Sie sind ein Phänomen: Dag und Vincent alias SDP nennen sich selbst die "Bekannteste unbekannte Band der Welt". Das Berliner Duo veröffentlichte vor 16 Jahren sein erstes Studioalbum, ihre Songs wurden auf Spotify und allen gängigen Portalen millionenfach gestreamt. Als erste deutsche Band waren sie bei Youtube aktiv, sangen und produzierten zusammen mit Sido, Adel Tawil, Weekend, Bela B und Capital Bra.
Ab Februar touren die Jungs mit "Die Unendlichste Tour" durch Deutschland, Österreich, Luxemburg und die Schweiz. Ihr Musikstil? Schwer zu sagen. SDP müsst ihr selbst hören. Der Stil ist eine eigene Erfindung.
Watson traf Dag und Vincent in ihrem Berliner Plattenstudio und sprach mit ihnen über die anstehende Mega-Tour, Männerfreundschaft, ihre Kollabo mit Capital Bra und das leidige Thema Altersvorsorge.
Noch seht ihr sehr fit aus. Wie wird sich das im Laufe der Tour wohl ändern und wie steht man 50 Shows überhaupt durch – psychisch und physisch?
Vincent: Zuerst einmal könnt ihr gerne in regelmäßigen Abständen kommen und einen Zeitraffer erstellen, wie wir körperlich immer weiter verfallen. Nein, unsere Show ist körperlich wirklich sehr mitreißend und auch anstrengend. Aber wir machen beide natürlich viel Sport, ohne das würde es nicht funktionieren. Und wir proben ohne Ende.
Was erwartet die Fans auf eurer "Unendlichsten Tour"?
Vincent: Tatsächlich ist die Tour für uns gefühlt tatsächlich unendlichst. Wir spielen, wenn man alles zusammenrechnet, mit Tour und Festivals in den nächsten sechs Monaten rund 50 Shows. Bevor wir danach in die Live-Pause gehen, wird es einen großen, kunterbunten Abriss geben.
Dag: Die Tour ist sowieso unendlichst, weil zumindest ich die Zeit vergessen werde und die Erinnerungen an diese Abende für immer behalten darf.
Ihr tourt zusammen mit den 257ers. Wie kam die Kooperation zustande?
Vincent: Das sind richtig gute Kumpels von uns, wir kennen die Jungs schon sehr lange. Auf dem aktuellen Album haben wir einen sehr überfälligen Song zusammen gemacht und dann ist irgendwann die verrückte Idee entstanden.
Dag: Bei unserer großen Show in der Berliner Wuhlheide zum 20-jährigen Bandjubiläum waren sie auch dabei, sie haben uns recht spontan mit einem sehr geilen Opener supportet. Auch das war ein Grund für die verrückte Idee, sie mit in unseren Tourbus zu lassen.
Vincent: Vielleicht bereuen wir die Entscheidung auch noch (lacht). Nein, unsere Fans haben eine sehr große Schnittmenge – viele unserer Fans hören die 257ers und andersrum. Das ist nicht nur für uns geil, sondern auch für die Fans.
Auf euren Konzerten machen auch gerne mal die Fans die halbe Arbeit und singen teils zu zehn-, fünfzigtausend jede Zeile mit. Wie erlebt ihr das oben auf der Bühne?
Dag: Das ist unglaublich, wenn man das die ersten Male erlebt. Du hältst dein Mikrofon in die Menschenmenge und die Masse schreit dir deinen Text entgegen. Das ist für jeden Musiker sicher einer der krassesten Momente.
Vincent: Ich finde es immer faszinierend, wie verrückt und gleichzeitig normal sich das mittlerweile anfühlt. Wir proben ohne Ende, dann hüpfst du da auf der Bühne rum und es fühlt sich eigentlich ganz normal an.
Aber es ist bei uns auch nicht über Nacht gekommen, dieses Level, auf dem wir jetzt sind. Das ist eine zwanzigjährige Entwicklung. Es gibt auch Künstler, bei denen ist der Erfolg quasi über Nacht gekommen. Das muss noch schwieriger zu verarbeiten sein. Denn umso wahrscheinlicher kann er dann auch direkt wieder vorbei sein. Ich persönlich bin aber vor kleinen Konzerten viel aufgeregter als vor den großen.
Warum das?
Vincent: Bei diesen kleinen Auftritten siehst du jede Person einzeln: Die da singt mit, die da weint. Warum weint sie? Ah, sie ist vom Song gerührt. Er da holt sich ein Bier. Warum macht er das? Das ist doch grad meine Strophe, die ist doch geil! Bei großen Konzerten wird das Publikum zu einer Person - du siehst die ersten ein, zwei Reihen und dann nichts mehr. Du nimmst aber natürlich die Gesamtstimmung wahr – es wirkt aber alles ein wenig surreal.
Vincent: Es ist auch viel geiler zu zweit als alleine. Ich kenne viele Künstler, die uns das bestätigt haben. Wir sind ein Team – jeder macht das, was er am besten kann. Du kannst auf der Bühne viel besser deine Gags machen oder moderieren, auch beim Texten ist es praktisch, dann muss jeder immer nur eine Strophe schreiben (lacht). Du hast immer einen Partner und jemandem, mit dem du dich am Ende freuen kannst, wenn du zum Beispiel eine Tour geschafft hast. Ich hätte jetzt keinen Bock, mir danach selbst auf die Schulter zu klopfen.
Habt ihr Songs, die heute zu euren größten Hits zählen, auch schon als Jugendliche geschrieben?
Vincent: Ja, wenn wir heute vor 150.000 Menschen einen speziellen Song performen, habe ich immer wieder Momente, in denen ich mich daran erinnere, wie wir genau diesen Song in meinem Kinderzimmer oder nebeneinander auf der Schulbank geschrieben haben. Oder wie Dag die Idee zu "Eigentlich wollte er nie ein Liebeslied schreiben" in meinem Kinderzimmer hatte.
Ist das so?
Dag: Ja, wir waren noch auf der Schule und ich war unglaublich hart verliebt.
Vincent: Was übrigens interessant ist: Unsere Arbeitsweise hat sich eigentlich nie geändert. Wir haben früher zusammen in meinem Kinderzimmer gesessen und so lange miteinander gequatscht, bis irgendwie die Grundlage für unsere Lieder entstand. Jetzt ist das Kinderzimmer ein Tonstudio. Aber auch hier sitzen wir nebeneinander, quatschen über Gott und die Welt und kommen dadurch auf die meisten Songideen.
Mit "Deine Freundin" und "Wo war ich in der Nacht von Freitag auf Montag" werden mittlerweile auch zwei eurer Songs in Cover-Versionen am Ballermann gespielt. Wie findet ihr diese Entwicklung?
Vincent: Das würde implizieren, dass man die Ballermann-Szene abwertet und das finde ich absolut nicht. Klar, es ist eine sehr hau-drauf-mäßige Art, Party zu machen, aber die Leute haben da einfach ehrlich Spaß. Es ist nicht meine Art zu feiern, aber generell ist dagegen überhaupt nichts zu sagen.
Dag: Außerdem ist es immer ein Stück weit ein Kompliment, wenn dich jemand kopiert. Es ist auch nicht meine Musik, aber wenn die Leute in der Wackel-Version drauf abgehen, finde ich das auch geil. Es ist immer cool zu sehen, wie die unterschiedlichen Songs ihren Weg machen. Ob jetzt "Deine Freundin" am Ballermann, "Ich will nur dass du weißt" im Radio, uns andere Leute auf "Ne Leiche" ansprechen, weil wir den Song zusammen mit Sido gemacht haben oder ob wir als Festival-Band stark sind - bei uns macht’s einfach diese Mischung.
Zuletzt habt ihr bei "Viva la Dealer" mit Capital Bra zusammen gearbeitet. Wie kam die Koop zustande, wartet man vor dem Gucci-Store auf ihn?
Vincent: Bei Capi war es so, dass ich für viele andere Leute Musik produziere und ihn in diesem Rahmen kennen gelernt habe. Über die Jahre ist dann eine richtig intensive Beziehung entstanden.
Es ist super zu sehen, dass so viele Künstler musikalisch total offen sind und sagen, ich feiere SDP, die sind witzig oder sie finden unsere emotionaleren Songs sehr bewegend. Und so war es auch bei Capi: Wir saßen zusammen, er wollte ein bisschen was von den neuen Songs hören und bei dem sagte er, hey, da könnte ich doch eine Rolle in der Story übernehmen.
Ihr seid eine der am meist gestreamten deutschen Bands. Wie hat das Streaming eure Arbeit im Verhältnis zu früher verändert?
Vincent: Ich bin super dankbar, dass es Streaming gibt. Wer kauft sich heute noch ne CD? Wofür es wirklich praktisch ist: für die ganzen alten Songs. Es würde sich wohl kaum jemand noch den Song "Ne Leiche" als Maxi-CD kaufen. Der Song wäre tot. Durch Streaming ist er nach wie vor aktuell. Und: Es gibt kaum noch illegale Raubkopien, ist doch geil!
Dag: Früher hast du einen Song auf Maxi-CD verkauft.
Vincent: Jetzt ist es definitiv geiler als vor zehn Jahren. Das war eine richtig komische Zeit. Vor zehn Jahren gab es kein Streaming, CDs waren teuer, alle hatten Raubkopien, es gab kein Facebook, Youtube ging gerade erst los. Für uns als Selfmade-Künstler war es teils schwierig, an die Fans ranzukommen.
Dag: Wir haben trotzdem unser Ding irgendwie durchgezogen. In der ganz frühen Youtube-Zeit haben die Fans unsere Songs mit ganz schlechten Grafiken versehen noch selbst hochgeladen. Da hatten wir auch nichts dagegen.
Inwieweit hat Youtube dann zu eurer Karriere beigetragen?
Vincent: Wir sind offiziell die erste deutsche Band mit einem Youtube-Kanal. Drei Monate, nachdem Youtube gelauncht wurde, haben wir unseren Kanal erstellt. Unsere Songs haben sich darüber dann rasant verbreitet.
Dag: Es gab damals tatsächlich noch nicht das Bewusstsein dafür, was man als Künstler mit dieser Plattform erreichen kann. Vollzeit-Youtuber gab es noch nicht. Das kam erst nach und nach.
Es könnte gerade nicht besser laufen – macht ihr euch trotzdem Gedanken um die Altersvorsorge?
Dag: Man sieht es mir an, die Jahre nagen an mir (lacht)! Doch, ich mache mir Gedanken. Auch, wenn es gut läuft, weißt du nicht, wie sich die Wirtschaft verändert.
Und welcher Job ist heute schon sicher, dass du ihn nicht verlieren kannst?
Vincent: Zur Not spiele ich auch im Tausch für einen Linseneintopf oder einen warmen Schlafplatz einen Song.
Dag: Und diese Erfahrungen kann man dann auch wieder in Songs verwursten. Ein Teufelskreis!