ARD-Börsenexpertin Anja Kohl sieht eine lange Phase der Inflation anstehen.bild: screenshot ard
TV
Gas ist um 45 Prozent teurer geworden, Butter um 32 Prozent und Brötchen um 10 Prozent. Offiziell beträgt die Inflation derzeit 7,2 Prozent – gefühlt ist die Preissteigerung noch höher. Helfen die Entlastungsmaßnahmen vom Staat? Frank Plasberg diskutiert das Thema "Tank und Einkaufswagen voll: Können sich das nur noch die Reichen leisten?" mit folgenden Gästen:
- Christian Dürr, FDP, Fraktionsvorsitzender; Mitglied des Präsidiums
- Anja Kohl, ARD-Börsenexpertin
- Jens Diezinger, Erzieher; Vater von fünf Kindern
- Gitta Connemann, CDU, Bundestagsabgeordnete; Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT)
- Jürgen Hinkelmann, Bäckermeister; Geschäftsführer einer Bäckereikette in Dortmund; Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks
ARD-Börsenexpertin Anja Kohl neigt nicht zum Schönreden. Und das bemerkt man gleich. Sie befürchtet "eine Dekade der Inflation". Es sei schon ein "gesellschaftlicher Kraftakt" von Nöten, um diese Inflation auf "ein relativ erträgliches Maß zurückzuführen". Viele Akteure müssten mithelfen. "Das wird richtig, richtig schwierig."
Als allererste Maßnahme sieht sie: "Die Europäische Zentralbank muss mit ihrer Unterlassungspolitik aufhören und die Zinsen erhöhen." Dann müsse die Politik Einkommensschwache und den Mittelstand entlasten, Gewerkschaften und Arbeitgeber müssten sich über Lohnsteigerungen im gesunden Maße verständigen, damit es keine Preis-Lohn-Spirale gebe. Und die Unternehmen, die Rekordgewinne machten, dürften das nicht übermäßig ausnutzen können, selbst wenn sie das wollten.
Den Konzernen auf die Finger gucken
Der ganze Lebensmittelmarkt werde zum Beispiel von nur wenigen Großunternehmen beherrscht. "Man muss nicht gleich enteignen, wenn man den Konzernen mal auf die Finger guckt." Ihr Ratschlag an die Politik: "Ich würde sofort die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel aussetzen." Außerdem müssten die Löhne steigen.
"Es kann nicht sein, dass Preise steigen, aber Löhne nicht, dann kriegen wir die Vollkatastrophe in Deutschland."
Anja Kohl
260 Euro mehr für Essen
Der fünffache Vater Jens Diezinger merkt die Preissteigerung sehr deutlich.bild: screenshot ard
Der Erzieher Jens Diezinger hat schon eine Vorahnung der Vollkatastrophe. Der Vater von fünf Kindern zahlt derweil 260 Euro mehr beim Einkauf von Lebensmitteln pro Monat. Die erhöhten Preise von Heizung und Benzin kämen noch dazu. "Wie stemmen Sie das?", fragt Frank Plasberg. "Sparen!" ist die lakonische Antwort des Mannes.
Und so vergleichen die Diezingers Preise, auch seine älteste Tochter hilft schon mit. Außerdem haben sie einen Veggie-Tag in der Familie eingeführt. Und manche Anschaffungen müssen erstmal warten. "Können wir die Fußballschuhe vielleicht einen Monat weiterschieben?", fragt der Vater seine Jungs, wenn es eng ist. Nun, gegen Ende des Monats, komme immer die Zeit, wo er möglichst wenig Auto fährt, weil das Geld nicht fürs Tanken reicht.
4000 Euro netto haben die Diezingers beiden mit 1,5 Haupt- und 2 Nebenjobs im Monat. Klingt erstmal nicht wenig. Aber 1200 Euro davon sind Kindergeld und immerhin müssen davon sieben Menschen Leben. Da wird es oft eng. Vor allem bei den Freizeitaktivitäten.
Für den dreiwöchigen Sommerurlaub in Büsum an der Nordsee geben sich die Kinder ganz bewusst mit weniger Geschenken zu Weihnachten zufrieden. "Dieses Jahr klappt's noch, nächstes Jahr wird’s eng", sagt Vater Diezinger.
Dazu tragen auch Absurditäten wie der Corona-Bonus bei, den er im vergangenen Jahr bekommen hat. Damit lag die Familie 138 Euro über der Einkommensgrenze für Lehrmittelfreiheit. Darum mussten sie 900 Euro für Unterrichtsmaterialien für ihre fünf Kinder zahlen. Der Bonus stellte sich im Nachhinein also als Malus von gut 750 Euro heraus.
Von den aktuell beschlossenen Entlastungen bliebe ihm maximal der Wert einer Tankfüllung übrig, ist sich Diezinger sicher. Das 9 Euro-Ticket ist keine Alternative, damit bräuchte er knapp zwei Stunden pro Arbeitsweg. Seine Wünsche: Schulbücher kostenlos, Mittagessen in der Schule zur Hälfte bezuschusst. "Das sind Entlastungen, die in meinem Geldbeutel sichtbar werden würden."
Hoffen auf den Anstand der Konzerne
FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr hofft auf die Gutmütigkeit der Mineralölkonzerne.bild: screenshot ard
FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr vertraut hingegen auf die staatlichen Entlastungen. Und als Plasberg ihn fragt, ob nicht zu befürchten sei, dass die Mineralölkonzerne kurz vor dem Tankrabatt die Preise nochmal hochsetzen, sagt Dürr, dass er die Hoffnung habe, dass sie das nicht machen würden. Außerdem: "Wenn da Absprachen wären, ist das Kartellamt dran." Doch da platzt ARD-Börsenexpertin Kohl die Hutschnur: "Das Kartellamt hat Monate zugeguckt", sagt sie und erinnert daran, dass erst Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Kartellbehörden auf die Mineralölkonzerne ansetzen musste. Dann sanken schlagartig die Preise, wenigstens ein bisschen.
Gitte Connemann (CDU) kritisiert aus der Opposition heraus.bild: screenshot ard
CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann findet: "Der Staat kann nicht jede Preissteigerung auffangen", aber der Staat sei verpflichtet den Armen zur Seite zu sehen.
"Was die Ampel bisher auf den Tisch gelegt hat, ist Flickwerk."
Gitta Connemann
Man müsse "strukturell und nicht punktuell" entlasten. "Und das geht nur über die Einkommenssteuer." Und man dürfe auch die Betriebe bei der Entlastung nicht vergessen. So richtig diese Forderungen auch sein mögen, Anja Kohl lässt die frisch-Oppositionspolitikerin mit ihrer Regierungsschelte nicht davon kommen. "Sie hatten 16 Jahre Zeit, jede Steuerreform zu machen mit der großen Koalition, Sie haben nullkomma gar nichts gemacht."
Mehl und Käse doppelt so teuer
Bäcker Jürgen Hinkelmann erhöht die Löhne leicht zum 1. Juli.bild: screenshot ard
Seine Rohstoffe sind verdammt teuer geworden: Bäckermeister und Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks Jürgen Hinkelmann zahlt für Käse und Mehl mittlerweile doppelt so viel. Er beschäftigt 600 Mitarbeiter. Zum Juli will er die Löhne "ein bisschen" anheben. "Das ist ein Riesenfaktor, das tut uns richtig weh." Und grundsätzlich sieht er das Problem aber im Steuer- und Abgabensystem:
"Vom Brutto bleibt zu wenig netto."
Jürgen Hinkelmann
Büscher darf eine Reise machen
Zuschauerredakteurin Brigitte Büscher mit Bauer Markus Schütte (li.) bei einem Nachbarn (re.)mit Lagerkapazität.bild: screenshot ard
Warum ist das Mehl so teurer? Zur Beantwortung dieser Frage durfte die "Hart aber fair"-Zuschauerredakteurin Brigitte Büscher mal ihren Redaktionsplatz und das Gästebuch der Sendung für einige Tage verlassen und in die Ukraine reisen. Das Land ist die Kornkammer Europas. Büscher besucht den deutschen Bauern Markus Schütte, der 150 Kilometer von Lwiw entfernt einen Hof hat. Auch wenn dort keine unmittelbaren Kampfhandlungen stattfinden, sei der Krieg doch zu spüren, findet Brigitte Büscher: "Man sieht die Straßensperren, man spricht mit den Menschen." Die seien "immer irgendwie in Alarmbereitschaft".
Das Problem für den Bauern liegt nicht im Anbau. Es sind seine Einlagerungskapazitäten, die ihm Sorgen machen. Sie sind fast erschöpft. Er erntet mit seinen 50 Angestellten pro Jahr 30.000 Tonnen Soja, Mais und Raps und weiß kaum noch, wohin damit, weil durch den Wegfall des Transportwegs Schwarzes Meer kaum noch etwas exportiert werden kann. Die Ernte von einem weiteren Monat kann er noch einlagern. Wenn dann nichts davon exportiert wird, vergammelt der Rest. Und der Preis wohl noch weiter steigen.
Statt "Gefragt - Gejagt" liefert die ARD seinem Publikum seit einigen Wochen wieder ein neues Vorabendprogramm. So kehrte "Wer weiß denn sowas?" nach einer Pause ins TV zurück. Unter der Moderation von Kai Pflaume müssen Bernhard Hoëcker und Elton mithilfe von je einem Promi-Gast ihr Allgemeinwissen unter Beweis stellen. In der Folge vom 15. Oktober werden sie von Anna Maria Mühe und Lucas Gregorowicz unterstützt.