2021 ist für RTL ein Jahr des Umbruchs. Vor wenigen Monaten kündigte der Sender an, sich von seinem Urgestein Dieter Bohlen zu verabschieden, der sowohl bei "DSDS" als auch bei "Das Supertalent" ausscheidet. Beide Formate sollen einem radikalen Wandel unterzogen, das Programm familienfreundlicher gestaltet werden. Die neueste Meldung zu "Das Supertalent" zeigt, wie ernst es den Verantwortlichen ist: Auch die Moderatoren Daniel Hartwich und Victoria Swarovski nehmen ihren Hut.
Verfolgt RTL einen klaren Plan oder spricht daraus die pure Verzweiflung? Zumindest aus Zuschauer-Sicht gibt die Entscheidung erst einmal große Rätsel auf. Wie viel Veränderung ist vielleicht doch zu viel?
"Das Supertalent" läuft in Deutschland seit 2007, kann also bedenkenlos als Dauerbrenner der Samstagabendunterhaltung bezeichnet werden – obwohl die Quoten zuletzt stark schwächelten. Ende 2020 lockte die Castingshow nur noch 2,32 Millionen Zuschauer vor die TV-Geräte.
Dass RTL über Veränderungen nachdenkt, ist insoweit absolut nachvollziehbar. Genau wie "DSDS" aber ist die Sendung sehr stark mit Bohlen verbunden und es erscheint fraglich, ob sie ohne ihn erfolgreicher (oder auch nur genauso erfolgreich) sein kann als mit ihm. Der jetzige Schritt setzt sogar noch mal eins drauf: Mit Daniel Hartwich trennt sich die Produktion von einem der aktuell wohl beliebtesten Moderatoren im Fernsehen, der sich oft genug als Allzweckwaffe bewiesen hat.
Spätestens heute deutet alles darauf hin, dass "Das Supertalent" in der nächsten Staffel nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. Die Fans schauen Castingshows aber nicht lediglich wegen extravaganter Kandidaten, sondern vor allem auch wegen dem Drumherum – und bekommen faktisch demnächst eine ganz neue Sendung vorgesetzt. Das Stammpublikum zu halten, könnte dementsprechend schwierig genug werden, dabei sollen zusätzlich zu den alten ja eigentlich neue Zuschauer gewonnen werden.
RTL-Legende Günther Jauch meinte neulich in einem Interview: "Natürlich sollte man für Neuerungen immer offen sein. Gleichzeitig gibt es Sendungen, die es übelnehmen, wenn man ihren Markenkern beschädigt." Dabei nahm er zwar Bezug auf seine eigene Show "Wer wird Millionär?", jedoch dürfte sich dieser Grundsatz problemlos auf "Das Supertalent" übertragen lassen. Hier wird der besagte Markenkern schon durch Bohlens Abgang stark beschädigt, nun nimmt auch noch Hartwich Abschied.
Wenig überraschend häufen sich negative Reaktionen in sozialen Netzwerken, während RTL bereits die kommenden "Supertalent"-Castings bewirbt. "Ihr habt schon hart verkackt mit der 'Veränderung'", lautet einer von vielen vernichtenden Kommentaren bei Instagram. Ein anderer Fan prophezeit: "Mit komplett neuer Jury und Moderation könnte es wirklich eure letzte Staffel sein wegen zu wenig Quoten… schlecht gespielt."
Es ist nun einmal so: Der Zuschauer ist ein Gewohnheitstier. Nicht umsonst gibt es hierzulande diverse Casting- und Reality-Formate, die sich mit allenfalls kleinen Änderungen seit zehn oder mehr Jahren halten. Wenn RTL "Das Supertalent" komplett umkrempelt, sollte der Sender wenigstens so konsequent sein, der Show einen neuen Titel zu verpassen. Sonst wird die nächste Staffel in den Augen vieler Fans schlicht eine üble Mogelpackung.
Womöglich ist das große Umkrempeln beim "Supertalent" am Ende vielleicht ja aber doch nur eine Verzweiflungstat, ein letztes Aufbäumen. Schließlich spricht gerade für die Trennung von Hartwich eigentlich nichts, wogegen Bohlen schon immer eine kontroverse Figur war. Der 42-Jährige, der auch bei "Let's Dance" und dem Dschungelcamp überzeugt, hat hin und wieder zwar auch einen frechen Spruch auf den Lippen, wahrt in der Regel aber die Grenzen, wirkt souverän und authentisch.
Nach dem Bohlen-Rausschmiss könnte Hartwich sogar derjenige sein, der das Schiff auf Kurs bringt, stattdessen wirft RTL einen seiner besten Moderatoren gleich mit über Bord. Dabei wäre eine Neuausrichtung der Show sicherlich auch mit weniger einschneidenden Maßnahmen auf personeller Ebene möglich.
Daniel Hartwich ist jedenfalls nicht das Problem. Eher schon ist es die oft sehr unangenehme Inszenierung der Kandidaten, deren Schrulligkeit in Einspielern genau wie bei "DSDS" gerne auch mal vorgeführt beziehungsweise in den Dreck gezogen wird. Das sind die Makel, an denen der Sender in erster Linie arbeiten sollte.
So rühmt sich RTL jetzt mit vermeintlich bahnbrechenden Neuerungen, zögert in Wahrheit aber womöglich nur die überfällige Absetzung einer Sendung hinaus, deren Zeit zusammen mit Bohlen schlicht abgelaufen ist. Mit diesem Eingeständnis würde sich der Sender vermutlich vor einigem Schaden bewahren – und auch für die Fans wäre ein klarer Cut an der Stelle sicherlich weniger schmerzvoll.