"Sex and the City" und die Geschichte von Carrie Bradshaw, Miranda Hobbes und Charlotte York Goldenblatt ist noch immer nicht auserzählt. Am 22. Juni startet auf Sky und Wow die neue Staffel von "And Just Like That...", nachdem ein erstes Reboot im Dezember 2021 an den Start ging.
Wie groß war der Aufschrei, der das erste Sequel überschattete: Big alias John Preston, Carries große Liebe, stirbt in Folge eins, Miranda verlässt ihren Ehemann und Vater ihres Kindes für die non-binäre Che Diaz, Samantha Jones, die zuvor über 96 Episoden "Sex and the City" und zwei Kinofilme nicht aus dem Cast wegzudenken war, ist nicht mehr dabei.
Die Vorwürfe der treuen Zuschauer: Die Einstellungen und Überzeugungen des Frauengespanns haben sich so sehr verändert, dass die Handlungen nur schwer nachvollziehbar sind. Sex spielte so gut wie keine Rolle mehr. Und Diversity wurde durch Drehbuchautor und Regisseur Michael Patrick King derart penetrant in die Serie gequetscht, dass es ab und zu sehr unangenehm wurde. Beispielsweise als sich Charlotte, die ihr ganzes Leben in der Weltmetropole New York verbracht hat und selbst ein trans* Kind zu Hause hat, übertrieben über das Pronomen "xier" wundert.
Nun aber soll alles anders und besser werden: "And Just Like That..."-Staffel zwei bringt einige Überraschungen mit – Samantha feiert einen Cameo-Auftritt und Fan-Liebling Aiden Shaw ist bereits im Staffel-Teaser zu sehen. Ich konnte die ersten beiden neuen Folgen in einem Kino in Berlin im Rahmen einer Premiere schauen – und danach war klar: Die "Sex and the City"-Fortsetzung ist viel gelungener, aber mindestens ein Dilemma bekommt man einfach nicht aus dem Kopf.
Ein Kino neben der Mercedes-Benz-Arena in Berlin, in der am Premierenabend Slipknot spielte, zu Gast waren beim Event unter anderem Anastasia Zampounidis und Patrice Bouédibéla, die Millennials noch als Moderator:innen bei MTV kennen – meine Begleitung und ich waren uns sicher: Wir sind ins Jahr 2004 zurückgereist.
Wären da nicht die zahlreichen "GNTM"-Kandidatinnen aus aktuellen Staffeln gewesen, die in auffälligen Cocktailkleidern ebenfalls zugegen waren. Die diesjährige Viertplatzierte, Selma May, übernahm die Moderation im Kinosaal – wenig überraschend ein bisschen holprig. Die Deutschland-Premiere der US-Serie fand wegen der Zeitverschiebung sogar früher statt als in New York. Akribisch wurde deswegen auch kontrolliert, dass ja kein Gast ein Foto oder gar Video von der Leinwand machte.
Achtung: Es folgen kleinere Spoiler zu den ersten beiden Episoden von "And Just Like That...", Staffel zwei.
Und was die Zuschauer:innen dort zu Beginn der ersten Folge der zweiten Staffel zu sehen bekamen, entschädigte die Sex-arme erste. Dass Hetero- und lesbische Paare jenseits der 50 nackt und leidenschaftlich gezeigt werden, stellt schon eine kleine Revolution im Filmbusiness dar. Endlich ist also der Sex zurück in der City.
Angenehm fällt ebenfalls auf, als die ersten Dialoge über die Leinwand flimmern: Der schlagfertige Witz von Carrie und Co. ist zurück, der verstorbene Big ist kein Thema mehr und die diversen Charaktere sind einfach etabliert. Kein dauerndes Hinterfragen von Hautfarbe, Sexualität oder Geschlechtsidentität mehr, was in der ersten Staffel des Reboots so genervt hat. Man könnte sagen: Die Handlung von "And Just Like That" ist endlich dort angekommen, wo sie hingehört – in der Gegenwart.
Auch wenn man in Folge eins und zwei noch vergeblich auf die Rückkehr von Samantha und Aiden wartet, bekommt man einige unerwartete Highlights serviert – manche davon glaubte man schon in den Tiefen von Carries Kleiderschrank verschwunden.
Doch nicht alle Kritikpunkte wurden ausgemerzt. So fragen sich meine Begleitung und ich dann doch, wieso es Carrie, Miranda und Charlotte so unfassbar egal ist, ob sie einen Job haben oder nicht. Und muss die neue beste Freundin von Carrie, die Immobilienmaklerin Seema, wirklich krampfhaft als Samantha-Ersatz aufgebaut werden? Streicht Miss Jones aus der Sendung, unseretwegen, aber versucht die Lücke nicht mit ein paar semi-smarten Sprüchen und Diva-Gehabe auszufüllen.
Klar, es gehört zum Running-Gag seit "Sex and the City", aber die Probleme, die Charlotte und ihre neue BFF Lisa Todd Wexley beschäftigen, haben nichts mehr mit einem halbwegs normalen Leben zu tun. Lisa lehnt es vehement ab, von ihrem Mann Geld für ein Arbeitsprojekt anzunehmen, Charlotte, die schon lange keine Galeristin, sondern Hausfrau und Mutter ist, echauffiert sich über Sonderwünsche ihres Mannes. Da trifft es doch die Reaktion vom (gar nicht so) heimlichen Star und schwulen Freund von Charlotte, Anthony Marentino, ganz gut:
Und auch Miranda bleibt ein Rätsel. Während sie früher den Sinn ihrer Beziehung hinterfragt hat, weil sie von Manhattan nach Brooklyn ziehen musste, begleitet sie nun ihre Partner:in spontan nach Los Angeles. Dafür gibt sie freimütig ihre Anwaltskarriere und ein weiterführendes Jurastudium auf und macht in L.A. genau – gar nichts. Kein Wunder, dass sie bei so viel Zeit ständig ihre auf wackligen Beinen stehende Beziehung und ihre jüngsten Lebensentscheidungen hinterfragt.
Auch Mirandas Alkoholproblem, das in der ersten Staffel entsteht, scheint mir nichts, dir nichts überwunden. Der gesamte Handlungsstrang in Los Angeles ist wie die Sekunde vor einem Autounfall:
Um ein weiteres Detail, das aber nicht allzu sehr ins Gewicht fällt, zu verraten: Carrie scheut sich nach wie vor davor, wirklich über Sex zu reden. Nachdem sie in der ersten "And Just Like That..."-Staffel in ihrem Podcast auf das Thema weibliche Masturbation angesprochen wird, ist sie peinlich berührt und weicht aus.
In der zweiten Folge soll sie nun in ihrem Podcast Vaginal-Zäpfchen bewerben. Und auch dieses Mal weigert sich die Sex-Autorin, die in der Serie seit über zwei Jahrzehnten über Liebe und Beziehung schreibt, überhaupt das Wort "Vagina" öffentlich in den Mund zu nehmen. Dabei geht es um ein noch wichtigeres Themenfeld, als "nur" die üblichen Sex-Fragen – nämlich Frauengesundheit. Die sollte jemandem wie ihr doch wichtig sein. Da fragt man sich ob der Wortkargheit:
Meine Kinobegleitung und ich verließen den Saal mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist "And Just Like That..." mittlerweile weniger cringe, witzig und kurzweilig. Alternde Frauen werden immer noch heiß, aber realistisch und selbstbewusst gezeigt. Andererseits nerven die Probleme der extrem privilegierten Protagonistinnen ein Stück weit einfach. Und dass Menschen in der Serie auf dumme, unsensible Ideen kommen, mit Schecks wedeln, nicht zuhören oder einfach ein wenig einfältig sind – das scheinen nach wie vor Defizite in erster Linie von Männern zu sein.
Frauen hingegen sind erfolgreich, handeln Haushalt, Kinder, einen zeitintensiven Job und schaffen es obendrein, ihren Männern Klamotten rauszulegen. Sie widersprechen im Falle von Charlotte selten, weil sie davon ausgehen, dass sie es sowieso besser wissen.
Natürlich wünscht man sich als Zuschauerin, dass Frauen in Serien und Filmen mehr im Fokus stehen – aber muss es seit so vielen Jahren in dem Serien-Kosmos so Schwarz-Weiß sein? Nach Folge eins und zwei der Staffel bleibt da die Hoffnung, dass sie sich inhaltlich noch ein wenig steigern kann.
Elf Folgen werden ab dem 22. Juni wöchentlich donnerstags veröffentlicht, die letzte erscheint Ende August.