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"The Monday Talks": Aufklärung über Gewalt gegen Frauen auf Social Media

Alina Kuhl ist feministische Aktivistin und teilt ihr Wissen auf Social Media, ihren Talkrunden und in ihrem Podcast.
Alina Kuhl ist feministische Aktivistin und teilt ihr Wissen auf Social Media, ihren Talkrunden und in ihrem Podcast.Nazan Arslan
Interview

"Gewalt beginnt mit einem Witz" – Aktivistin mit klarem Aufruf an Männer

Alina Kuhl klärt auf Social Media mit ihrem Account "The Monday Talks" über Gewalt gegen Frauen auf. Im Interview mit watson spricht sie über strukturelle Gewalt, Täter-Opfer-Umkehr, den Mythos der "Male Loneliness Epidemic" und warum Veränderung aus der Gesellschaft heraus kommen muss.
19.05.2025, 08:1119.05.2025, 15:38
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Alina kennt die Strukturen hinter geschlechtsspezifischer Gewalt sehr gut. Sie hat als Datenanalystin für eine NGO gearbeitet, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzt. Außerdem arbeitet sie seit vielen Jahren ehrenamtlich für verschiedene Hilfetelefone für häusliche und sexualisierte Gewalt.

watson: Alina, du informierst zum Thema Gewalt gegen Frauen. Mit Erfolg: Dein Instagram-Kanal ist rasant gewachsen. Hat diese Form der Aufklärung bisher gefehlt?

Alina Kuhl: Gewalt gegen Frauen betrifft sehr viele Menschen und ich glaube, deswegen ist mein Kanal auch so schnell gewachsen: Es gibt viele Betroffene, aber gleichzeitig kaum zugängliche Informationen. Alles, was ich erzähle, ist nicht neu – die Fakten existieren längst. Aber in kurzen, prägnanten Videos aufbereitet, erreicht es Menschen auf eine niedrigschwellige Art. Und wenn ich Fälle teile, merken viele erst: "Ich bin kein Einzelfall – das ist ein strukturelles Problem."

Wo beginnt für dich Gewalt gegen Frauen?

Nicht erst bei körperlicher Gewalt. Meistens fängt es viel früher an – mit sexistischen Kommentaren, Beleidigungen oder gesellschaftlichen Strukturen, die Gewalt ermöglichen. In Beziehungen beginnt häusliche Gewalt oft mit Isolation: Freundeskreis und Familie werden abgeschnitten, Selbstzweifel aufgebaut. Auch sexualisierte Gewalt beginnt nicht mit der Tat selbst – sondern mit der gesellschaftlichen Normalisierung von Vergewaltigungswitzen oder dem Wegsehen. Gewalt beginnt da, wo wir zulassen, dass sie wachsen kann – durch unsere Passivität.

"Frauen sind auch single, aber sie verfallen deshalb nicht in Gewalt. Sie bauen sich Freundschaften und Netzwerke auf."

Oft wird betroffenen Frauen der Vorwurf gemacht, sie hätten "zu lange geschwiegen". Wie erlebst du in deiner Arbeit die Täter-Opfer-Umkehr?

Wir müssen anerkennen, dass Täter nicht irgendwelche Monster sind – sondern ganz normale Menschen, mitten in unserer Gesellschaft. Sie sind nicht "nur" Täter, sondern oft beliebt, engagiert, charmant. Gerade das macht es schwer, ihr Verhalten kritisch zu benennen. Aber es gibt Warnzeichen – sexistische Sprüche, Schuldzuweisungen. Wir alle kennen solche Männer und es ist wichtig hier im Alltag einzugreifen. Wenn jemand einen sexistischen Witz macht, reicht es manchmal schon, zu sagen: "Das war jetzt sexistisch." Wenn genug Menschen sich trauen, etwas zu sagen, entsteht eine kritische Masse.

Aus dem Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland 2023 geht hervor, dass alle drei Minuten eine Frau häusliche Gewalt erlebt, außerdem nehmen alle Formen der Gewalt gegen Frauen zu. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr?

Ich glaube schon, dass es schlimmer wird – auch durch den gesellschaftlichen Rechtsruck, der fast immer mit Frauenfeindlichkeit einhergeht. Gleichzeitig höre ich oft: "Die Zahlen steigen nur, weil mehr angezeigt wird." Das stimmt aber nicht – gerade Femizide werden ohnehin erfasst, immerhin handelt es sich um Mord. Und viele Betroffene zeigen Gewalttaten nicht an, weil die Verurteilungsraten so niedrig sind.

Was können Frauen konkret tun, wenn sie Angst in ihrer Beziehung haben oder bereits Gewalt erleben?

Als ersten Schritt würde ich immer empfehlen, mit einer Frauenberatungsstelle oder dem Hilfetelefon zu sprechen. Das bundesweite Hilfetelefon erreicht man unter 116 016 – es ist rund um die Uhr erreichbar, anonym und kostenlos. Es gibt dort auch eine Chatfunktion, für alle, denen Telefonieren schwerfällt. Auch lokale Beratungsstellen sind super hilfreich – sie wissen, wo es sichere Anlaufstellen gibt und helfen beim Sortieren: Was sind meine Optionen? Wie kann ich mich darauf vorbereiten, zu gehen? Wie kann ich gerichtsfeste Beweise wie ein Tagebuch sichern?

Gerade bei sexualisierter Gewalt ist auch die Frage, ob man Anzeige erstatten will.

Wenn man sich für eine Anzeige entscheidet, wird man von den Beratungsstellen auch auf den Gerichtsprozess vorbereitet. Sie erklären, wie ein Verfahren abläuft und welche Rechte man hat. All das ist wichtig – gerade weil viele gar nicht wissen, dass sie als Opfer juristisch nur Zeugin sind, außer man tritt als Nebenklägerin auf.

"Es wird erwartet, dass Frauen von Anfang an wissen, ob ein Mann gefährlich ist – wir sollen pauschal misstrauisch sein. Aber wenn wir das laut sagen, ist es wieder falsch."

Während Gewalt gegen Frauen zunimmt, werden Männer anscheinend einsamer, aktuell geistert ja auch der Begriff "Male Loneliness Epidemic" im Internet herum.

Ich finde den Begriff furchtbar. Diese sogenannte "Epidemie" bezieht sich ja oft nur auf das Fehlen einer Partnerschaft – nicht auf tatsächliche Einsamkeit im sozialen Sinne. Frauen sind auch single, aber sie verfallen deshalb nicht in Gewalt. Sie bauen sich Freundschaften und Netzwerke auf. Viele Männer glauben, sie müssten nur erfolgreich, reich und attraktiv sein – dann stünden ihnen Frauen zu. Das Problem ist, dass viele Männer nicht gelernt haben, wie man sich auf Augenhöhe begegnet.

Thema Netzwerke: Warum ist deine Talkreihe "The Monday Talks" so erfolgreich?

Es zeigt einfach, wie groß der Bedarf nach sicheren, feministischen Räumen ist. Die Themen – Konsens, Safe Spaces, feministische Revolutionen – sind seit langer Zeit immer noch dieselben. Viele kommen zu meinen Talks allein, lernen sich kennen, vernetzen sich. Das ist wunderschön. Und für Menschen, die beispielsweise aufgrund von Traumata Schwierigkeiten mit vollen Räumen haben, gibt es jetzt auch den Podcast "The Monday Talks – Gespräche unter Freund*innen". Das war mir wichtig.

Was müsste deiner Meinung nach passieren, damit es wieder weniger Gewalt gibt?

Aufklärung ist das A und O. Es braucht Gesetze, ja – aber Vergewaltigungen, Femizide und Körperverletzung sind illegal und passieren trotzdem. Solange Täter mit ihrem Verhalten in der Gesellschaft durchkommen, wird sich nichts ändern. Männer, die wegen Vergewaltigung verurteilt wurden, haben oft immer noch Freundeskreise, die sie unterstützen.

Täter haben also meistens nicht so viel zu befürchten.

Ja, was auch fehlt, ist das Bewusstsein, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt. Bei Gewalt gegen Frauen denken viele: "Das betrifft mich nicht." Dabei passiert es alle drei Minuten. Und trotzdem wird es oft als Einzelfall wahrgenommen.

Einerseits ist die Rede von Einzelfällen – andererseits kennt jede Frau von klein auf die Warnungen vor fremden Männern.

Genau. Und wenn wir sagen: "Männer sind potenziell gefährlich", fühlen sich viele sofort angegriffen. "Not all men", heißt es dann. Aber wenn etwas passiert, heißt es plötzlich: "Warum bist du überhaupt mit dem mitgegangen? Männer sind halt so." Dann wird erwartet, dass Frauen von Anfang an wissen, ob ein Mann gefährlich ist – wir sollen pauschal misstrauisch sein. Aber wenn wir das laut sagen, ist es wieder falsch.

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