Bei der Bundestagswahl im September war die SPD noch die strahlende Siegerin, Olaf Scholz folgte als neuer Bundeskanzler auf Angela Merkel. Ein knappes Jahr später läuft es deutlich schlechter für die Sozialdemokraten. Scholz wird Führungsschwäche vorgeworfen, der Kurs der SPD im Ukraine-Krieg ist unklar. Die Aktivitäten des Altkanzlers Gerhard Schröder sorgen genauso für negative Schlagzeilen, wie die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV von Manuela Schwesig. Über den derzeitigen Zustand der SPD wurde deshalb am Mittwochabend ausführlich in der ZDF-Talksshow "Markus Lanz" diskutiert. Zu Gast waren:
Soll Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern oder nicht? In dieser Frage herrscht Uneinigkeit in der Regierung, unter anderem Anton Hofreiter von den Grünen hatte Kanzler Scholz und die SPD zuletzt wegen ihrer zögerlichen Haltung hart kritisiert. Auch bei einer mit Spannung erwarteten Pressekonferenz am Dienstag schaffte Scholz es nicht, bei diesem Thema für Klarheit zu sorgen. "Fragen sind offengeblieben", erklärt Sabine Fischer bei "Markus Lanz". Clemens Fuest wird noch deutlicher. "Auf mich hat das gewirkt wie ein Offenbarungseid", sagt der Wirtschaftsexperte.
"Wie kommt es, dass ganz Europa sagt: Deutschland ist zu zögerlich?", fragt Lanz daraufhin Ralf Stegner. "Ein Regierungschef muss vorsichtig sein. Das ist Olaf Scholz auch", antwortet der SPD-Politiker. Scholz neige ohnehin nicht zu Temperamentsausbrüchen, seine Art zu kommunizieren sei eher hanseatisch. Auch Stegner selbst vermeidet es zunächst, klar Stellung zu beziehen.
"Sind Sie gegen die Lieferung von schweren Waffen?", will Lanz deshalb ganz konkret wissen. "Ich tue mich damit schwer", antwortet Stegner, um dann das derzeitige Dilemma der Politik aus seiner Sicht zu erläutern. Einerseits müsse unbedingt vermieden werden, dass der Krieg unter Beteiligung der NATO eskaliere. Andererseits könne nach seiner Einschätzung die Ukraine den Krieg ohne eine Beteiligung der NATO nicht gewinnen. "Je länger der Krieg dauert, umso mehr zivile Opfer wird es geben", sagt Stegner, während sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung verdeutlichen, dass er sich in dieser Zwickmühle nicht wohl fühlt.
Die Opfer seien in erster Linie junge Männer, Frauen, ältere Menschen, erklärt Stegner, der nach wie vor auf eine diplomatische Lösung hofft. "Und denen helfen wir nicht mal, sich selbst zu verteidigen?", unterbricht ihn Lanz. Die Diskussion dreht sich im weiteren Verlauf mehr und mehr im Kreis.
Wie sehr der Krieg uns in Deutschland und in Europa betrifft, stellt dann Sabine Fischer nochmals klar. "Wir hängen da voll mit drin. Auf diesem fürchterlichen Schlachtfeld entscheidet sich nicht nur die Unabhängigkeit der Ukraine, sondern auch sehr viel für uns", sagt die Osteuropa-Expertin.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist es keine angenehme Sendung für Ralf Stegner. Doch es kommt noch schlimmer, als Lanz die Russland-Politik der SPD letzten Jahre thematisiert. Der Talkmaster schaltet nun voll in den Angriffsmodus, rutscht auf die Stuhlkante und näher an den ihm gegenübersitzenden Stegner heran.
"Der größte Gaslobbyist Deutschlands heißt wie?", fragt Lanz ziemlich provokant. Stegner weiß natürlich, dass Gerhard Schröder gemeint ist. Dieser habe seit 2005 kein politisches Amt mehr, winkt Stegner ab und wirkt langsam ziemlich genervt: "Das ist doch albern." Lanz lässt aber nicht locker. Er thematisiert als nächstes die Stiftung Klima- und Umweltschutz MV von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.
"Warum macht man das?", fragt Lanz. "Es war falsch, das zu machen", antwortet Stegner. "Warum macht man das?", fragt Lanz ein weiteres Mal. "Ich habe das nicht gemacht", antwortet der sichtlich genervte Stegner, der die Kritik aus der Opposition schließlich sogar als Satire bezeichnet.
Erlöst wird Stegner erst, als Tichon Dsjadko aus Georgien zugeschaltet wird. Der TV-Journalist war aus Russland geflohen, als sein unabhängiger Nachrichtensender "Dozhd" im März den Betrieb einstellen musste. "Als Journalist werde ich nicht einen Hund als Katze bezeichnen. Ich nenne einen Krieg einen Krieg", erklärt er.
Damit verstößt er gegen die offizielle Sprachregelung des Kremls, der die russische Invasion nach wie vor als Spezialoperation bezeichnet. Und alleine deshalb seien die Sanktionen schon wirksam, erklärt Clemens Fuest. "Ich denke, es war erstmal wichtig, dass den Menschen in Russland durch die Sanktionen klar wurde, dass das nicht eine Spezialoperation ist, sondern ein massiver Krieg", sagt er.
Dann blickt der Wirtschaftsexperte in die nahe Zukunft. Fuest rechnet mit einer Rezension in den USA und mit wirtschaftlichen Problemen in China aufgrund von Corona-Lockdowns. "Diese Probleme werden bei uns ankommen und die Schwierigkeiten, die wir jetzt durch die Ukraine haben, noch verschärfen", sagt Fuest. Das Ergebnis könnte eine Stagflation in Europa und Deutschland sein.
"Den Höhepunkt unseres Wohlstands haben wir hoffentlich nicht hinter uns. Aber der Zuwachs wird geringer ausfallen, das befürchte ich", sagt der Wirtschaftsexperte zum Abschluss einer Talkrunde, die nicht wirklich Hoffnung machen konnte, dass sich die allgemeine Lage in den nächsten Monaten bessern wird.