Die Bilder der lachenden Staatschefs beim G7-Gipfel waren wichtig, besonders in Krisenzeiten – so der Konsens unter den Talkshow-Gästen von Sandra Maischberger am Dienstagabend. Doch sie sind sich uneinig, ob die Resultate des Gipfels genauso zielführend waren. Während Journalistin Dagmar Rosenfeld von einer "Neujustierung der Weltpolitik" spricht, malt Politikwissenschaftler Christian Hacke ein düsteres Bild für die Zukunft der Ukraine.
Das waren Sandra Maischbergers Gäste:
Zu Beginn der Sendung analysiert ausgerechnet "Lets Dance"-Juror Joachim Llambi die Inszenierung des G7-Gipfels. "Das sieht alles wunderschön aus. Scheinbar war auch die Stimmung sehr gut", sagt er. Deutschland dürfe das auch, es sei wichtig, sich zu präsentieren. "Auch schöne Fotos sind wichtig in der Politik, besonders in diesen Zeiten", sagt Dagmar Rosenfeld, Chefredakteurin der "Welt am Sonntag". Der Gipfel sei ein voller Erfolg gewesen, das Signal eines geeinten Westens gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auch Journalist Friedrich Küppersbusch stimmt zu: "Die Bilder zeigen, dass alle Buddies sind, High-Fives und so."
Doch die Frage, ob die Bilder und die Resultate des Gipfels zusammenpassen, bietet Gesprächsstoff in der Runde. Auf der Agenda sei vieles gewesen, aber nur weniges, was mit der Ukraine zu tun hat, sagt Außenpolitik-Expertin Daniela Schwarzer. "Was wir gesehen haben, ist, dass für die ganz großen Probleme nur wenige Antworten gefunden wurden", sagt sie mit Blick auf Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und den Klimawandel. Der Westen, Europa und Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, als sie es derzeit tun, lautet ihre kritische Bilanz.
Politikwissenschaftler Christian Hacke setzt positiver an: Deutschland habe das wichtige Signal gesetzt, dass die G7 kein "exklusiver Klub" sei, sondern dass andere Länder bei zukünftigen handelspolitischen Fragen hinzugezogen werden. Rosenfeld lobt besonders das Werben von Olaf Scholz, unter anderem um Indien, Südafrika, Senegal, um das "Ost-West Denken" zu unterbrechen und stattdessen eine Zusammenkunft der Demokratien gegen die Autokratien zu bezwecken. "Ich habe den Anfang einer Neujustierung der Weltpolitik erkannt", sagt sie. Ähnlicher Ansicht ist auch Schwarzer: "Wir sehen eine Kräfteverschiebung vom Westen in Richtung Asien", so ihr Urteil.
Im Laufe der Sendung malt USA-Experte Hacke zunehmend düsterere Prognosen an die Wand, bis er am Ende selbst feststellt: "Ich bin tiefpessimistisch". Zuerst unterstellt er US-Präsident Joe Biden, nicht eine Lösung für den Krieg in der Ukraine zu suchen, sondern stattdessen die amerikanische Interessenssphäre ausweiten und Russland in die Knie zwingen zu wollen.
Wie er zu dieser Annahme kommt, kann er dann aber nicht so richtig erklären. Der Westen sei kein "Bystander" und habe jahrzehntelange seine Hemisphäre ausgeweitet, lautet sein Versuch. Daraus abzuleiten, dass es im Interesse der Amerikaner liegt, den Krieg beenden zu wollen, sieht Schwarzer aber nicht.
Dann analysiert er scharf, dass der Westen nicht ohne Limit Waffen an die Ukraine liefern sollte. Je mehr Waffen geliefert werden würden, desto größer werde das Risiko, dass Putin nicht aufgebe und eskalieren werde, urteilt er. Dann würde Putin Nuklearwaffen einsetzen und den Westen mit in den Krieg ziehen. Hacke glaubt noch immer, dass die Staatengemeinschaft Putin in seiner Rücksichtlosigkeit unterschätzt. Schwarzer zeichnet das Gegenszenario auf: Zu schnell aufzugeben, hätte Putins Appetit nicht gestillt.
Schwarzer, Llambi und Rosenfeld glauben, dass der Krieg durch Verhandlungen zu Ende gebracht werden kann. Wann und wie das wer Fall ist, solle die Ukraine entscheiden, sagt Rosenberg. Man müsse sich aber überlegen, wann man verhandeln könne, findet Schwarzer. "Meine Befürchtung ist, dass der politische Rückhalt in Europa und den USA bröckeln wird," sagt sie. Denn die Ukraine werde zunehmend mehr Waffen brauchen, um den Angriff zurückzudrängen, und der Krieg drohe noch länger anzudauern.
Die Ukraine ist EU-Beitrittskandidat. Das werde den Krieg aber nicht beeinflussen, sagt Schwarzer. "Aber es bietet der Ukraine eine langfristige Perspektive, die das Land braucht – die Anknüpfung an Europa." Hacke unterbricht Schwarzer: "Sie sind eine reizende und kluge Frau, aber ich muss Ihnen widersprechen. Das sage ich ohne Arroganz." Maischberger kontert direkt: "Na, dann lassen sie es doch." Jedenfalls sei er der Meinung, so Hacke, dass die Beitrittskandidatur Putin nur noch weiter provoziere, und fährt die düstere Prognose einer geteilten Ukraine fort. Ein Teil würde demnach zu Russland gehören, ein Teil möglicherweise der EU beitreten.
Kurz sprechen Hacke und Schwarzer noch über die USA, auch hier äußert sich der Experte für transatlantische Beziehungen pessimistisch. Die USA sei seit Donald Trump keine zivilisatorische Führungsmacht mehr, das würde aktuell die Macht der Republikaner, die lockeren Waffengesetze und das Kippen des Abtreibungsgesetzes verdeutlichen. "Amerika ist auf dem absteigenden Ast", sagt Hacke. In diesem Punkt sind Schwarzer und Hacke einer Meinung. "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass für die Republikaner Donald Trump oder eine sehr ähnliche Person antritt," sagt auch die Honorarprofessorin.
Viel präsenter als die US-Wahl in zwei Jahren ist die Bedrohung einer Energiekrise in diesem Winter: Weniger Heizen und kürzeres Duschen könnten nun zur Bürgerpflicht werden, sagt Maischberger. Den Ernst der Lage verdeutliche, dass die Grünen mittlerweile bereit sind, Kohlekraftwerke weiterzubetreiben, sagt Rosenfeld. Die Mehrheit der Deutschen sind sogar dafür, dass Atomkraftwerke verlängert werden.
"Robert Habeck hat ein unglaubliches Talent, seine persönliche Lernkurve als Bundesautobahn zu verkaufen", scherzt Küppersbusch. Die Atomkraft sei ein Gründungsmythos der Grünen, sagt Rosenfeld, dementsprechend sei Habecks Zögern verständlich. Llambi aber wettet darauf, dass Habeck spätestens im August dafür plädieren wird die Atomkraftwerke zu verlängern.
Rosenfeld warnt währenddessen vor einem "Verteilungskampf" um Gas. Dieser werde zwischen Industriezweigen, aber auch zwischen der Industrie und den Verbrauchern ausgefochten werden. Dauerhaft einen Arbeitsplatz zu haben, ist ihrer Meinung nach wichtiger, als die Privathaushalte zu priorisieren. Küppersbusch sieht das anders: Es sei ein "Armutszeugnis", dass die Industrie es verpasst habe, auf erneuerbare Energien umzusteigen, nur um das jetzt auf die Bürger abzuwälzen.
Zum Abschluss der Sendung geht es noch um eine andere letzte Krise: Die extremen Wetterereignisse der letzten Wochen, die von starken Hitzegewittern, Dürre und sogar Waldbränden geplagt waren. Dazu ist Wetterexperte Sven Plöger bei Maischberger zu Gast. "Das sind Veränderungen, die uns die Wissenschaft vor 30, 40 Jahren erzählt hat," sagt er. Die größte Klimasorge sei die Wasserknappheit. Zehnjährige Dürren könnten in Europa normal werden, warnt er, sollte man zu wenig gegen den Klimawandel unternehmen. Dafür brauche man ein "Jahrhundertgeschäft" mit politischen Rahmenbedingungen. "Das Sparen ist dafür ein zentraler Punkt", sagt auch er.