Egal wie zielstrebig uns das Umfeld oft vorkommt, die meisten Menschen starten genau wie wir mit unterbezahlten, anstrengenden oder bekloppten Nebenjobs ins Erwachsenenleben.
Nicht schlimm, findet unsere Redakteurin. Weil all diese Erfahrungen am Ende für etwas zu gebrauchen sind (zum Beispiel für einen Artikel bei watson). Die sieben Jobs, die sie am meisten prägten, teilt sie hier.
Zu Schulzeiten jobbte ich als Sprechstunden(aus)hilfe auf 400-Euro-Basis in einer Hausarztpraxis. Das bedeutet, dass ich mit 15 Jahren mein erstes EKG geschrieben habe. Dazu gehört mitunter auch, haarige Männerbrüste zu rasieren oder schwere Frauenbrüste anzuheben, um die Elektroden richtig in Kontakt zu bringen. Teenager-übliche Befindlichkeiten? Waren danach weg.
Meine Hauptaufgabe war es aber, Drängler:innen im Wartezimmer beruhigen. Interessanterweise waren es immer Menschen mit klitzekleinen Beschwerden, die den meisten Druck machten, während Leute, die aus offenen Wunden am Kopf bluteten, dazu neigten "Nönö, das geht schon noch" zu faseln, kurz bevor sie umfielen.
Das Schlimmste: Hatte jemand lange gewartet, wollte er oder sie danach besonders ausführlich behandelt werden. Eine Abwärtsspirale.
Als ich 17 Jahre alt war, sprach mich eine Frau vor der Schule an, weil ihr Chef Stockfotos machen wollte. Das sind allgemein gehaltene Fotostrecken, die von Bildagenturen dann zum Beispiel an Medien verkauft werden. Das Thema diesmal lautete: Jugendliche auf dem Jahrmarkt.
Zwei Mädels, drei Jungs und ich sollten zusammen eine Clique imitieren, die Herzschmerz und Spaß auf dem Hamburger Dom erlebt. "Das klingt besser als Brust rasieren!", dachte ich. War auch so.
Sechs Stunden konnte ich kostenlos Pommes und Zuckerwatte essen, Karussell und Autoscooter fahren und bekam zum Schluss noch ein Gänseblümchen von einem cuten Typen geschenkt (Jaja, nur fürs Foto). Ich war im siebten Himmel – und 150 Euro reicher!
Nach dem Abi stellte sich mir die Frage: Was tun, wenn man im Leistungskurs Geschichte und Deutsch gewählt hatte? Also wurde ich Ballonverkäuferin in Disneyland Paris.
Meine Verkaufsstrecke war zum Schloss und zurück, ein ganzes Jahr lang, acht Stunden am Tag. Und zwar sowohl im Hochsommer, als auch bei Minustemperaturen, während derer ich oft befürchtete den einen oder anderen abgeschnürten Finger zu verlieren.
Das Gehalt lag zwar nur bei 1400 Euro brutto, reichte aber für ein WG-Zimmer, Pizza und die Hauspartys, die jeden Abend bei einem anderen "Castmember" stattfanden und regelmäßig völlig eskalierten.
Das Beste war es aber, Teil dieser aufgeputschten Hyper-Disney-Atmosphäre zu sein: aufgerissene Augen, die das Schloss erblicken, knubbelige Kinderhände, die Micky bei der Parade winkten – irgendwo stand ich jeden Tag wieder heulend vor Rührung in der Ecke und hielt meine bunten Ballons in den Wind.
Da ich Lächeln nun professionalisiert hatte, finanzierte ich mein Studium als Hostess über eine sehr kleine Agentur, die nur fünfzehn Frauen vermittelte. Meine einzige Bedingung: Keine Promo, keine Messen.
In dieser Zeit lag ich häufig morgens um fünf Uhr in einem heißen Rheumabad, weil Füße und Rücken nach der Arbeit schmerzten. Ich erhielt zehn Euro die Stunde und nahm kistenweise Essensreste mit, sodass ich mich die Woche über von Canapés ernährte.
Ich prüfte Rotweine auf Kork, nahm Kaschmir-Mäntel entgegen und wappnete mich gegen sexuelle Belästigung, die nicht kam. Entgegen dem Klischee erlebte ich weniger unangenehme Annäherungsversuche als in jeder Eckkneipe. Womit ich dafür zurechtkommen musste? Einem Feueralarm auf einer 30er-Jahre-Party und Helmut Schmidt auf der Suche nach Kautabak.
Fun-Fact: Den allerkürzesten Rock bekam ich ausgerechnet im Namen der Regierung ausgehändigt, zum Sommerfest des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler.
Obwohl ich in der Gastro eine absolute Niete bin, arbeitete ich in der Wintersaison zudem als Glühweinverkäuferin am Berliner Gendarmenmarkt. Dieser Weihnachtsmarkt kostet Eintritt und zieht eher gut betuchtes Publikum an.
Mein Chef, der zwei Stände betrieb, zahlte uns 12 Euro die Stunde, weshalb ich zur Weihnachtssaison High Heels gegen Thermoweste tauschte und Grog, Glühwein und Punsch ausschenkte, wie der verrückte Hutmacher Tee am Nicht-Geburtstag.
Was an Fehlbestellungen zurückging, wurde von uns noch während der Arbeitszeit durch Deglutition vernichtet (was heißt: Wir haben's selbst gesoffen). So blieben wir auch bei Kälte und durstigem Geschrei von gleich vier Tresenseiten tiefenentspannt. Ein Lifestyle, der langfristig sicher zu Leberversagen geführt hätte.
Mit Mitte zwanzig habe ich einen prominenten, älteren Ü80-Schriftsteller kennengelernt, der mir 200 Euro anbot, nur dafür, dass ich ihm seine eigenen Gedichte vorlese. So viel Geld für 15 Minuten "Arbeit" war natürlich ein Knaller – zudem lud er mich jedes Mal danach groß zum Essen nahe seiner Wohnung in Berlin-Mitte ein, um zu plaudern.
Einen Ausflug zu seinen verstorbenen Idolen, den Gebrüdern Grimm, haben wir auch mal unternommen. Doch brach ich das Ganze ab, als er mich bat, ihn auch für Geld zu Theaterstücken zu begleiten. Nicht, weil er zudringlich gewesen wäre (im Gegenteil, er war distinguiert), aber: Ich kam mir zunehmend wie ein Parasit vor, der sich an seiner Altherren-Eitelkeit bereicherte – schlichtweg unanständig.
Weniger umstritten, doch genauso seltsam, war mein Nebenjob als Maskottchen der Lufthansa. Für eine Reihe Sommer-Events der Firma sollte eine Person in ein Kranich-Kostüm schlüpfen und zu scheppernden Hits aus den Lautsprechern den Bürzel schwingen. Diese Person war ich.
Das Kostüm war warm und schwer, der Sichtschlitz auf Kinnhöhe, weshalb ich gerade noch meine überdimensionierten Plastik-Füße sehen konnte, als ich schwankend wie ein Seebär auf die kreischenden Kinder zutanzte.
Dieser Job war im Prinzip für mich gemacht, weil ich oft eh zum Fremdschämen bin, aber leider jagte meine Version des "Federviehs auf Molly" vielen der Kinder einen Schrecken ein. Ein Mädchen flüchtete angesichts meiner rudernden Arme sogar weinend unter einen Tisch.
Die meisten anderen starrten mich einfach nur regungslos an und tasteten nach der Hand ihrer Eltern. Am Ende dieser Woche nahm mir der Auftraggeber das Kostüm mit eisigem Schweigen ab und buchte mich niemals wieder.