
Tahsim Durgun ist auf Tiktok dreimal lustiger als er hier guckt. Bei Funk hat er ein eigenes Interview-Format. Bild: Funk / nils reuter
Interview
26.10.2024, 09:5528.10.2024, 11:46
Tahsim Durgun aus Oldenburg erlangte Anfang des Jahres auf Tiktok Berühmtheit, als er den Abschiebeplänen der AfD mit staubtrockenem Humor begegnete und "Die Top 3 Zufluchtsorte, wo ihr euch verstecken könnt, wenn ihr abgeschoben werden sollt" benannte – zum Beispiel bei der Restaurant-Kette Hans im Glück ("Am besten bestellt ihr was mit Schweinefleisch").
Für seinen unaufgeregten Witz feiern ihn die Follower:innen. Seine Videos wurden im Bundestag erwähnt, im Oktober erhielt er den Publikumspreis der Grimme Online Awards.
Nun wurde der Sohn kurdischer Einwanderer für das Video "Danke, hier das Rezept" auch noch mit dem TV & Streaming Award "Blauer Panther" 2024 ausgezeichnet. Er setzte sich in der Kategorie "Socia Media Content" gegen "Barbaras Rhabarberbar" und "Wieso gibt es keinen Elternführerschein?" durch.
"Ich mag kein Chaos und keinen Krach. Besonders nicht am Sonntag, Sonntag ist Ruhetag."
Im Gespräch mit watson sprachen wir mit Tahsim über seine Liebe zum Ruhebereich im ICE und das "ekelerregende" Wort Pfütze.
watson: Du hast den "Blauer Panther" Award 2024 erhalten. Wie war die Verleihung?
Tahsim Durgun: Ich konnte leider Gottes am Abend nicht dabei sein, weil ich schon vor einem Jahr genau für diesen Zeitraum eine Japanreise gebucht habe. Das verursachte ein bisschen Fomo bei mir. Denn ich hab' mich wirklich gefreut, für den "Blauen Panther" nominiert worden zu sein – ein großes Dankeschön dafür nochmal an die Jury.
Solche Preise bedeuten auch, dass man weit aus der eigenen Bubble herauskommt. Hagelt es jetzt Hater?
Ich wurde bislang verschont, ehrlich gesagt. Mein Content ist ja eher freundlich und witzig. Wenn ich mal Kritik übe, dann meistens gegen rechts – entsprechend kommt Hate auch immer aus jener Bubble. Damit kann ich umgehen.
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Die AfD dient dir oft als Vorlage. Sie machen das Witzeln auch leicht, oder?
Die Inhalte, die die AfD kommunizieren, sind so reißerisch, populistisch und banal formuliert, dass es oft schon dämlich ist – gleichzeitig macht sie das aber auch so zugänglich. Daneben wirken die Internet-Präsenzen anderer Parteien sperrig und das rächt sich bei den Wahlen. Ich mache mich zwar lustig, aber was die AfD da betreibt, wie stark sie verkürzt und hetzt, das ist völlig skrupellos, absolut unmoralisch.
Gibt es was an dir, wo du sagen würdest: Da bin ich deutscher als die AfD?
Ich hoffe doch nicht, dass die AfD zum Maßstab für deutsche Identität geworden ist! Aber wenn man sich an Stereotypen bedienen will, bin ich ziemlich deutsch, wenn es um Ordnung, Struktur und Ruhe geht. Ich bin ein sehr formliebender Mensch, ich mag kein Chaos und keinen Krach. Besonders nicht am Sonntag, Sonntag ist Ruhetag. Letztens saß ich im ICE im Ruheabteil und da hat einer so laut geredet, dass der Deutsche in mir schon den Zeigefinger erheben wollte: "Das ist hier der Ruhebereich, Freundchen." Hab' ich mir aber verkniffen.
"Mir war anfangs nicht bewusst, dass hinter den Grenzen unserer Wohnsiedlung noch Menschen steckten, die nicht so waren wie wir."
Du bist komplett unter Migranten aufgewachsen, die ersten Jahre. Verpasst man da Typisches einer biodeutschen Kindheit?
Etliches. Zum Beispiel, dass "Tatort" eine unumstößliche Säule der deutschen Fernsehkultur ist. Das habe ich komplett verpasst. Habe noch nie einen "Tatort" gesehen, muss ich zu meiner Schande gestehen. Bei uns im Norden sind auch Kohlfahrten im Herbst voll das Ding – wusste ich bis vor Kurzem nicht. Ich lerne immer noch dazu, obwohl ich mein Leben lang hier war.
Fällt einem aber auch erst in dem Moment auf, oder? Wenn alle "Viel Glück und viel Segen" schmettern und man den Text nicht kennt ...
Genau. Aber ich habe das nie als Lücke in meinem Leben empfunden. Ich bin ja mit viel Kultur aufgewachsen, der Kultur meiner Eltern nämlich. Da gab es genug Kinderlieder, Gerichte und Traditionen, sodass es mir nie gefehlt hat. Zudem hatten nun mal alle Familien um mich herum Migrationshintergrund. Mir war anfangs nicht bewusst, dass hinter den Grenzen unserer Wohnsiedlung noch Menschen steckten, die nicht so waren wie wir.
Wann hast du diese Welt hinter eurer Wohnsiedlung kennengelernt?
In der Grundschule. Neben mir saß nur ein einziger Schüler mit Migrationshintergrund in der ersten Klasse. Wenn alle nach den Sommerferien im Morgenkreis von ihrem Urlaub erzählten, hatten wir nicht viel zu berichten. Es bahnte sich an, dass ich zwischen zwei Welten balancieren musste.
Wo zeigte sich das noch?
Zum Beispiel musste ich oft für meine Mutter übersetzen oder habe mich selbst um Organisationskram gekümmert. Das klingt immer wie so ein trauriges Sozialmärchen, aber aus heutiger Perspektive sehe ich das gar nicht so negativ. Ich war eben früh selbstständig.
Du bist danach auf die Gesamtschule gegangen. Dabei hattest du eine Hauptschulempfehlung. Wie kam das?
Alle Kinder mit Migrationshintergrund haben nur eine Hauptschulempfehlung bekommen. Es war meine Mutter, die beschloss, dass ihr Tahsim trotzdem auf die Gesamtschule soll, aber nicht, weil sie die Grundstrukturen des deutschen Bildungswesens begriff oder die Hauptschule als Ort der Misere verstanden hat. Es war in erster Linie Ahnungslosigkeit. Irgendwer hatte ihr gesagt, Gesamtschule sei passender und dieser Empfehlung ist sie gefolgt. Im Nachhinein war das eine gute Entscheidung und hat alles geändert. Für mich auf jeden Fall.
Grundschule kategorisiert Kinder schon sehr früh. Wird da viel Potenzial verschenkt?
Absolut. Es macht mich auch wütend, weil es genug Kinder gibt, die solche frühen Urteile verinnerlichen. Das deutsche Bildungssystem führt dazu, dass Kinder demotiviert werden und echte Chancen für das Land verpassen. Da muss unbedingt etwas passieren. Gleichzeitig nervt es mich, dass das Abitur überhaupt als Nonplusultra gilt, als Schlüssel zu einer erfolgreichen Laufbahn. Die Wertschätzung für Lehrberufe muss wieder steigen.
"Auf den letzten Metern wurde ich dann doch noch Streber."
Du studierst Geschichte und Deutsch auf Lehramt. Ist das nicht ein krasser Kontrast – Geisteswissenschaft und die Welt von Tiktok?
Für mich ist das perfekt. Es ist eine Weile her, dass ich in einer Vorlesung oder einem Seminar saß, aber ich ziehe mich hin und wieder in die Uni-Bibliothek zurück, um an Projekten zu arbeiten und liebe die Atmosphäre da, diese Stille. Mittlerweile werde ich da auch mal angestarrt, weil Leute mich von Videos erkennen, ich empfinde das aber als wohlwollend. Die Uni ist für mich ein wunderbarer Rückzugsort, ich fühle mich da sehr zu Hause. Das war übrigens von Anfang an so.
Warst du auch in der Schule ein stiller Typ?
Ich war in der Grundschule ziemlich zurückhaltend und in meiner eigenen Welt. Dann, mit dem Übertritt in die Gesamtschule, habe ich an Selbstbewusstsein gewonnen und war in der Mittelstufe so'n richtiger Sabbler, mit Tendenz zum Klassenclown. Ab der 9. Klasse habe ich dann kapiert, dass die Schule meine Zukunft formt. Auf den letzten Metern wurde ich dann doch noch Streber.
Du arbeitest viel mit Sprache. Gibt es Sprachliches, dass dich richtig aufregt?
Was mich ein bisschen auf die Palme bringt, besonders weil ich es selbst ständig mache, ist das Wort "tatsächlich" einzustreuen. Da muss ich schleunigst mit aufhören.
Tatsächlich?
Ein überflüssiges Wort. Wir benutzen es nur, damit etwas Banales ein wenig hochgestochener klingt, aber es hat keinen Mehrwert. Und dann gibt es noch gewisse Wörter, die schon in ihrer Melodik unglaublich ekelerregend sind.
So wie?
"Kneifzange" oder auch "Pfütze". Boah! Richtig ekelhaft! Da kriege ich direkt Gänsehaut.