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Schüler Anjo Genow droht deutschen Politikern wegen Präsenzunterricht unter Corona

Anjo Genow - RECHTE KLÄREN!!!!
Anjo Genow ist selbst noch Schüler in Berlin. Er will die Politik zum Handeln bewegen.Bild: privat
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"Das Nicht-Handeln der Politik muss Konsequenzen haben": Schülervertreter Anjo Genow über den Kampf für mehr Corona-Sicherheit an Schulen – zur Not per Streik

19.01.2022, 16:56
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In Österreich haben Schüler und Schülerinnen am Dienstagmorgen gestreikt. Viele von ihnen wollen erst wieder am Schulunterricht teilnehmen, wenn die Politik sich um bessere Covid-Schutzmaßnahmen für den Präsenzbetrieb kümmert. Was im Nachbarland schon hochgekocht ist, brodelt auch in Deutschland: Vielen Schülern macht das Mantra der Politik, die Schulen offen zu halten, angesichts der Rekord-Infektionszahlen und mangelnder Schutzkonzepte Sorgen.

Unter den Hashtags #WirStreiken und #NichtMitUns werden Forderungen nach einem Schülerstreik in Deutschland laut. Einer der Wortführer ist dabei Anjo Genow. Der Landesschülervertreter aus Berlin ist 17 Jahre alt und wird dieses Jahr sein Abitur machen. Bei watson erzählt er, wann es zum Streik an deutschen Schulen kommen könnte und wie der aussehen wird.

Er sagt:

"Wenn es dazu kommen sollte, werden viele Schulen leer bleiben."

watson: Am Dienstag sind Schüler und Schülerinnen in Österreich in den Streik gegangen. Sie verlangen unter anderem Sicherheitskonzepte statt Präsenzunterricht um jeden Preis. Wie findest du das?

Anjo Genow: Was in Österreich passiert, ist ein wichtiges Signal. Ich finde, auch bei uns in Deutschland muss das Nicht-Handeln der Politik endlich Konsequenzen haben. Seit Beginn der Pandemie stehen sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen und Konzepte zur Verfügung, so hat zum Beispiel das RKI die S3-Leitlinien mit verfasst, die dem Schutz von uns Schülerinnen und Schüler dienen sollen. Doch diese Konzepte werden nicht umgesetzt. Es heißt weiterhin nur 'Die Schulen müssen offen bleiben', aber es ist nicht in Sicht, bis zu welchen Inzidenzen das gelten soll. Wir, die betroffenen Schülerinnen und Schüler, haben bildungspolitische Probleme wiederholt angesprochen und Lösungen vorgeschlagen, die von der Politik ignoriert wurden – und das inzwischen seit fast zwei Jahren.

"Ich selbst bin geimpft, doch viele jüngere Schüler und Schülerinnen sind es nicht oder dürfen noch nicht. Und gerade unter diesen jüngeren Jahrgängen gibt es große Sorgen vor einer Infektion."

Das muss Konsequenzen haben, sagst du. Welche?

Seit dem Wochenende verfassen wir einen offenen Brief mit Forderungen an die Politik, der derzeit durch die Reihen der Schülervertretungen geht. Wenn diese ihr Feedback gegeben haben, werden wir den unterschriebenen Brief zusammen mit einer Frist an die entsprechenden Ministerien senden. Wir hoffen natürlich, dass darauf reagiert wird, dass die Politik sich unserer Sorgen annimmt und Unterrichts-Möglichkeiten neben dem – derzeit als kompromisslos propagierten – Präsenzunterricht eröffnet. Passiert das nicht, rufen wir zu Schulstreiks auf.

"'Die Schulen müssen offen bleiben' heißt es weiterhin, aber es ist nicht in Sicht, bis zu welchen Inzidenzen das gelten soll."

Was werden die Hauptforderungen in diesem Brief sein?

Unsere Hauptforderungen sind, dass die vom RKI empfohlene S3-Leitlinie an deutschen Schulen umgesetzt wird. Zudem wollen wir, in Zeiten der Pandemie von einer Präsenz- zu einer Bildungspflicht wechseln, sodass Schüler und Schülerinnen in den Distanzunterricht gehen können, wenn sie sich im Präsenzunterricht unwohl und unsicher fühlen. Schulen, die diesen Distanzunterricht nicht leisten können, müssen unbedingt stärker politisch unterstützt werden. Es gibt zahlreiche Konzepte, wie beispielsweise Unterstützung von Studierenden oder Sozialarbeitenden an die Schulen zu bringen. So könnte die Umsetzung des digitalen Unterrichts erleichtert werden. Diese Möglichkeiten sind da. Man muss sie nur nutzen und fördern. Das sind nur einige unserer Forderungen, die wir in dem offenen Brief später diese Woche veröffentlichen werden.

"Es ist aber auch schade, dass Kinder und Jugendliche sich selbst schützen müssen, weil die Politik es nicht tut."

Momentan gilt Präsenzpflicht. Wie geht es den Schülern damit, angesichts der steigenden Neuinfektionen?

Ich selbst bin geimpft, doch viele jüngere Schüler nicht. Und gerade unter diesen jüngeren Jahrgängen gibt es große Sorgen vor einer Infektion. Erst vergangene Woche habe ich als Schülervertreter eine Umfrage an meiner Schule gestartet, die zeigte, dass ein Großteil der Schüler und Schülerinnen sicher im Distanzunterricht lernen möchte – und zwar sofort. Nicht erst, nachdem ein Corona-Ausbruch bereits auf dem Weg ist und die Ämter Quarantäne oder Isolation vorschreiben.

Könnten die Schulen denn so schnell in den Digitalunterricht wechseln?

Schulen haben nach zwei Jahren Pandemie sehr individuelle Konzepte entwickelt, wie Unterricht in der Pandemie stattfinden kann. Ich erinnere mich zumindest, dass wir an der Schule einmal einen Heizungsausfall hatten. Von einem auf den anderen Tag konnten alle Schüler und Schülerinnen gut von zu Hause unterrichtet werden. Da fragt man sich schon: Warum ist das jetzt nicht erwünscht, wenn es um die Pandemie geht?

Die vorerkrankte Schülerin Yasmin aus Hagen machte zuletzt Schlagzeilen, weil sie aus Angst vor einer Infektion nur im Freien am Unterricht teilnahm. Warum hast du dich mit der 13-Jährigen solidarisiert?

Die Politik propagiert, dass Schulen sicher sind. Doch wir erleben genau dort Infektionen. Dieser Widerspruch ist unheimlich frustrierend und belastend. Es ist für mich auch unverständlich, dass vorerkrankte Kinder wie Yasmin immer noch in unsichere Schulen gezwungen werden. Kein Kind sollte aus Protest im Winter frierend draußen lernen müssen.

Hat die Politik versäumt, den Kindern und Jugendlichen in der Pandemie zuzuhören?

Definitiv. Es ist aber schön zu sehen, dass wir wenigstens viel Solidarität aus den Reihen der Eltern, des medizinischen Personals und auch der Pädagogen erfahren. Auch dort gibt es Stimmen, die mehr Schutz an Schulen und Kitas fordern. An einer entsprechenden Petition dazu habe ich ebenfalls schon im Dezember mitgewirkt.

Streik hingegen ist eines der letzten Mittel in Interessenskonflikten.

Und es wäre schade, wenn es so weit kommen muss. Es ist aber auch schade, dass Kinder und Jugendliche sich selbst schützen müssen, weil die Politik es nicht tut. Und es ist schade, dass keiner mit uns spricht, dass der Diskurs um Bildungsfragen immer über statt mit uns geführt wird.

"Unser Ziel ist ja nicht ein Streik, sondern, dass endlich auf unsere Forderungen eingegangen wird."

Wie würde euer Streik denn konkret aussehen?

Wenn es dazu kommen sollte, werden viele Schulen leer bleiben. Wir könnten uns vorstellen, mit der Hilfe von Bildungs-Youtubern Lehrinhalte für die Streiktage zu schaffen. Auch um noch einmal deutlich zu machen: Wir wollen lernen – nur eben in einem sicheren Rahmen. Eigentlich wäre es Aufgabe der Politik, uns das zu ermöglichen.

Also keine Demos auf der Straße?

Auf die Straße gehen ist nicht ausgeschlossen. Große Demonstrationen halte ich in Anbetracht der aktuellen Infektionslage weniger für angebracht. Ich sage nochmal: Im besten Fall ist das alles gar nicht nötig. Denn unser Ziel ist ja nicht ein Streik, sondern, dass endlich auf unsere Forderungen eingegangen wird.

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