Man darf eigentlich gar nicht darüber nachdenken, aber wir müssen uns das mal vor Augen halten: Seit 18 Jahren gibt es "Germany's next Topmodel". Am Donnerstag geht ProSiebens Casting-Show in die 19. Staffel. Da wirkt es fast etwas lustig, dass vor zwölf Jahren der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen unkte, Deutschland sei "durchgecastet". Die Casting-Größen Dieter Bohlen und Heidi Klum wolle niemand mehr sehen, sagte er damals der "Süddeutschen Zeitung".
Alles falsch. "DSDS" und "GNTM" erwiesen sich als Evolutionswunder: Sie überstanden Krisen und passten sich widrigen Umständen an. Gerade Heidi Klum modifizierte "GNTM" in den letzten Jahren gezielt. Die Zulassung von älteren Kandidatinnen lockerte das Format auf und öffnete es einem größeren Publikum. Mehr Diversität im Cast ließ die Show modern und zeitgemäß erscheinen. Sie wurde ein wenig salonfähiger.
Mit der neuen Staffel steht nun die nächste Änderung an. Doch diesmal könnte Heidi Klum mit ihrer Idee so richtig daneben liegen.
Heidi Klum lässt zum ersten Mal männliche Models zu, also Male Models. Das klingt erstmal spannend – der nächste logische Schritt bei der Öffnung des Formats für alle Bevölkerungsgruppen.
Dass "GNTM" eines der wenigen deutschen TV-Formate war, in dem wirklich nur Frauen stattfanden und dass man den Schritt hin zu Männern allein deswegen auch kritisch sehen kann – geschenkt. Darum geht es hier nicht. Mir geht es um – einmal tief durchatmen – nichts Geringeres als die fragile Statik der Show "Germany's next Topmodel".
Den Zustrom der Männer hätte "GNTM" auf zwei Weisen regeln können:
Selbstverständlich entschieden sich "GNTM" und Heidi Klum für die deutliche schlechtere Variante: Nummer zwei.
"Es stimmt nicht mehr, dass 'es nur eine geben kann'", sagte Klum über den Such-Prozess in Staffel 19. In dem neuen Ablauf sind zwei Gewinner:innen vorgesehen – ein Mann und eine Frau. Die Show weicht dadurch ihren Nimbus auf, Klum muss ihren Lieblingssatz einmotten. "Nur eine kann Germany's Next Topmodel werden" wiederholte die Moderatorin bislang mehrfach pro Ausgabe. Es gibt nur einen deutschen Meister, nur einen Rudi Völler, nur einen Vogel des Jahres, aber ab Mai zwei Germany's next Topmodels.
Die Begründung dafür ist, milde ausgedrückt, nicht besonders tragfähig. "Die Kandidatinnen und die Kandidaten werden unterschiedliche Prüfungen bekommen, weil es immer noch Unterschiede gibt", verrät Klum. Welche Unterschiede sind das? "Beispielsweise laufen in Paris, Mailand, London und New York die Männer nicht auf hohen Schuhen, auch wenn es inzwischen ab und zu vorkommt. Weibliche Models können mit Perücken und Make-up verwandelt werden."
Das mag alles sein, aber streng genommen hat auf dem Marktplatz der Mode niemand die gleichen Chancen. Diese gnadenlosen Regeln des Kapitalismus bildete "GNTM" sonst genüsslich ab. Wenn eine Kandidatin für einen Kunden zu klein war, bekam sie den Job halt nicht. Fies, aber so läuft das Geschäft. Dass Heidi Klum nun genau diese Branchengesetze vorschiebt, um die Männer zu schützen, wirkt seltsam halbgar.
Aber die wichtigste Frage ist eigentlich: Wie genau soll das Show-Konstrukt "GNTM" überhaupt von dieser Änderung profitieren, was ja bestimmt das Ziel ist, oder?
Bisher band die Show ihre Neuerungen stets organisch in den Wettbewerb ein. Die älteren Models mussten sich auf demselben Spielfeld beweisen wie ihre jüngeren Kontrahentinnen. Und das, obwohl es für sie eine geringere Nachfrage gibt. Die Männer kriegen jetzt eine Sonderrolle, wobei es doch viel spannender wäre, zu beobachten, wie sie sich im direkten Wettbewerb mit den Frauen schlagen. Genau so läuft es übrigens in der US-Variante "ANTM".
Natürlich hätte die Geschlechterdurchmischung die Show vor Probleme gestellt, aber das ist bei Änderungen eben so. Die Männer hätten für Reibung und eine willkommene Portion Chaos gesorgt. Sie hätten "GNTM" mit seinen festgefahrenen Strukturen wirklich herausgefordert.
Stattdessen stehen wir nun vor einer aufgeblähten Staffel. 20 Männer und 20 Frauen gehen in der Endrunde an den Start. Letztes Jahr waren es insgesamt nur 30 Kandidatinnen.
Schlimmstenfalls laufen die Stränge der Frauen und der Männer einfach aneinander vorbei, ergänzen und bereichern sich nicht. Eine "Revolution", wie "DWDL" das alles nennt, sieht anders aus. ProSiebens Reality-Chefin Elisabeth Sofeso verspricht "Konstellationen und Geschichten, die es in 18 Staffeln vorher nicht geben konnte". Ob sich die wirklich ergeben, muss sich noch zeigen.
Nicht nur deshalb dominiert vor dem Start der Staffel ein entmutigender Eindruck. Eine durchaus gewagte Neuerung wird durch eine fade abgelöst: Denn in der ersten Männerstaffel sind "zufällig" keine "Best-Agerinnen" mehr dabei, also Models jenseits der 40. Heidi Klum gab an, keine gefunden zu haben. Nun ja, den Verdacht, dass Diversität für "GNTM" nur ein Mittel zum Zweck ist, wird die Show so zumindest nicht los.