Jannis Niewöhner gilt als einer der erfolgreichsten Schauspieler Deutschlands. Seitdem er zehn Jahre alt ist, steht er vor der Kamera und legte damals beim "Tatort" den Grundstein für eine aussichtsreiche Karriere im Filmgeschäft. Mit seiner Darbietung in "4 Könige" schaffte er 2015 seinen Durchbruch abseits von kommerziellen Teeniefilmen. Nun ist der 29-Jährige neben George MacKay oder Jeremy Irons im Netflix-Thriller "München – Im Angesicht des Krieges" zu sehen.
Im Interview mit watson spricht Jannis über diverse Rollenbilder, die herausfordernde Aufgabe, eine Figur aus dem Jahr 1938 zu spielen und sagt, warum in der Corona-Krise einiges schiefgelaufen ist.
watson: Du bist ab dem 21. Januar auf Netflix in dem Historienthriller "München – Im Angesicht des Krieges" zu sehen. Dabei verkörperst du den Diplomaten Paul von Hartmann. Hattest du Schwierigkeiten, einen Zugang zu dieser komplizierten Rolle zu bekommen?
Jannis Niewöhner: Nein, ich hatte nicht besonders große Schwierigkeiten, weil ich sehr gut nachvollziehen konnte, was er macht. Ich fand natürlich auch vieles nicht richtig, aber darum geht es Gott sei Dank bei der Schauspielerei nicht. Sondern darum, dass man versucht, zu verstehen, warum jemand diese und jene Dinge macht. Das hat mir bei Paul von Anfang an großen Spaß gemacht. Den Zugang grundsätzlich zu diesem historischen Ereignis zu finden und dafür ein Interesse zu entwickeln, sodass mir das im Kopf bleibt, hatte ich auch nur durch diese Rolle.
Inwiefern warst du mit dem geschichtlichen Hintergrund des Münchner Abkommens aus dem Jahr 1938 vertraut?
Ich musste mir das alles neu aneignen. Über dieses spezifische Ereignis wusste ich nicht viel. Umso spannender war es dann, dass sich dadurch auch noch mal ganz viele andere Dinge erklärt haben.
Paul von Hartmann zeigt sich als Befürworter der nationalsozialistischen Ideologie, hat später aber eine Verbindung zum deutschen Widerstand. Zudem hat er Dokumente, die zeigen, dass Deutschland einen umfassenden Angriffskrieg plant, die er den Engländern geben will. Warum war für dich sofort klar, dass du die Rolle annimmst?
Genau diese Form der Wandlung, die er innerlich durchmacht, fand ich total spannend. Er kämpft danach für die richtige Sache und ist aber gleichzeitig immer noch so sehr im Kampf mit sich selbst. Paul hat dieses Verantwortungsgefühl für das, was passiert ist und trägt viele Widersprüche in sich, die zu ihm gehören. Dazu zählen sein inneres Chaos und sein sehr, sehr starker Charakter. Letztendlich hat er irgendwann aber auch gelernt, wofür es sich zu kämpfen lohnt und wofür man kämpfen muss.
Was war für dich dabei die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung an diesem Charakter oder bei dem Projekt war auf jeden Fall auch die Sprache. Es war nicht leicht, in das Englische reinzukommen, jemanden zu spielen, der anderthalb Jahre mindestens in Oxford studiert und zumindest einen leichten Akzent übernommen hat. Natürlich zählt auch dieses innere Chaos dazu, von dem ich gesprochen habe.
Inwiefern?
Ich musste einen Zugang finden, um das ansatzweise zu begreifen und auch historisch verstehen zu können: Wo kommt er her? Aus welcher Zeit kommt er? Wahrscheinlich ist er 1910 geboren. Wie hat sich die Kindheit damals angefühlt? Was ist vielleicht den Eltern nach dem Ende des ersten Weltkrieges passiert? Dafür gab es ganz viel tolles Recherchematerial, was ich mir angucken konnte und was mir sehr dabei geholfen hat, da reinzufinden.
Gibt es einen Moment bei den Dreharbeiten, den du so schnell nicht vergessen wirst?
Ja, zum Beispiel die Szene, in der Hugh Legat, gespielt von George MacKay, und meine Rolle Paul diesen riesen Streit in einem Lokal haben. Da geht es genau darum, dass Paul die nationalsozialistische Ideologie vertritt und die anderen sagen: "Wie kann das sein? Wie kannst du nur?" Das war ein großartiger Moment, weil wir eine Szene gespielt haben, die zwar so im Buch steht, aber dann auch wiederum nicht, weil wir unsere eigenen Argumente miteinbringen mussten.
Wie sah das aus?
Christian Schwochow, der Regisseur, wollte, dass es sich wirklich lebendig anfühlt und so aussieht, wie sich beste Freunde miteinander streiten. Dazu zählte, sich ins Wort zu fallen, wodurch wir uns gegenseitig überraschen mussten. Wir durften große Teile der Szene improvisieren und hatten dafür den ganzen Tag Zeit. Wir hatten auf jeden Fall sehr große Angst beziehungsweise Respekt davor, die Szene zu drehen. Das war sehr besonders.
Ulrich Matthes verkörpert in dem Film Adolf Hitler. Bist du der Meinung, dass er vor der größten Herausforderung stand?
Es ist auf jeden Fall eine schwierige Aufgabe, das definitiv. Ich glaube auch, dass echt viel Mut dazu gehört, so jemanden zu spielen, der nicht einfach nur so eine schreckliche Figur war, sondern der auch bei uns allen so klar im Kopf ist im Hinblick darauf, wie er aussieht, wie er gesprochen oder eher gesagt geschrien hat. Wir kennen den nur von diesen Bildern, wo er auf irgendwelchen Podien steht und zu den Leuten redet. Im Film sieht man ihn jetzt in ganz anderen Situationen. Es geht darum, keine Angst davor zu haben, dass man diesem Weltbild nicht entspricht, was die Leute eben von Hitler haben, sondern zu gucken, inwiefern diese Figur durch diese Geschichte neu erzählt wird. Das hat Uli ganz toll gemacht und da bewundere ich ihn sehr für.
Knapp 80 Jahre ist der Krieg mittlerweile her. Welche Botschaft nimmst du für dich aus dem Film mit?
Die Botschaft, die immer stimmt, lautet: für das Richtige zu kämpfen. Man sollte immer die eigenen Werte vertreten, danach handeln und ehrlich gesagt auch nicht aufhören, zu kämpfen. Das ist auch die Geschichte von Paul. Der Film setzt sich mit der Schwierigkeit von politischen Entscheidungen auseinander und dem Umstand, manchmal nicht zu wissen, was kommt oder eben zu glauben, dass man weiß, was kommt.
Zurück zum Thema Film: Ausreichende Diversität und Vielfalt wird in der Filmbranche immer wieder diskutiert. Wie siehst du das?
Ich glaube, dass wir immer noch zu wenig tun. Man sieht, dass Dinge sich verändern, aber wir sind noch lange nicht bei einer Gleichheit angekommen. So einfach ist das. Es gibt kein gleichmäßiges Verhältnis und Diversität muss weiter angestrebt werden. Was ich am Schönsten finden würde, wäre, wenn wir es schaffen, dass es gar nicht mehr so ein Thema ist, dass divers besetzt wird, sondern, dass das einfach zur Normalität wird. Wir sollten aufhören, selbst in solchen Klischeebildern zu denken und dafür müssen Filme richtig besetzt werden.
Welche Erfahrungen hast du selbst gemacht?
Bei den Filmen, wo ich dabei war, fällt mir auf, dass Christian Schwochow jemand ist, der versucht, divers zu besetzen. Bei "München" war es natürlich schwieriger, aber auch da tut er es bei Rollen, wo es ihm möglich ist. Bei "Je suis Karl" sieht es genauso aus. Man sieht daran, dass es auf jeden Fall klappen kann. Es braucht Produktionen und Regisseure wie Christian, die mit gutem Beispiel vorangehen und denen man folgen will, weil man sieht, dass es funktioniert. Zudem entspricht das, was abgebildet wird, vielmehr unserer Realität.
Deine Karriere hast du mit zehn Jahren beim "Tatort" gestartet. Mittlerweile bist du in diversen Kinoproduktionen wie "4 Könige", "Smaragdgrün" oder "Je suis Karl" zu sehen gewesen. Möchtest du nun nach deinem neuesten Projekt deinen Fokus auf internationale Filme legen?
Nein, den Fokus würde ich so nicht verschieben. Dieser liegt immer auf dem jeweiligen Projekt, für das ich mich entscheide. Das kann ein kleiner deutscher Arthouse-Film wie "Kids Run" sein, der zum Beispiel von keinem großen Publikum gesehen wurde und mir viel bedeutet. Das kann aber auch ein großer Hollywood- oder Bollywood-Film sein, wenn es die richtige Geschichte gibt. Was auch immer kommt: Der Fokus sollte immer auf dem liegen, was man gerade macht. Natürlich freue ich mich über alle neuen Sachen, die passieren.
Ihr habt im Herbst 2020 gedreht. Wie sehr hat euch die Corona-Pandemie beeinträchtigt?
Das war natürlich ein großes Thema, aber ich habe mich dabei immer als sehr privilegiert und glücklich empfunden. Beim Film waren wir mit die ersten, die relativ schnell nach dem ersten Lockdown wieder mit sehr vielen Leuten an einem Ort zusammen sein und arbeiten konnten. Wir hatten die Möglichkeit, Tests zu machen. Dass man das Ganze lieber ohne diesen Aufwand gemacht hätte, ist klar, aber den Umständen entsprechend war es toll, dass wir das überhaupt machen durften. Wenn das Projekt wieder verschoben worden wäre, hätte es terminliche Schwierigkeiten gegeben, gewisse Leute hätten dann nicht mehr dabei sein können. Ich bin froh, dass es überhaupt dazu gekommen ist, dass wir gedreht haben.
Wie hart hat es dich als Künstler getroffen, gegebenenfalls andere Projekte nicht wahrnehmen zu können?
Ich hatte wirklich Glück, dass ich, nachdem ein Film unterbrochen werden musste, weitermachen durfte. Dann konnte ich auch noch "München" drehen. Ich hatte mit diesen zwei Produktionen großes Glück. Insofern bin ich echt glücklich, weiß aber auch, dass das für ganz viele natürlich eine schwierige Zeit war. Es gibt ganz viele Schauspieler, die darunter gelitten haben. Da ist vieles nicht richtig gelaufen. Die Art und Weise, wie damit umgegangen wurde, dass Kinos geschlossen wurden und andere Orte aber zugänglich waren, das war nicht richtig, weil klar ist, dass man sich im Kino und im Theater viel weniger ansteckt als an anderen Orten. Das war, was ich so mitbekommen habe.
Dein Privatleben hältst du weitestgehend aus der Öffentlichkeit raus. Auf Instagram postest du überwiegend projektbezogene Beiträge. Wie wichtig ist dir das?
Ich sehe im Moment einfach keinen Mehrwert darin. Wenn ich jetzt totale Freude am Fotografieren bekommen sollte, würde ich Momente teilen wollen, bei denen ich dabei war und Fotos, die ich selbst gemacht habe, wahrscheinlich auch online stellen. Ich finde, dass man einfach grundsätzlich bei diesen Plattformen gucken muss, dass man sich da nicht zu viel aufhält. Insofern würde ich sagen, ich habe im Hinblick auf den Gebrauch von Social Media keine Regel und finde es ok, wenn Leute das machen, kann aber auch gut verstehen, wenn Menschen die Finger von lassen.
Du hast mit 29 Jahren bereits ein umfassendes Repertoire an Kino- und TV-Produktionen auf dem Zettel. Auf deinem Instagram-Kanal folgen dir auch über 238.000 Menschen. Damit hast du auch eine große Reichweite.
Das stimmt und natürlich will ich diese Reichweite nutzen. Aber auch nur dann, wenn ich wirklich weiß, wovon ich rede beziehungsweise was ich mache. Den stärksten Einfluss, den ich habe und wodurch ich am meisten hinter einer Aussage stehen kann, ist, wenn ich Teil von einem Film bin, der eine Botschaft vermittelt. Also wenn ich mit dem, was ich mache, ein Teil einer Aussage sein kann. Ich begreife mich nicht als Politiker und bin nicht in erster Linie da, um als Jannis Niewöhner zu den Leuten zu sprechen, sondern das passiert durch meine Figuren, um dann jeweils abhängig von der Geschichte etwas bei den Menschen auszulösen. Dafür bin ich angetreten und darin fühle ich mich auch am sichersten. Ich bin ja kein Influencer.
Was sind deine nächsten Projekte, welche Pläne hast du für die Zukunft?
Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich einen Film von Kilian Riedhof zusammen mit Paula Beer und vielen anderen tollen Schauspielern gemacht habe, der "Last Song for Stella" heißt. Der wird wahrscheinlich dieses Jahr rauskommen.