Nina Chuba steht auf der Bühne und atmet zum ersten Mal an diesem Abend kurz durch. Sie schaut in die Menge und stellt fest: "Ihr seid ein bisschen erschöpft wegen der Hitze." Sie klingt verständnisvoll, doch auch sie scheint den Eindruck zu haben, dass die Stimmung nach ein paar Liedern noch zu verhalten ist.
An Nina liegt's nicht. Sie ist von Sekunde eins an präsent. Sie hat Power, sie gibt Vollgas. Zu Beginn des Auftritts war "Nina" ertönt, und wenn sie "Wer ist wieder da?" ins Publikum ruft, um als Antwort ihren Namen zu hören, muss man unweigerlich ein wenig grinsen.
Nina mag eine kurze Pause eingelegt haben, doch weg war die 25-Jährige, die seit zweieinhalb Jahren auf der Überholspur Karriere macht, nicht. Sie hat 2022 mit "Wildberry Lillet" Tiktok auf den Kopf gestellt, mehr als 160 Millionen Mal wurde das Lied auf Spotify mittlerweile gestreamt.
2023 veröffentlichte sie ihr erstes Album "Glas" und bewies, dass sie das Zeug dazu hat, mehr zu sein als ein One-Hit-Wonder. "Mangos mit Chili" und "Ich hass dich" marschieren beim Musikstreamingdienst mittlerweile auch in Richtung Neunstelligkeit.
Davon losgelöst wird sie immer präsenter. Nicht nur auf Social Media, wo sie das Game bis zur Perfektion beherrscht, sondern auch in der medialen Öffentlichkeit. Im Herbst nimmt sie an Joko Winterscheidts "Wer stiehlt mir die Show?" teil. Viel größer kann ein TV-Publikum in Deutschland nicht werden.
All das zählt nur bedingt, wenn Künstler:innen live auf der Bühne stehen. Und genau das tut Nina zurzeit. Sie tourt durch Deutschland, spielt im Sommer noch ein paar Open Airs und nimmt Anlauf für 2025. Zum ersten Mal in ihrer Karriere hat sie für nächstes Jahr die größten Hallen des Landes gemietet.
In dieser Woche in München wird früh klar, dass es für Nina noch kein Selbstläufer ist, dass die Stimmung auf ihren Konzerten durch die Decke geht. Wobei ihr Auftritt auf dem Tollwood auch ein Sonderfall ist.
Das altehrwürdige Konzertzelt, in dem sie spielt, mag Kultcharakter haben, es ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die am schlechtesten belüftete Konzertvenue des Landes. Bei 30 Grad Außentemperatur fühlt sich's drinnen an wie 45, das Atmen fällt schon vor Beginn schwer.
Die Getränkestände sind maximal unpraktisch vorne neben der Bühne aufgebaut, das Münchner Publikum ist per se meist zurückhaltender als das in anderen Städten und irgendwie stehen heute viel zu viele Eltern mit drei- bis fünfjährigen Kindern auf den Schultern im Weg und verhindern zu Beginn nicht nur gute Sicht, sondern auch ein bisschen mehr Action.
Das allerdings kratzt Nina nicht. Sie beginnt zu zündeln, im sprichwörtlichen, nicht im wörtlichen Sinne. Sie ruft zum Moshpit auf und stürzt sich, umringt von ihren Securitys, selbst rein. 20 Minuten später stürmen ihre Sicherheitsleute mit ihr vom Seiteneingang des Zeltes herein – plötzlich steht die Sängerin auf einem kleinen Podest mitten im Publikum.
Das wirkt. Und wie. Plötzlich springt der Funke über.
Bei "Femminello" spürt man zum ersten Mal, welche Wucht ihre Songs live entfalten können, und natürlich muss sie diese Highlights noch dosiert einsetzen. Nina hat erst ein Album draußen, ein paar weitere Lieder folgen gerade, ihre Setlist ist noch nicht ausgeprägt genug, um 90 Minuten Dauerfeuer zu garantieren.
Doch all das ignoriert sie weg, weil sie Lied für Lied noch selbstbewusster zu werden scheint. Auch sie merkt vermutlich, wie die Masse bei "Randali" schon viel zu gut mitsingen kann, wenn man bedenkt, dass das Lied an diesem Abend offiziell noch gar nicht erschienen ist. Und als sie das Publikum fragt, ob die Leute "auch jemanden haben, den ihr richtig scheiße findet", wird aus dem Zündeln ein Zünden und das Musikzelt brennt.
"Ich hass dich" ist DAS Lied an diesem Abend, noch vor "Wildberry Lillet". Weil's zum kollektiven Ausrasten führt, weil plötzlich tausende Menschen ihre Wut auf wen auch immer für drei Minuten entladen können. Für diesen einen Moment ist's wie eine Massentherapie für junge Leute, in der man den Frust über all die Idioten da draußen gen Zeltdecke schreit.
Was Nina in ihren Liedern transportiert, spricht der Gen Z oft aus der Seele. Sie singt über Träume und Depressionen, nervige Mitmenschen und wundervolles Verliebtsein, das Verlorensein im Erwachsenwerden und einmal auch, natürlich, über den Traum vom Leben an der Küste von Catania. Das funktioniert auch live ganz hervorragend, um für Emotionen aller Art zu sorgen.
Gut anderthalb Stunden steht Nina auf der Bühne und stellt eindrucksvoll unter Beweis, wie wandelbar sie schon jetzt ist. Sie ist die Rampensau bei "Randali", sie kann's gefühlvoll bei "Nicht allein" und dancehallt gute Laune unters Publikum mit "Ich glaub ich will heut nicht mehr gehen".
Sie wirkt dabei verwirrend abgeklärt. Als sie ihre Band vorstellt, betont sie, dass eine der Bläserinnen "erst 22 Jahre alt" ist. Das ist schon funny, wenn's eine 25-Jährige sagt. Erfrischend emotional wurde sie 60 Sekunden vorher, weil zu ihrer Crew auf der Bühne auch ihr bester Freund gehört.
Nina kommt, besser ist das in diesem Zelt, mit ein wenig Konfetti und ohne Feuerwerk aus. Sie braucht keinen Outfitwechsel und keine übertriebene Choreo, nur zwischendurch mal ein Handtuch. "Es tropft", sagt sie im Lauf des Abends und wischt sich über Gesicht und Arme. "Ich erspare euch Details."
Oder, um es mit ihrer "Randali"-Line zu sagen: "Die Fliese klebt, die Decke tropft. Wie kann das so gemütlich sein?"