Die Kritik an Modeketten wie Primark und H&M ist groß. Die Firmen bieten Billig-Klamotten an, die Preise sind tief, die Qualität oft niedrig, die Arbeitsbedingungen, unter denen die Kleidungsstücke entstehen, häufig menschenunwürdig. Dennoch ziehen die Läden eine beständige, meist junge Kundschaft an.
Anfang April erschien in den USA die Dokumentation "Brandy Hellville & the Cult of Fast Fashion". Brandy Melville ist eine italienische Billigmode-Kette, die weltweit agiert, aber in Deutschland längst nicht so bekannt ist wie etwa Primark. Das liegt auch daran, dass die fünf deutschen Filialen im Jahr 2023 urplötzlich schlossen. In München eröffnete dieses Jahr wieder ein Laden.
Die Doku "Brandy Hellville & the Cult of Fast Fashion" analysiert anhand der titelgebenden Firma die bereits bekannten Auswüchse von "Fast Fashion", auch Wegwerf-Mode genannt. Gemeint sind Kleidungsstücke von minderwertiger Qualität, die wenig kosten und von ihren Konsument:innen meist nur wenige Male getragen werden – bevor sie im Müll landen.
Die Auswirkungen auf die Umwelt sind fatal. Das ist aber nur ein Aspekt des Films von Eva Orner.
Bereits 2021 erschien zu der Firma eine Recherche des "Business Insider", dessen Vorwürfe die Doku nun vertieft. Der Film, der bei dem Warner-Streaming-Dienst Max erschienen ist, beschäftigt sich vor allem mit den Angestellten von Brandy Melville und deren Arbeitsbedingungen. Auch die Führungskräfte und der Gründer der Firma kommen schlecht weg. Wir fassen die heftigsten Vorwürfe des Films zusammen.
Brandy Melville richtet sich vor allem an junge, weiße, schlanke und attraktive Mädchen und Frauen – und die Mode soll der Doku zufolge von ... jungen, weißen, schlanken und attraktiven Mädchen und Frauen verkauft werden.
Der Rekrutierungsprozess soll einem System folgen: Im Flagship-Store in New York habe der Brandy Melville-CEO Stephan Marsan Angestellten zufolge eine Art Signal betätigt, sobald er eine Kundin im Laden entdeckte, die in das Schema (jung, weiß, schlank) passte. Die Personen seien oft direkt vor Ort eingestellt worden.
Bei vielen Angestellten soll diese Firmenpolitik zu Essstörungen geführt haben, da sie befürchten mussten, entlassen zu werden, wenn sie dem erwünschten Körpertyp nicht mehr entsprachen. Brandy Melville verkauft seine Kleidung übrigens nach dem Motto "One size fits all", also "Eine Größe passt allen". Natürlich sind mit "allen" nur dünne Menschen gemeint.
Der spezifische "Brandy Melville-Typus" schließt nicht-weiße Personen kategorisch aus. Das bedeutet aber nicht, dass etwa in den USA keine afroamerikanischen Frauen für Brandy Melville arbeiten. Sie sind für die Kundschaft nur kaum sichtbar.
Schwarze Frauen sollen meist im Lager arbeiten oder höchstens hinter den Kassen. Nicht selten seien Angestellte, die nicht in Marsans Vorstellung von Attraktivität passten, direkt gefeuert worden. Während blonde und rothaarige Frauen trotz schlechter Leistung mit Gehaltserhöhungen belohnt worden seien. Ein Leitsatz lautete demnach: "Wenn du weiß bist, musst du gesehen werden". Im Original: "If you’re white, you have to be in sight".
Die seltsamen Praktiken von Stephan Marsan sollen nicht bei der Rekrutierung geendet haben. In New York habe Marsan in seinem Büro gesessen, von wo aus er den ganzen Laden im Blick hatte. Gefiel ihm eine Kundin, sollten die Angestellten sie fotografieren, heißt es. Die Fotos, die sich auf die Brüste und Füße der Frauen konzentrierten hätten, habe Marsan behalten und in einem Ordner gesammelt.
Ein ehemaliger Topmanager der Kette gibt in der Doku Einblicke in einen internen Firmen-Chat, der zu den bisherigen Vorwürfen nur zu gut passen will. In den Chats sollen regelmäßig pornografische Bilder, Hitler-Witze und rassistische Memes geteilt worden sein. Auch von sexuellen Übergriffen durch Führungskräfte ist die Rede.
Das problematische Geschäftsmodell von Brandy Melville wird von all diesen Vorwürfen etwas überschattet. Aber auch hier forschte die Doku genauer nach. Zur Erinnerung: Brandy Melville ist ein italienisches Unternehmen. Aber: "Das ist eine Mogelpackung", sagt Matteo Biffoni, der Bürgermeister der italienischen Region, in der die Produkte der Kette größtenteils gefertigt werden sollen.
Unter dem Label "Made in Italy" unterhalte Brandy Melville "Ausbeutungsbetriebe" mit vor allem chinesischen Gastarbeiter:innen. "Das einzig Italienische ist die Platzierung des Unternehmens und nicht viel mehr", sagt der Bürgermeister von Prato in der Toskana. Es gebe in der Region viele legale Fast-Fashion-Fabriken, "aber manchmal finden wir Leute, die wie Sklaven arbeiten."
Mit dieser Feststellung bezieht sich der Politiker Matteo Biffoni nicht direkt auf Brandy Melville. Aber letztlich geht es in dem Film auch nicht nur um eine Billig-Fashion-Firma, sondern um das Problem mit der Fast-Fashion-Industrie an sich.
In Deutschland ist "Brandy Hellville & the Cult of Fast Fashion" leider noch nicht bei einem Streaming-Dienst verfügbar.