Markus Lanz hat einen Lauf. In den zwei Corona-Jahren wurde seine Talkshow zu einer der meistbeachteten Sendungen im deutschen TV. Zum Ukraine-Krieg kommt er nun mit einem Spende- und Talk-Special zur Hauptsendezeit und verdrängt damit das Finale der 15. Staffel vom "Bergdoktor". 105 Minuten lang führt er Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, Beobachtern und Experten – zugeschaltet oder im Studio zu Gast.
Zweimal wechselt Lanz seine Studiogäste komplett aus an diesem Abend. Wir alle stecken in einem "Dilemma", moderiert Lanz den Abend an. Wie weit kann man der Ukraine helfen, ohne, "dass am Ende ganz Europa zum Schlachtfeld wird"? Diese Frage bespricht er u.a. mit folgenden Gästen:
Man kennt vor allem ihren Ehemann: Sängerin Natalia Klitschko ist seit 26 Jahren mit Vitali Klitschko, dem ehemaligen Boxer und heutigen Bürgermeister von Kiew, verheiratet. Die gebürtige Ukrainerin erzählt, dass sie die ersten Tage des Kriegs wie unter Schock stand. "Es war die schlimmste Woche meines Lebens. Es hat mich wahnsinnig gemacht." Ihre 72-jähirge Mutter saß vier Tage in einem Bunker und dachte, dass die Russen "nur einfach Angst machen wollen". Sie weigerte sich, die Ukraine zu verlassen. "Das ist mein Land, wenn ich sterbe, sterbe ich hier", sagte sie zu ihrer Tochter. Erst als Natalia Klitschko vor vier Tagen endgültig die Nerven durchgegangen sind und sie ihre Mutter angeschrieben hat, machte sie sich auf den Weg.
Noch in der Ukraine ist ihr Ehemann Vitali. Morgens greift Natalia Klitschko als erstes zum Handy und schreibt: "Wie war die Nacht?". Sie hofft auf die Standardantwort: "Ich bin am Leben."
Ihr Schwager Wladimir ist mit einer auf gezeichneten Videobotschaft in der Sendung vertreten. Sein Bruder Wladimir und er sähen sich als "Adoptivkinder Deutschlands". Ihnen liege Deutschland am Herzen, sagt Klitschko und will damit vermutlich darauf hinweisen, dass es umgekehrt doch genauso sein sollte.
Ansprechpartner für dieses Anliegen ist u.a. Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne). Es mehren sich die Stimmen, die fordern, jeglichen Bezug von Energie aus Russland einzustellen. Doch laut Habeck zöge das erhebliche Folgen nach sich. "An den Energiequellen hängen sehr konkrete Unternehmen, sehr konkrete Arbeitsplätze. Wir reden da von hunderttausenden von Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Wir reden von Armut, von explodierenden Energiepreisen hier bei uns", sagt Habeck. Er habe Respekt vor jedem, der sage "Ich friere gern, ich stricke 'nen Pullover mehr", aber die Situation sei eine viel ernstere.
Sanktionen müsse man so anlegen, dass sie auch drei oder vier Jahre durchzuhalten seien, sagt Habeck. Beim Gas sei das fast nicht möglich. "Das ist eine rationale Entscheidung, keine emotionale", betont der Wirtschaftsminister. Und er verstehe jeden, der ihn kritisiere. "Es ist eine ganz schwierige Abwägung, aber ich glaube ich muss sie treffen."
Habeck wirkt angefasst, er ringt mit den Worten, beginnt Sätze, führt sie nicht gerade zu Ende. Man merkt, das Thema beschäftigt ihn wirklich. Ein kleiner Trost sei aber: Mit jedem Tag werde die Abhängigkeit von russischer Energie weniger. Bei der Kohle dauere sie noch einige Monate, und möglicherweise schaffe Deutschland die Unabhängigkeit vom russischen Öl noch in diesem Jahr. "Das russische Wirtschaftssystem liegt am Boden, die Sanktionen sind knüppelhart, wir arbeiten zielgenau und präzise."
Dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, reicht das nicht. Er fordert sofortigen den Komplettverzicht auf russische Energieimporte. "Das ist sehr enttäuschend", findet er. "Jetzt geht es darum, ob die Ukraine überlebt, oder ob wir zugrunde gehen." Er wirft Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, dass sein Wort von der "Zeitenwende" nur schön klingt, er aber sonst weitermache im "Klein-Klein".
Melnyk hat neulich im Bundestag langen Applaus bekommen. Vielen ist er mit seiner fordernden Art aber auch ein Dorn im Auge. Und so fragt auch Markus Lanz angesichts von Melnyks fortdauernder Kritik an Deutschland: "Ich muss mal aus deutscher Perspektive fragen: Kann es sein, dass Sie diesem Land Unrecht tun, wenn sie dermaßen die Bazooka rausholen?" Der FDP-Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sieht es ähnlich: "Manchmal hat Herr Melnyk eine sehr deutliche Sprache für einen Diplomaten, manchmal überzieht er."
Unstrittig ist aber, dass Russland bisher trotz der Sanktionen keine Anstalten macht, sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Auch das Treffen zwischen Russland und der Ukraine in Antalya ist ergebnislos zu Ende gegangen.
Für die Sicherheitspolitikexpertin Claudia Major eine Enttäuschung. "Was wir jetzt herausbekommen haben, ist noch weniger als wir erwartet haben. Man hat es nicht einmal geschafft, sich auf humanitäre Fragen zu einigen."
Alexander Graf Lambsdorff glaubt: "Putin will die Ukraine als Staat von der Landkarte tilgen. Er ist nicht bereit zu ernsthaften Verhandlungen." Und so hält der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine an.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Geflüchtete besucht und sich selbst ein Bild gemacht. "Es ist schon sehr bedrückend, wenn man das zum ersten Mal persönlich sieht." Aber insgesamt ist sie optimistisch. Insgesamt sei die Lage nicht vergleichbar mit der Flüchtlingskrise von 2015. "Die Menschen spüren, es ist Krieg mitten in Europa, damals war das nicht so." Das wirke sich auf die Hilfsbereitschaft aus und es gebe auch viele familiäre Verbindungen nach Deutschland. Die Ukrainer könnten visafrei einreisen und kämen oft bei Freunden und Verwandten unter. Also alles Bestens?
Da klingeln bei Migrationsforscher Gerald Knaus die Alarmglocken. Er rechnet damit, "dass es auch 10 Millionen Flüchtlinge werden können". Putins Ziel sei es, "Europas Demokratie im Kern zu erschüttern" und das eben auch durch den Flüchtlingsstrom. Der russische Präsident wolle eine Krisenstimmung schaffen und so europaweit Ultranationalisten an die Macht kommen lassen. Die derzeitige Empathie für Flüchtlinge findet er zwar großartig, "aber das wird nicht reichen, das wissen wir jetzt schon".
Man brauche dringend ein logistisches Konzept für ganz Europa.
Während der Sendung werden in einem Laufband die eingehenden Spenden eingeblendet. Am Ende haben die ZDF-Zuschauer 4.175.498 Millionen Euro während der Sendung für die Ukraine gespendet. Das sind knapp 40.000 Euro pro Sendeminute.