Das Kult-Musical "Hamilton" kommt nach Deutschland. bild: stage entertainment/johan persson
Vor Ort
07.10.2022, 08:4207.10.2022, 10:49
"Hamilton" ist nicht nur ein Musical – es ist ein Mythos. Nachdem das Stück über den Werdegang des amerikanischen Gründervaters Alexander Hamilton 2015 am Broadway in New York gestartet war, war die Begeisterung so groß, dass manch ein Fan sogar 988 Dollar an der Abendkasse für eine Karte bezahlte. Eine bessere Investition gab es nicht mal an der Wall Street.
Ich selbst sah "Hamilton" das erste Mal vor ein paar Jahren in London am Victoria Theater, zwar nicht in der Originalbesetzung, aber auch auf Englisch. Und obwohl ich nicht jedes Wort des englischen Rap-Feuerwerks verstand, war ich begeistert von dem Musical. Wer jetzt mehr zum Inhalt des Stücks wissen will: hier entlang.
Und jetzt soll all das auf Deutsch klappen.
Deutscher Rap trifft Musical: Kann das gut gehen?
Mit großen Erwartungen, einiger Skepsis und dementsprechend nervös besuchte ich die Premiere des Stücks im Hamburger Stage Theater. Ein bisschen hatte ich Angst, mir das Erlebnis des englischen Stücks durch die deutsche Version kaputt zu machen.
Denn ich war der Meinung: Ein Stück wie Hamilton, das bereits perfekt von vorne bis hinten ist, in dem jedes Wort, jeder Reim, jede Anspielung sitzt – so etwas kann man mit einer Übersetzung nur zerstören.
Vor allem, dass die erste fremdsprachige Adaption von "Hamilton" in Deutschland stattfinden sollte, erschien mir rätselhaft: Wie nur soll man die zwar schöne, aber umständliche deutsche Sprache, die berühmt ist für ihre langen Wortschöpfungen, in ein Rap-Musical basteln? Ein Musical, das von seinen prägnanten Reimen lebt?
Die Vorfreude im Saal war jedenfalls groß – bereits vor Beginn brandete Applaus auf. Man merkte: Viel Überzeugungsarbeit muss der deutsche "Hamilton"-Cast gar nicht mehr leisten. Die Vorstellung wurde getragen von der Begeisterung über das Original. Es schien, als hätten nicht wenige Anwesende "Hamilton" bereits auf Englisch gesehen.
Hamilton (2. v. re.) mit seinen revolutionären Freunden LaFayette, Hercules Mulligan und John Laurens.bild: stage entertainment/johan persson
Kleine Schwächen, aber insgesamt überraschend gut
Gleich am Anfang fielen mir bereits einige Übersetzungen auf, die im Vergleich zum Original etwas schwach wirkten: In Aaron Burrs Rap-Part, in dem er gesteht, dass er Hamilton am Ende töten wird und damit gleichsam das Ende vorwegnimmt, aber auch einen enormen Spannungsbogen aufbaut, sagt er im Englischen: "I’m the damn fool who shot him". Im Deutschen bleibt davon ein schwaches: "Und ich habe ihn einfach erschossen."
Die Zeile im Kult-Song "My Shot" wurde von "I just got one shot" zu "Ich habe nur einen Schuss".
Die Zeile im Kult-Song "My Shot" wurde von "I'm not going to throw away my shot" zu "Ich habe nur diesen einen Schuss". Diese leicht schiefe Wortwahl fielt selbst Zuschauer:innen auf, die das englische Original nicht gesehen hatten.
Etwas aufgefangen wurde diese Übersetzung mit der folgenden Zeile "Ich bin jung, scharf und geladen" – im Englischen "I’m young, scrappy and hungry". So wird wiederum die Anspielung auf den Schuss wieder aufgegriffen, in dem darauf angespielt wird, dass Hamilton so geladen und voller Spannung wie eine Waffe ist und in den Krieg ziehen will.
Alles in allem war die Übersetzung ins Deutsche aber ein voller Erfolg – und ein wahrer Kraftakt. Drei Jahre lang arbeitete der Schöpfer von "Hamilton", Lin-Manuel Miranda, mit dem Musicalautor und Liedtexter Kevin Schroeder und dem Berliner Rapper Sera Finale an dem Text für das deutsche Stück. Dabei wurde nicht nur auf Grammatik und Satzbau geachtet, sondern auch auf Metrik, Inhalt, Sprachstruktur, Anspielungen und Melodien.
Die lange Zeit, die für die Übersetzung investiert wurde, hat sich gelohnt: Auch auf Deutsch bleiben die Witze, Anspielungen und der Stil erhalten. Die deutsche Version von "Hamilton" gefiel selbst dem Schöpfer Lin-Manuel Miranda so sehr, dass er verkündete: "You haven't lived until you've heard 'Satisfied' rapped in German!"
Einige der Zuschauer:innen hatten Probleme, der Story inhaltlich zu folgen.
Der Vorteil, den Song "Zufrieden" im Deutschen zu hören, ist außerdem, dass man meist mehr versteht als im Englischen. Trotz deutscher Sprache hatten einige der Zuschauer:innen Probleme, der Story inhaltlich zu folgen, da im ersten Teil sehr viele Personen eingeführt werden und sich die Ereignisse quasi überschlagen. Erst ab dem zweiten Teil konnten diese wieder einsteigen. Dem Unterhaltungswert des Musicals tat das aber keinerlei Abbruch.
Auch der deutsche Hamilton brilliert
Die Darsteller:innen und Tänzer:inenn des Stücks waren fast alle stimmlich wie schauspielerisch überragend. Vereinzelt hörte man Kritik, der brasilianische Hamilton-Schauspieler Benét Monteiro wäre zu jung, man würde ihm die Rolle des erfolgreichen Gründervaters nicht abnehmen.
Dies mag teilweise zutreffen. Dennoch hat es seinen Charme, dass Hamilton nicht als cooler Held dargestellt wird, sondern als junger Mann voller Ehrgeiz, der kämpft, zweifelt und auch scheitert. Und der Wert darauf legt, auch dann noch von seinem Umfeld positiv wahrgenommen zu werden, wenn er gerade unbeliebte politische Entscheidungen durchboxt.
Die Hauptfigur Alexander Hamilton wird von Benét Monteiro gespielt. Bild: www.imago-images.de / imago images
Auch King George, dessen Auftritt das Publikum herbeifieberte, wurde mit großem Applaus begrüßt. Dieser König, gespielt vom Niederländer Jan Kersjes, schafft es tatsächlich, mit seiner Gestik, Mimik und einer guten Portion Wahnsinn ebenso köstlich zu unterhalten wie in der englischen Version. Fun Fact: Sein Kostüm war mit 150 Arbeitsstunden das aufwendigste der ganzen Produktion.
Lediglich Thomas Jefferson schafft es bei all der grandiosen Konkurrenz nicht ganz, in Erinnerung zu bleiben und sich ebenso abzuheben wie seine Kolleg:innen.
So divers war eine Musicalbühne wahrscheinlich noch nie
Auch das Setting im Stage Theater ist stimmig: Das schlichte und vielseitig nutzbare Bühnenbild aus Holz kam wahrscheinlich einigen Zuschauer:innen bekannt vor – was daran liegt, dass es das Original war. Dafür wurde die Ausstattung in acht Schiffscontainern quer über den Ozean geschifft und so binnen vier Wochen nach Deutschland geschafft.
Da auch die Musik, gespielt von zehn Personen im Orchestergraben vor der Bühne, dem Original ins Nichts nachstand, hatte ich schnell das alte "Hamilton"-Feeling.
Der komplette deutsche Cast von "Hamilton".Bild: www.imago-images.de / imago images
Was für viele Musicalbesucher:innen ungewohnt sein dürfte, ist, dass die Schauspieler:innen auf der Bühne fast alle People of Colour sind. Die 34 Castmitglieder stammen dabei aus 13 verschiedenen Nationen.
So stehen nicht nur Musical-Darsteller:innen aus aller Welt auf der Bühne, sondern auch aus anderen Branchen, wie beispielsweise der als "Redchil" bekannte MC aus der Rap-Szene sowie die Berliner Sängerin Ivy Quainoo in ihrer Rolle als Eliza Hamilton.
Damit ist "Hamilton" nicht nur musikalisch ein wahrer Meilenstein für die Musical-Branche in Deutschland – sondern auch durch die Besetzung der Schauspieler:innen.