Wenn die Stromrechnung ums Zehnfache steigt, steht die Pleite bevor. Das merkt eine Bäckereibesitzerin und bekommt in der Runde bei Frank Plasberg zwar viel Staunen und Verständnis, aber wenig Hilfe. Der ARD-Talker diskutiert das Thema "Zu teures Gas, zu wenig Strom: Muss die Atomkraft doch länger laufen?" mit folgenden Gästen:
Caterina Künne ist Inhaberin einer Bäckerei-Kette mit sieben Filialen und knapp 60 Mitarbeitern in Hannover. Seit drei Generationen gibt es die Firma. Der 18-jährige Sohn steht in den Startlöchern, will in den Familienbetrieb einsteigen. Doch aktuell ist sehr fraglich, ob es die Firma 2023 noch geben wird. Denn statt 110.000 Euro monatlicher Stromkosten soll die Unternehmerin ab 2023 monatlich 1,1 Millionen Euro bezahlen, hat ihr ihr Versorger mitgeteilt. Caterina Künne schlägt Alarm:
Der Strompreisanstieg fällt für Unternehmen nochmal höher aus als für Privatleute, weil die Firmen vorher verbilligten Strom hatten und nun aktuelle Marktpreise bezahlen müssen. Wenn Caterina Künne die Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben würde, müsste ein Brot künftig acht Euro kosten. Sollte sich keine Lösung auftun, muss sie dicht machen. "Wir können nicht einfach aufhören zu produzieren", sagt sie Bezug nehmend auf das inzwischen berüchtigte Zitat von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die Runde schaut betroffen, eine Lösung hat aber niemand.
Der hessische WirtschaftsministerTarek Al-Wazir (Grüne) sagt sogar in aller Deutlichkeit: "Diese Krise wird härter als Corona." Die aktuellen Strompreise hätten nichts mehr mit der Realität zu tun. Denn der Strompreis orientiert sich an der teuersten Erzeugungsart. Das ist im Moment die Verstromung von Gas. Erzeuger von erneuerbarer Energie streichen durch diese Regelung satte Gewinne ein. "Natürlich verdienen sich manche auch, das muss man ganz ehrlich sagen, dumm und dusslig. Übergewinne sind Übergewinne, auch wenn sie mit Windenergie gemacht werden", sagt Al-Wazir. Diese Übergewinne müsse man abschöpfen, um dann unterstützen zu können. Ob das rechtzeitig für die Bäckereibesitzerin Künne und viele andere Unternehmen kommt? Fraglich.
Gegen einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke spricht sich Al-Wazir strikt aus. Die AKW seien auch nur für fünf Prozent des deutschen Stroms zuständig, man könne damit nur eine Promille Gas und gerade einmal ein Prozent bei den Strompreisen sparen, meint er. Den Ausstieg in Frage stellen will das Mitglied der "Atomkraft? Nein Danke"-Partei deshalb auf gar keinen Fall: "Wenn ich das mal so sagen darf: Dafür haben wir uns gegründet..."
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann schüttelt den Kopf: "Es ist ein Wahnsinn, drei Kraftwerke abzuschalten am 31. Dezember. Das wird den Preis noch teurer machen. Da wurde Vernunft durch Ideologie zur Seite gedrängt."
Dieser Vorwurf bringt Al-Wazir auf die Palme und es startet ein parteipolitisches Geplänkel: Connemann sei froh, "endlich ablenken zu können von dem, was Sie uns hinterlassen haben. Ich finde es einfach ein bisschen unfair". Man müsse mit Volldampf in die Erneuerbaren: "Der Putin kann uns Sonne und Wind nicht abdrehen", sagt Al-Wazir ganz richtig, muss dann aber auch zugeben, dass das als kurzfristige Lösung bis Januar nichts wird.
Da wären wir wieder bei der Schnelligkeit, die nun nötig ist. Connemann sieht da eindeutig die Bundesregierung in der Pflicht: Zum ersten Mal würde der deutsche Staat über eine Billion Euro, also 1000 Milliarden, einnehmen und damit 120-130 Milliarden Euro mehr als zuvor. Für sie steht fest:
Sie findet, damit müsse die Bundesregierung ihre Bürger:innen "strukturell entlasten" bei den Energiepreisen. Und zwar schnell.
Laut Tarek Al-Wazir würde das allerdings 30 Milliarden Euro kosten. Und er stellt Connemann die rein rhetorische Frage, ob für sie noch die Schuldenbremse gelte, nur um ihr dann eine "Milchbubenrechnung" angesichts fehlender Gegenfinanzierung vorzuhalten. "Sie sagt nicht, wo es herkommt."
Vielleicht hat der Grüne die ungewöhnliche Buben-Formulierung gewählt hat, um den Eindruck einer Diskriminierung von Frauen zu vermeiden. Connemann dankt es ihm aber nicht. Im Gegenteil: Sie korrigiert ihn. "Allenfalls eine Milchmädchenrechnung, dann müssten sie schon das richtige Geschlecht annehmen."
Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur des Verbraucher-Ratgebers "Finanztip", plädiert dafür, dass die Bundesregierung einen Grundverbrauch an Energie vom Preis deckelt, ähnlich wie es Österreich macht. Vor allem sollte der Bund das vorfinanzieren und sich das Geld dann über die Übergewinnabschöpfung von den Unternehmen holen. Es gehe um schnelle Lösungen für viele Verbraucher.
Sein Tipp ist: zu Grundversorgern wechseln, die hätten langfristige Gasliefer-Verträge und würden deshalb im Preisniveau unter den anderen Unternehmen liegen.
Aus Überzeugung ist er grundsätzlich gegen die Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken. Aber auch aus Sicherheitsgründen: Weil sie "seit elf Jahren keinen TÜV gesehen haben" und weil die meisten AKW-Angestellten wegen des angekündigten Aus bereits andere Jobs hätten. Jetzt wäre jetzt nur noch "die dritte Mannschaft" an Bord. Für ihn ein Risikofaktor.
Der Ökonom Stefan Kooths betrachtet von Berufs wegen die Situation erst einmal von den Zahlen her. Und er stellt ganz unumwunden fest:
Ohne die Energiepreise hätte es ein Wachstum um drei Prozent gegeben, nun sinke die Wirtschaftsleistung um 130 Milliarden Euro. Mit Inflation und steigenden Preisen müsse man sich noch eine Weile herumärgern. "Wir sind noch nicht durch, die Spitze ist erst im kommenden Jahr." Dringend brauche Deutschland eine Brückentechnologie zur Stromerzeugung für fünf bis zehn Jahre, bis der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter vorangeschritten sei.
Er plädiert für das Laufenlassen der Atomkraftwerke, erst unterschwellig, dann deutlich. "Alles, was zusätzliche Kapazität in den Markt bringt, würde den Markt beruhigen." Man müsse nun alle Register ziehen. Um Deutschland herum werde auch mit AKW Strom erzeugt. "Die Atomkraft in Frankreich wird nicht besser, wenn wir unsere Kraftwerke abschalten." Und auch das Endlagerproblem bliebe im Prinzip dasselbe, auch wenn noch Material dazukomme.
(Ark)