Deutschland rätselt noch über Sinn und Nutzen der von den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin überraschend beschlossenen "Osterruhe". Und natürlich steht da auch Markus Lanz nicht hinten an. Mit dabei sind folgende Gäste:
Die Ministerpräsidenten haben sich mit der Kanzlerin in der Nacht zum Dienstag geeinigt. Mit dementsprechend wenig Schlaf ist Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil Markus Lanz zugeschaltet. Aus seiner Sicht seien die Beschlüsse "sehr positiv" und das Treffen sei eigentlich ganz gut gewesen, bei früheren Treffen sei die Stimmung schon "deutlich gereizter" gewesen. 13 Monate Corona "Das bleibt bei keinem von uns nur in den Klamotten, das geht unter die Haut."
Gestern hätten sie sich "gut geeinigt". 15 Stunden mit sieben Stunden Pause "soviel Einigkeit kann es nicht gegeben haben", sagt Lanz, außerdem sei die Beschlussvorlage ganz anders gewesen als das Ergebnis, "und das sehe ich als etwas Positives an." Also entweder haben alle Beobachter einen falschen Eindruck, oder Stephan Weil könnte nach seiner Politkarriere auch im Schauspiel Geld verdienen.
Die Oster-Ruhe sei "kein Lockdown, sondern eine kurze, harte Intervention, um die dynamische Spitze zu brechen". Damit sollen die Voraussetzungen für weitere Maßnahmen, auch lokal angepasste, geschafft werden. Es ist viel Hoffnung, die man in die Ostertage plus Gründonnerstag setzt. Man müsse eine "sehr ernstzunehmende Infektionslage" zusammenbringen mit einer Bevölkerung, die sage "So, jetzt ist auch mal gut, ich kann nicht mehr". Das sei "ein politisches Kunststück".
Weil überrascht mit der Aussage: "In Europa gibt es keine politische Ordnung, die besser durch die Pandemie gekommen ist", aber Mallorca und nicht Urlaub im eigenen Bundesland hält er "für einen großen Fehler der Regierung". "Bisher haben wir noch nach jeder Reisewelle ein Problem mehr in Deutschland gehabt."
Die stellvertretende "Welt"-Chefredakteur Robin Alexander kann "die Begeisterung von Herrn Weill nicht teilen und sie überrascht mich auch". Erregt liefert sich dann ein Battle mit dem unaufgeregt bleibenden Weill darüber, dass die Ministerpräsidentenkonferenz beschließt, was eigentlich der Bundestag beschließen wollte.
Stefan Kluge, Direktor der Intensivmedizin vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, sieht das etwas milder: "Die generelle Stoßrichtung ist richtig – über Details kann man diskutieren." Er berichtet von der Station: "Wir haben ein ausuferndes Infektionsgeschehen mit einer aggressiven Variante." Die britische Mutation habe das Ur-Virus quasi verdrängt. "Ich glaube, wir unterschätzen alle diese britische Variante", sie sei zwischen 50 - 70 Prozent infektiöser. Gastgeber Lanz hat ein neues Wort aufgeschnappt: "Mütend" (Kofferwort aus "müde" und "wütend") und wirft es in die Runde. Und der Arzt gibt zu, dass er genau das sei, wenn er Demonstrationen ohne Abstand und Maske wie in Kassel sehe.
Mütend ist auch die promovierte Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin – allerdings wegen der Beschlüsse. "Ich bin nicht sicher, ob es irgendeine Person in diesem Land gibt, die denkt: 'Das sind aber tolle Beschlüsse'." Und sie sieht die Corona-Politik insgesamt eher skeptisch. Zum Beispiel die Schulöffnungen:
Vom Virologen Hendrik Streeck war man eigentlich immer eher eine lockere Corona-Lockerungshaltung gewohnt. Aber auch er versteht nicht, "warum man bis Gründonnerstag wartet" mit dem Lockdown und warum in der Zwischenzeit nichts passiert. Man könne zum Beispiel Hygienemodelle testen, wie es sie beispielsweise in Tübingen oder Rostock gebe. Er plädiert dafür, Wege zu schaffen, dass sich Menschen "nicht mehr im geheimen Graubereich treffen", sondern offiziell und kontrolliert zum Beispiel Konzertbesuchen nachgehen können.
Hier fängt die Kamera schonmal ein, wie Mai Thi Nguyen-Kim skeptisch guckt oder mit dem Kopf schüttelt. Und dann gibt Lanz Streeck noch die Möglichkeit, sich ein bisschen zu rechtfertigen, gegen immer wieder aufkommende Vorwürfe, dass er sehr oft falsch gelegen habe mit seinen Prognosen in der Corona-Krise. Beispielsweise mit der Aussage vom Mai 2020, dass er nicht an eine zweite Welle glaube. Da sei "grundlegend fehlverstanden" worden und er habe später auch mehrfach seine Meinung revidiert und öffentlich vor zweiter und sogar dritter Welle gewarnt, das werde aber nicht breit berichtet. "Das zählt dann gar nicht mehr", sagt der selbstbewusste Mediziner für seine Verhältnisse fast schon kleinlaut. Er habe seine Meinung geändert.
Irgendwann reicht es Nguyen-Kim dann aber und sie belässt es nicht mehr beim skeptischen Gucken. "Es ist keine Langzeitstrategie, zu früh zu lockern", das sei die Grundmathematik der Pandemie, hatte sie in der Diskussion zuvor schon gesagt. Und Streeck sei nun mal mit seiner Heinsberg-Studie und seiner Kommunikationsstrategie zum wissenschaftlichen Gewährsmann für umstrittene Lockerungen nach dem ersten Lockdown geworden. Streeck versucht abzuwiegeln, aber Nguyen-Kim bleibt hartnäckig:
Streeck entgegnet, dass er nach seiner Heinsberg-Studie mehr als 100 Medien-Anfragen bekommen habe und gibt zu: "Da war ich naiv. In der Zeit von Heinsberg war ich total überfordert, wie man mit den Medien umgeht." "Und jetzt?", fragt ihn Nguyen-Kim spitz. Mittlerweile lasse er sich beraten.
Aber Mai Thi Nguyen-Kim lässt nicht locker. In seiner Heinsberg-Studie habe er mit einer Zahl von sieben Toten gerechnet, und sei damit vor knapp einem Jahr eher am unteren Ende der Tödlichkeitsskala angekommen. In seiner ZDF-Sendung "Corona – Pandemie ohne Ende?" habe er neulich jedoch von 13 Toten gesprochen. "Dann haben sie bei der Dokumentation nicht richtig zugehört", kontert Streeck. Die Zahl 13 bezöge sich auf den gesamten Kreis Heinsberg mit rund 250000 Einwohnern, und nicht auf den die kleine Gemeinde Gangelt (rund 12000 Einwohner), in der er die Sterblichkeit für seine sogenannte "Heinsberg-Studie" berechnet habe. Das sei "wissenschaftlich korrekt" abgelaufen.
"Wissenschaftlich korrekt – da reden Sie sich doch raus!", empört sich Nguyen-Kim, "Mein Problem ist, dass die Öffentlichkeit das nie mitbekommen hat." Sie wünsche sich von einem "verantwortlichen Wissenschaftler" eine nachträgliche Transparenzmachung.
Die Sendezeit ist dann aber um und Markus Lanz scheint ganz froh zu sein, dass die Auseinandersetzung unter seinen Gästen nicht weiter eskalieren kann, auch wenn er den einen klassischen Lanz-Schlusssatz an Mai Thi Nguyen-Kim richtet: "Lass uns das gerne bei anderer Gelegenheit vertiefen."
So lang will sie nicht warten. Als der Abspann läuft, sieht man wie sie sich Streeck zuwendet und auf ihn einredet. Leider ohne Zuschauer.