele Menschen, die nicht betroffen sind. Ich habe aber auch gemerkt, wie sehr das Thema in den Schulen fehlt.
Woher?
Ein Mädchen hat mich angeschrieben und gefragt, ob ich ihr erklären könne, ob sie als blonde, blauäugige Türkin weiß oder eine POC ist. Das fand ich so hübsch und schön. Ich habe gemerkt, da ist noch ganz viel Wissensbedarf.
Kam der WDR nach "Die beste Instanz" auf dich zu?
Nein, der WDR nicht.
Andere Fernsehsender?
Wir haben einige Anfragen von Sendern auf dem Tisch, die die Show super fanden und das gerne machen würden.
"Ich mache mein Team mit meinen Ideen verrückt, wenn ich plötzlich verkünde: 'Ich habe beschlossen, Bildhauerin zu werden, geh Steine besorgen'."
Und was denkst du darüber?
Ehrlich gesagt bin ich als Mensch und als Künstlerin an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben. Ich merke auch, dass man mir, egal ob man mich mag oder nicht, diese Integrität mittlerweile zuschreibt und meine Richtung erkannt wird. Von rechter Seite bekomme ich immer noch den Vorwurf: "Ach, die ist doch gar nicht mehr relevant, ich habe die seit Jahren nicht im Fernsehen gesehen." Wenn die wüssten, was ich auf dem Tisch liegen habe. Meine Fans wissen das, weil ich das immer so offen sage, dass ich zum dritten oder vierten Mal eine Sendung, die Moderation oder "Schlag den Star" abgelehnt habe. Teilweise auch Sendungen, die ich super finde.
Wieso?
Da geht es nicht darum, dass ich alles schlechtmachen will, was im Fernsehen läuft. Aber ich selbst bin einfach durch und durch Künstlerin, mit all dem Chaos, mit dem Schrott, der damit verbunden ist, der Impulsivität. Ich mache mein Team mit meinen Ideen verrückt, wenn ich plötzlich verkünde: "Ich habe beschlossen, Bildhauerin zu werden, geh Steine besorgen."
Und das wird einfach so hingenommen?
Mein Manager wirft immer mal wieder ein: "Wir müssen auch Geld verdienen, wieso sagst du jetzt die oder die Sendung ab? Das ist eine super Show, die sollst du moderieren." Ich lasse ihn allerdings immer wieder wissen, dass ich nun mal keine Moderatorin bin.
"Ich bin die schlechteste Talkerin der Welt, weil ich so viel rede und Leute nicht zu Wort kommen lasse und immer dazwischen quatsche."
In welchem Bereich siehst du dich stattdessen?
Ich arbeite seit zwei Jahren an Drehbüchern. Mein erster Kurzfilm kommt bald, der mir sehr wichtig ist. Er handelt vom Klimawandel. Das dauert seine Zeit, bis die Leute das anerkennen. Ich habe es definitiv dem Haushalt zu verdanken, in dem ich aufgewachsen bin, dass der Impact, den ich mit meinem Output habe, definitiv überwiegt, als dass ich überlege, wo ich schnell Geld verdienen kann. Ich habe kontinuierlich "Nein" gesagt zu diesem Fernseh-Schrott und teilweise auch zu Sachen, die ich mag oder zu denen mein Team gesagt hat, "das kannst du machen, das ist doch nicht schlimm". Aber ich habe immer nein gesagt.
Weil?
… weil der Output mir nicht stark genug war.
Wird es deine Sendung nun also nicht regelmäßig geben?
Ich bin keine Talkerin. Ich weiß nicht, ob ich Bock darauf habe. Ich bin die schlechteste Talkerin der Welt, weil ich so viel rede und Leute nicht zu Wort kommen lasse und immer dazwischen quatsche. Ich habe auch bei der Sendung meine Gäste direkt vorgewarnt. Aber sie meinten, das braucht die Sendung, sonst wird es zu langweilig, zu wissenschaftlich, zu akademisch und dann schalten die Leute ab.
Ein guter Rat.
Sie waren sich sicher, dass die Leute auf meinem Kanal eben auch meine Geschichten hören wollen. Deshalb habe ich mir erlaubt, auch Enissa zu sein und kann aber auch zu 100 Prozent sagen: Das ist nichts, woraus ich ein wöchentliches Format machen würde.
Vielleicht in anderer Frequenz?
Wir spielen mit dem Gedanken, alle zwei Monate oder einmal im Quartal oder wenigstens zu bestimmten Ereignissen einen Talk zu machen, den wir so besetzen, wie wir es für richtig halten. Aus dem man viel lernen kann, aber eben auch Spaß hat, zuzuhören. Das ist eine Idee, die im Raum steht. Aber wie gesagt, ich überlege, Bildhauerin zu werden (lacht).
Neben eigenen Sendungen könntest du auch öfter als Gast auftreten. Warum bist du dort so selten?
Die Einladungen sind da, "Stern TV" und "Maischberger" laden mich oft ein, aber es ist oftmals so, dass wir wegen der Thematik absagen. Bei "Stern TV" wurde ich beispielsweise eine Woche nach dem Anschlag von Hanau eingeladen, allerdings wollte man mit mir über sexistische Rap-Texte reden. Ich habe sogar überlegt zuzusagen, um dann in der Sendung das Thema zu wechseln, denn es ist ja eine Live-Sendung. Ich hatte also eigentlich einen Guerilla-Move geplant.
Das hätte auf jeden Fall Aufmerksamkeit erzeugt.
Es ist doch eine Unverschämtheit. Nicht, weil das andere nicht auch ein Thema ist, das wir besprechen können. Aber es gab keine Sendung über Hanau. Die Themen danach waren stattdessen Schönheits-OPs, Silikonbrüste, die geplatzt sind und Ähnliches. Und ich dachte nur, das kann doch nicht sein. Und ganz generell: Ich habe mittlerweile auch eine Integrität, ich gehe nicht in eine Sendung, wenn da auch nur ein Politiker sitzt, der halb mit der AfD kuschelt. Das mache ich nicht.
"Als Frau, als POC und dann noch mit einer operierten Nase, sind die Leute gar nicht mehr gewillt, dir zuzuhören."
Sind das die einzigen Gründe für deine TV-Absagen?
Da kommen mehrere Aspekte zusammen: Als Frau sollst du möglichst unemotional sein, sondern lieb und nett und ruhig. Und dann kommt der kulturelle Aspekt dazu: In Deutschland gehen wir grundsätzlich mit allem trockener um. Und dann gibt es noch den POC-Aspekt. Ich muss mir immer wieder anhören: "Die Iranerin, was schreit die denn so rum? Würde die im Iran so rumschreien, würde die direkt gesteinigt werden." Das habe ich nach TV-Auftritten auch zu spüren bekommen. Als Frau, als POC und dann noch mit einer operierten Nase, sind die Leute gar nicht mehr gewillt, dir zuzuhören.
Typisches Schubladendenken?
Generell ist das ein Frauen-Ding. Wenn du keine POC bist, aber als Frau trotzdem emotional wirst, dann bist du die emotionale Frau. Dann kommt immer die Kritik: "Warum konntest du das nicht sachlich sagen? Warum konntest du das nicht ruhig sagen?" Und das ist eben der Punkt.
"In dem Moment, wo mein Gegenüber etwas klar Rassistisches sagt, dann erfordert das von mir auch eine sehr scharfe Antwort."
Welcher genau?
Ich finde, man muss an manchen Stellen unsachlich werden. Je nachdem, womit wir konfrontiert werden. Wenn ich Politikerin bin und mit einem Oppositionellen diskutiere, dann muss ich dabei nicht rumschreien, selbst wenn es ein politischer Gegner ist. Aber in dem Moment, wo mein Gegenüber etwas klar Rassistisches sagt, dann erfordert das von mir auch eine sehr scharfe Antwort. Ich finde nicht, dass ich in solch einem Moment noch sachlich in meiner Antwort bleiben muss.
Auch im Netz reagierst du auf Rassismus sehr deutlich.
Auch wenn ich manchmal streng poste oder auch mal tweete, dass Deutschland noch nicht entnazifiziert wurde, stehe ich dazu. Ich bin trotzdem ein Mensch, der auf das Wachstum der Gesellschaft schaut und das als eine schöne Entwicklung empfindet. Ich finde es schön, dass mein Video so oft geteilt wurde. Es treibt mir richtig die Tränen in die Augen, was da für eine Solidarität ist, von Menschen die eigentlich auf der anderen Seite stehen. Wir müssen einfach nur zusammenwachsen, Dinge verstehen und sie nicht wiederholen.