Wie leicht man Markus Lanz beleidigen kann, zeigt sich in seiner letzten Sendung für diese Woche: Am Dienstag hatte er Karl Lauterbach dessen Rückzieher bei der Isolationsregelung entlockt. Statt nachträglichen Beifall für den Scoop gab es diesmal in der Runde aber Kritik. Und auch Grünen-Politiker Anton Hofreiter war im Laufe des Talks etwas verstimmt über kritische Töne einer Journalistin. Aber dafür talkte er sich direkt ins Herz der Zuschauer. Folgende Gäste waren dabei:
Es war ein lange erwarteter Tag mit einem mittlerweile auch von vielen so vorhergesehenen Ergebnis: Der Bundestag hat über die Impfpflicht abgestimmt und sich dagegen entschieden. Grünen-Politiker Anton Hofreiter hat "selbstverständlich für die Impfpflicht gestimmt – je mehr geimpft wird, desto weniger Tote haben wir". Und nun bekennt er: "Die Enttäuschung ist groß, aber man muss jetzt neu verhandeln.“
Hannah Bethke, Politikexpertin der "NZZ", wertet das Ergebnis als "ein einziges Trauerspiel". "Damit ist Olaf Scholz mit einem seiner zentralen Projekte gescheitert und Lauterbach auch. Die Ampelkoalition macht hier überhaupt keine gute Figur in der Pandemiepolitik", lautet ihr Urteil.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat derzeit sowieso einen schweren Stand. Am Dienstag hat er bei Markus Lanz in der Talkshow überraschend angekündigt, die eigentlich ab 1. Mai geplante Freiwilligkeit der Isolierungsregelung wieder zu kassieren, weil man sie als falsches Zeichen missdeuten könnte. Bethke beklagt diese Art der Informationsvermittlung übers TV und schiebt dann gerade noch "nichts gegen ihre Sendung" hinterher. Aber Markus Lanz besänftigt das überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil.
Hofreiter lächelt. "Warum lachen Sie?", fragt ihn Lanz. "Weil es einfach schon eine schräge Nummer ist, einfach so eine Verordnung in einer Talkshow zurückzuziehen", sagt Hofreiter. "Was hätte er denn sagen sollen? Ich frage ihn konkret nach dieser Geschichte", sagt Lanz. Lauterbach hätte eben bei ihm in der Sendung geantwortet, bevor er es danach auf Twitter bekannt gegeben hat. "Was ist an Twitter besser als am Zweiten Deutschen Fernsehen?" Hofreiter bemüht sich um Sachlichkeit: "Solche ganz schwierigen Entscheidungen sollte man nicht innerhalb von 12 Stunden hin- und herwerfen, man sollte sie sich sehr gut überlegen."
Aber das Thema lässt Lanz nicht los. "Wir sind uns einig, wenn er das in der 'NZZ' gesagt hätte, hätten sie es auch gedruckt", wendet er sich an Bethke. "Ja, Aber ich finde, das ist auch nochmal was anderes als eine Talkshow", antwortet sie. "Warum? Erklären Sie bitte, warum. Was ist der Unterschied?", fordert sie Lanz auf. Die Reporterin ist leicht überfordert von der Situation und erzählt etwas von "anderer Reichweite", dem "geschriebenen Wort" und "da vermischen sich die verschiedenen Foren" und es sei eben der klassischere Weg. Lanz ist damit nicht zufrieden.
"Sehen Sie das auch so?", sucht der Moderator Beistand beim Migrationsforscher Gerald Knaus. Doch der hält sich heraus: "Da bin ich Agnostiker", sagt er. "Ich fand die Kritik nicht in Ordnung ich habe eine simple Frage gestellt, und er hat wahrheitsgemäß geantwortet". Hard feelings und hard cut. Weiter geht's mit der Ukraine.
Anton Hofreiter hat eine klare Meinung: Deutschland muss auch schwere Waffen an die Ukraine liefern und russische Energie boykottieren. Als Lanz ihn darauf anspricht, dass die Grünen doch aus dem Pazifismus kämen, ergänzt Hofreiter, dass sie eben "auch ganz stark aus der Menschenrechtstradition" kommen. "Aber natürlich ist es extrem bitter", gibt er zu.
Hofreiter, allgemein eher kein Publikumsliebling im Politikgeschehen, sammelt damit plötzlich eifrig Sympathien auf Twitter.
"Wir müssen auf alle Fälle verhindern, dass wir Kriegspartei werden", sagt er und meint damit nicht die Grünen, sondern die Bundesrepublik. Je länger der Krieg dauere, desto größer sei aber die Gefahr. Vor diesem Hintergrund ist er auch dafür, schwere Waffen zu liefern. Dann sagt er, dass er "nicht der absolute Militärexperte" sei. Und hält doch einen kurzen Vortrag über Panzer wie die PT-91, die "kampfwertgesteigerte T-72" seien, über schwere Scharfschützengewehre wie das G-82 das dank Kaliber 12,7 mm auch die gepanzerten Fahrzeuge der russischen Nationalgarde brechen könne und ausgemusterte Marder Schützenpanzer. Wir erleben ganz offensichtlich wirklich eine Zeitenwende.
Man müsse die Ukraine mit Waffen unterstützen und parallel das System Putin mit guten Sanktionen destabilisieren. Mit einem Erdöl-Embargo zum Beispiel. Beim Gas seien wir schon auf dem richtigen Weg. 2021 kam noch 55 Prozent aus Russland, im ersten Quartal 22 waren es nur noch 40 Prozent. "Wir haben da schon vieles geschafft."
Allerdings redet er auch Tacheles, was uns bei einem vollen Gas-Stop erwarten könnte: "Es heißt, auch wichtige Industriebetriebe müssen ihre Produktion einschränken." Im Herbst drohe eine Lücke von rund 100 Terawattstunden. "Wir müssen die Kohlekraftwerke intensiver laufen lassen, so bitter es ist – um das Stromnetz stabil zu halten."
Als die Journalistin Hannah Bethke Hofreiter eine gewisse Leichtfertigkeit unterstellt, trifft ihn das offenbar stark. Denn der Grüne wird überraschend laut im Ton: "Glauben Sie, es ist irgendetwas leichtfertig daran, in der Klimakrise, die wir haben, zu sagen, dass wir die Kohlekraftwerke hochfahren müssen?" Es müsse eben sein.
Vor einem Monat war sie bei Lanz noch aus Moskau zugeschaltet, inzwischen hat sie die russische Metropole verlassen, weil es zu gefährlich für sie wurde. Zum allerersten Mal. Und sitzt – immer wieder ziemlich böse hustend – bei Lanz im Studio. Für Irina Scherbakowa, Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial", sind die Bilder aus Butscha "ein unglaublicher Schock, eine unglaubliche Katastrophe". Sie bedauert, dass nun auch immer deutlicher wird, dass der Krieg auch von vielen Russen zumindest toleriert wird. "Das ist natürlich eine Niederlage, auch für uns eine aufklärerische Katastrophe." Ihr trauriges Fazit:
Bewusstes Ignorieren hat der Migrationsforscher Gerald Knaus ebenfalls bei der Politik ausgemacht. Wer die Artikel der 2006 im Treppenhaus ihrer Moskauer Wohnung ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja gelesen habe, hätte vieles wissen können, außerdem habe es in Russland eine ganz offene Rückbesinnung auf den wegen seiner Verbrechen lange verfemten Diktator Stalin gegeben. Russlands Präsident Wladimir Putin hätte Schulbücher umschreiben lassen und Lehrer im Kreml auf den neuen alten Kurs eingenordet.
Kriegsverbrechen wie in Butscha seien fester Teil der Kriegsführung, gar "staatliche Politik". Dazu passe auch, dass Generaloberst Mikhail Mizinzew, der mittlerweile "Schlächter von Mariupol" genannt wird, schon Aleppo belagert und bombardiert hat. Mit Blick auf den Fortgang des Kriegs in Syrien fragt Knaus: "Wann kommen die Chemiewaffen, wann kommt die totale Zerstörung der nächsten Großstadt?" 7-8 Millionen Binnenvertriebene und 4 Millionen Vertriebene gebe es aktuell in der Ukraine – ein Viertel der Bevölkerung. Knaus hält bald auch 20 Millionen Vertriebene für realistisch. "Die Kosten des Nichtstuns sind mittlerweile so hoch, dass das, was man verantwortungsvoll tun kann, wenn auch mit Risiken, jetzt wirklich gemacht werden muss."