Rainer Brüderle und Janine Wissler (Linke) sind unterschiedlicher Ansicht, was die Entlohnung von Pflegenden angeht.bild: screenshot ard
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Während die Welt entsetzt auf die Kriegsverbrechen im ukrainischen Buschta schaut, ignoriert "Hart aber fair" den Ukraine-Krieg und setzt auf ein Thema, das man seit Jahren immer wieder relativ beliebig aus der Schublade ziehen kann: "Die neue Arbeiter-Losigkeit – warum gehen Deutschland die Fachkräfte aus?" Etwas anderes als die relativ unmotivierte Themenwahl erstaunt die Zuschauer an der Sendung aber noch viel mehr. Und das hat mit dem anderen großen Thema, das heute ignoriert wird, zu tun: Corona. Es talken:
- Hubertus Heil (SPD, Bundesminister für Arbeit und Soziales)
- Janine Wissler (Die Linke, Parteivorsitzende)
- Rainer Brüderle (Präsident des bpa-Arbeitgeberverbandes; er vertritt den Verband in der Pflegekommission; ehem. FDP-Wirtschaftsminister)
- Simon Meinberg (Tischlermeister; Inhaber und Geschäftsführer einer Tischlerei in Berlin)
- Dieter Könnes (Verbraucherjournalist; Moderator der WDR-Servicezeit-Sendung "Könnes kämpft")
- Bettina Offer (Rechtsanwältin, spezialisiert auf Fachkräftezuwanderung und Ausländerbeschäftigungsrecht)
Handwerker sind gefragt. Der Installateur von Frank Plasberg hat sogar einen Dienstwagen von seinem Chef bekommen, wie der Talkmaster erstaunt erzählt. Im Handwerk kann man gut verdienen und trotzdem beklagen die Firmen schon seit Jahren zu wenig Nachwuchs.
Heil plädiert für neues Schulfach
SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil wünscht sich ein neues Schulfach.bild: screenshot ard
Der SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil versucht, ein modernes und lockendes Bild vom Handwerk zu zeichnen, indem er erwähnt, dass es auch Baustellen gibt, "wo auch Drohnen fliegen". Und eine Ausbildung im Handwerk sei kein Gegensatz zum Abitur. Aber er sieht auch, dass man bei der Ausbildung etwas tun müsse: 1,3 Millionen Arbeitslose zwischen 20 und 30 seien ganz ohne Ausbildung. "Das müssen wir ändern." Er will eine "Allianz für Aus- und Weiterbildung".
Heil wünscht sich die Einführung des Schulfaches "Arbeit, Technik, Wirtschaft, wo man die Vielfalt von Berufen kennenlernt." Denn viele junge Menschen würden sich nur auf wenige Berufe konzentrieren, man dürfe nicht "akademische und berufliche Bildung gegeneinander ausspielen", nur so könne man verhindern, dass Leute nur studieren, weil sie denken, dass man das so machen müsse, und dann ihr Studium wieder abbrechen.
Interessant wird es, als Plasberg dann zehn Jahre alte Ausschnitte des ehemaligen FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle einspielt, der fast wortgleich das fordert, was Heil heute will: Weniger Arbeitslosigkeit bei Inländern, höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, mehr qualifizierte Zuwanderung und bessere Anerkennung von ausländischen beruflichen Qualifikationen. "Was haben wir eigentlich die letzten zehn Jahre gemacht?", fragt der Moderator und die Frage geht an Heil, der seit 2018 Arbeitsminister ist. Er gibt zu:
"Wir müssen jetzt mal selbstkritisch sein, wir haben bestimmte Sachen nicht schnell genug hinbekommen."
Hubertus Heil
Plasberg mit unpassender Bemerkung
Tischler Simon Meinberg hat sich gegen das Abitur und Studium entschieden.bild: screenshot ard
Schnell war hingegen Simon Meinberg, er ist nach der zehnten Klasse vom Gymnasium abgegangen, mit 20 Jahren war er schon Meister. Heute hat er seine eigene Firma. Er bestätigt den Mangel an gutem Personal: "Die Fachkräfte sind alle gebunden, die laufen einem nicht in die Arme." Aber er habe im vergangenen Jahr 130 Bewerbungen bekommen. Plasberg nimmt diesen Andrang zum Anlass für eine irgendwie schmierige Bemerkung: "Frauen stehen auf Tischler und auf Zimmerleute..." Hubertus Heil grätscht gerade noch rettend rein: "Es gibt auch Tischlerinnen, Herr Plasberg." Aber der Geist einer Altmännerdiskussion hängt im Raum und lässt sich auch nicht mehr ganz vertreiben.
Der Ex-Finanzminister Rainer Brüderle (FDP) sieht eine langjährige Fehlentwicklung. "Dass Handwerk goldenen Boden hat, ist in vielen Köpfen nicht drin", findet er. Auch er wartet seit sechs Wochen auf jemanden, der ihm seine kaputte Jalousie repariert. "In den Schulen lernen sie nicht, wie ein Tischler oder ein Elektriker arbeitet", außerdem sei das Schrumpfen der Bevölkerung ein Problem, sagt er und macht dann eine Rechnung auf, wie dem entgegen gewirkt werden könne: Es müssten "rein statistisch, nüchtern formuliert, um den Bestand zu halten" 2,2 Kinder je Frau geboren werden, "frei von Erotik, nüchtern". Im Moment seien es aber nur 1,5 Kinder im Schnitt. "Vorsicht, Falle", ruft Plasberg warnend angesichts des irgendwie seltsamen Tonfalls.
Rainer Brüderle und Janine Wissler hocken dicht beieinander, inhaltlich sind sie jedoch weit voneinander entfernt.bild: screenshot ard
Tja, Brüderle und die Erotik – das ging schonmal nicht gut. Die Journalistin Laura Himmelreich sorgte 2013 für eine eine gesellschaftliche Diskussion, als sie erzählte, wie Brüderle ihr einmal in einer Hotelbar auf ihren Busen geschaut und gesagt hat: "Sie können ein Dirndl auch ausfüllen." Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler senkt peinlich berührt den Blick angesichts Brüderles Mathe-Überlegungen.
"Hart aber fair"-Zuschauer irritiert
Aber noch aus einem weiteren Grund wirkt die Szene befremdlich: Die beiden sitzen nach zwei Jahren Corona-Distanz in der Wahrnehmung unangenehm nah beieinander. Man braucht eine Weile, bis man realisiert, dass "Hart aber fair" zurück gebaut hat: Die Einzelsitzplätze, die es seit Beginn der Pandemie gab, wurden nun wieder durch den durchgehenden Tresen ersetzt. Und nicht wenige Zuschauer sind aus dem einen oder anderen oder gar beiden Gründen entsetzt:
Doch Janine Wissler lässt sich nicht aus der Fassung bringen und betont, dass Gehalt und Arbeitsbedingungen eine große Rolle spielen für die Jobwahl. Sie habe gerade mit einer Pflegekraft gesprochen, die in Rente gegangen ist. "Es kann doch nicht sein, dass Menschen in der Pflege arbeiten und kaum über die Runde kommen und am Ende in die Altersarbeit rutschen, weil sich ihr Verband weigert, Tarifverträge abzuschließen", wendet sie sich an ihren Sitznachbarn, den Ex-Minister, der heute den bpa-Arbeitgeberverband in der Pflegekommission vertritt.
Journalist erntet Widerspruch
Journalist Dieter Könnes macht sich keine Freunde in der Runde.bild: screenshot ard
Der Journalist Dieter Könnes irritiert mit der Aussage: "Geld ist nicht das zentrale Problem, Überlastung ist das Problem" – die meisten Pflegenden seien als "Herzensmenschen" bei ihrer Arbeit. "Es ist ein Knochenjob, aber es gibt immer Leute, die ihn auch freiwillig machen. Ich kann immer nur sagen, Augen auf bei der Berufswahl."
Damit ruft er Gegenrede in der Runde hervor. Bundesarbeitsminister Heil ruft: "Vom Herzensmenschen allein kann man die Miete auch nicht zahlen" und Janine Wissler sagt: "Ich finde das etwas zynisch." Denn das Geld sei ja durchaus vorhanden:
"Man kann mit der Pflege viel Geld verdienen. Aber nicht als Pflegekraft, sondern als Pflege- und Krankenhauskonzern. "
Janine Wissler
Die Rechtsanwältin Bettina Offer erzählt von ihrern Erlebnissen bei den Ausländerämtern. bild: screenshot ard
Gerade diese Konzerne, aber nicht nur, suchen Arbeitskräfte auch im Ausland. Die Rechtsanwältin Bettina Offer ist spezialisiert auf Fachkräftezuwanderung und Ausländerbeschäftigungsrecht. Sie hat immer wieder mit vielen der rund 500 deutschen Ausländerbehörden zu tun. Da würden Wohnorte schonmal nach Kooperationsfähigkeit und -vermögen der jeweiligen Ausländerbehörde ausgesucht. "Das ist eine unwürdige Situation", findet Offer, gerade, wenn man Einwanderungsland sein will. Zudem sei auch die Kommunikation mit den Ämtern nicht einfach.
"Ich freue mich über jede Behörde, die noch ein Fax hat, die kann ich wenigstens noch erreichen."
Bettina Offer
Bei vielen Ämtern herrsche der Zwang, immer persönlich vorzusprechen, weil sie vom Mail- und Post-Ansturm überfordert sind. "So verzweifelt, so schlecht ausgestattet sind die Behörden." Aber insgesamt gelte für ihre Kanzlei: "Wir haben die angenehme Situation, dass wir die Steuerzahler im Portofolio haben." Erklärend fügt sie noch hinzu, dass sie im Scherz bei Zuwanderern immer unterscheide "zwischen denen, die Steuern kosten und die Steuern zahlen". Ein Satz, den sie sich auch gut hätte sparen können.
Kaum hat man sich an die Rückkehr von Stefan Raab und seine neue Show "Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab" (kurz: "DGHNDMBSR") ein bisschen gewöhnt, gibt es schon wieder eine Änderung. Nicht mehr Elton leitet die Spiele, sondern ein anderer RTL-Moderator.