Videos von Frauen in Baggy Pants und Spaghetti Straps, die kunstvolle und einzigartige Schmuckstücke an der Werkbank fertigen: so sah mein Algorithmus auf Tiktok die letzten Wochen aus.
Dabei hatte ich unter "Goldschmied" eher das Bild von einem Urgestein an Mann, mit schwerer Lederschürze und gebeugtem Rücken im Kopf gehabt, und den Beruf – warum auch immer – als aussterbend abgestempelt. Weit gefehlt! Denn auf Social Media teilen jetzt besonders junge Menschen die Leidenschaft für ihr Handwerk.
Deswegen habe ich mit Chiara Bülow gesprochen. Sie macht eine Ausbildung zur Goldschmiedin und teilt ihren Arbeitsalltag auf Social Media.
Watson: Chiara, wie hast du gemerkt, dass du Goldschmiedin werden möchtest?
Chiara Bülow: In der Schule belegte ich Fächer wie Töpfern und stellte fest, dass mir das praktische Arbeiten viel Spaß macht. Zusätzlich habe ich auch Abitur in Kunst gemacht. Nach dem Abschluss dachte ich dann darüber nach in die Zahnmedizin zu gehen, da mich das Modellieren sehr interessierte, aber so richtig überzeugt hat mich der Beruf nicht. Meine Mama hat dann den Vorschlag mit dem Goldschmieden gemacht, weil man da auch modelliert und es viele Elemente enthält, die mir gefallen.
Wie sah der Bewerbungsprozess aus?
Ich musste erstmal viel recherchieren. Ich hab mich bei etwa 30 bis 35 Betrieben beworben: Bin persönlich vorbeigefahren, habe Mails verschickt und angerufen. Ich habe meinen Bewerbungen neben Lebenslauf und Anschreiben auch immer Skizzen beigelegt, damit man einen Eindruck zu meinen Ideen und meinem Stil bekommt. Von zwei Betrieben wurde ich dann zum Probearbeiten eingeladen.
Zwei Einladungen bei über 30 Bewerbungen – irgendwie überrascht mich das, wo doch immer die Rede vom Nachwuchsmangel im Handwerk ist.
Für die Ausbildung zur Goldschmied:in ist die Nachfrage mittlerweile riesig. Seit einem Jahr fragen mich immer wieder Interessierte, wie ich meinen Platz gefunden habe, ob ich Tipps zur Suche habe. Aber da gehört wohl Glück und auch Fleiß dazu – man muss viele Bewerbungen schreiben und vielleicht auch in eine andere Stadt ziehen.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als du dich für diesen Beruf entschieden hast?
Die meisten Reaktionen waren sehr positiv. An der Schule wurde hauptsächlich Aufklärungsarbeit zum Studium gemacht. Über Ausbildungen haben wir kaum geredet – da würde ich mir wünschen, dass Ausbildungen gesellschaftlich gesehen nicht unter dem Studium stehen. Ausbildungen sind auch anstrengend und anspruchsvoll. Vielen ist gar nicht bewusst, dass es den Beruf noch gibt. Ein Kommentar unter einem meiner Tiktok-Videos lautete mal "ich dachte, Goldschmieden gab es nur im Mittelalter". Die Leute denken oft, dass man da in seinem Hüttchen sitzt und mit einem Hammer schmiedet. Das mit dem Hammer stimmt zwar wirklich – aber heutzutage ist der Beruf moderner.
In welchen Bereichen würdest du sagen, ist das Goldschmieden moderner geworden?
Wir lernen natürlich das klassische Handwerk mit dem Hammer. Aber es wird inzwischen auch ganz viel mit 3D-Druck und CAD-Programmen gearbeitet. Dahingehend entwickelt sich der Beruf stetig weiter.
Es wirkt nach außen hin wie ein männlich dominierter Beruf. Ist das so?
In dem Jahrgang meiner Berufsschulklasse sind wir nur Frauen. In meinem Alter kenne ich auch nur einen Goldschmied. Wenn ich mein persönliches Umfeld in dem Beruf einschätzen müsste, würde ich sagen, die Geschlechterverteilung liegt bei 20 zu 80 Prozent, mit Frauen in der Mehrheit. Der Goldschmied-Content, den man gerade so viel auf Tiktok sieht, ist auch hauptsächlich von jungen Frauen produziert.
Mein Feed war zuletzt voll von Goldschmied-Content. Erlebt der Beruf gerade aufgrund von Tiktok ein Revival?
Ich würde sagen, ja. Als ich vor einem Jahr mit meinem Account angefangen habe, gab es kaum aktuellen deutschen Content dazu. Vor allem keine Aufklärung zum Beruf, so wie ich sie mache. Ich habe auch immer wieder von anderen Goldschmied:innen die Rückmeldung bekommen, dass sie es schön finden, dass der Beruf gerade präsenter ist. Ich vergleiche es gerne mit dem Hype um Book-Tok – jetzt gibt es auch Goldschmied-Tok.
Mit Schmuck lässt sich auch sehr ansprechender Content erstellen.
Ja, und eine persönliche Note einbringen. Jeder gestaltet seinen Schmuck und seinen Content anders. Obwohl das alles in die Kategorie Goldschmied fällt, gibt es eine große Vielfalt, was wirklich schön ist.
Was möchtest du in Zukunft mit dem Beruf erreichen?
Ich habe noch ein Jahr in der Ausbildung und viele Ideen, was danach passieren könnte – aber noch nichts festgelegt. Möglich wäre es, danach an der Akademie der Bildenden Künste noch ein Studium zu machen. Dort gibt es einen Studiengang "Schmuck und Gerät", der etwas spezifischer ist. Es wäre für mich auch eine Option, mit Tiktok loszustarten und mich auf Social Media zu fokussieren. Vielleicht sammle ich aber auch erstmal Arbeitserfahrung in einem Betrieb. In fünf bis zehn Jahren, wenn ich in Richtung Selbstständigkeit gehen möchte, könnte ich auch noch den Meister machen.
Was rätst du jungen Menschen, die überlegen, diesen Beruf zu machen?
Man muss sich darüber bewusst sein, dass die Ausbildung nicht wie Schule ist. Wir sind Montag bis Freitag acht Stunden pro Tag am Arbeiten. Wir sitzen an der Werkbank, sägen, feilen und hämmern. Die ersten paar Monate tut der Körper davon wirklich weh, vor allem Rücken und Schultern. Aber man kommt da rein, wenn man Durchhaltevermögen hat. Außerdem sollte man genau arbeiten können, einen kleinen Hang zum Perfektionismus haben. Das lernt man auch durch die Ausbildung – aber man weiß ja, ob sowas einem grundsätzlich liegt oder nicht.
Gibt es auch was, was dich nervt oder dir fehlt?
Die Ausbildungsvergütung ist im Vergleich zu manch anderen Ausbildungen etwas gering. Das ist natürlich ein bisschen schade. Ich mache das aber hauptsächlich, um das Handwerk zu erlernen und nicht, um damit das große Geld zu verdienen. Dann hätte ich mir einen anderen Beruf ausgesucht. Ansonsten macht es mir aber wirklich viel Spaß.
Hast du schon eine Warteliste von Freund:innen und Familie, die sich selbstgemachten Schmuck von dir wünschen?
Ja, natürlich. Wenn ich sage, dass ich eine Ausbildung zur Goldschmiedin mache, sind manche Leute richtig begeistert und wollen, dass ich abgefahrene Sachen für sie mache. Eine Person meinte mal: "Wooow, kannst du ein Goldschwert für mich machen?". Für meine Mama und meinen Bruder habe ich auch schonmal was gemacht, aber mehr Aufträge habe ich privat bisher nicht angenommen.
Es wurde ja sicherlich auch schon Schmuck, den du in der Ausbildung angefertigt hast, gekauft. Wie fühlt sich das an, wenn jemand deine Kreation aussucht?
Die Schmuckstücke, die ich im Rahmen meiner Ausbildung anfertige, sind alles Kreationen meines Chefs und ich führe diese dann handwerklich aus. Es ist wirklich ein schönes Gefühl zu sehen, dass jemand das Schmuckstück, das ich hergestellt habe, gerne trägt und glücklich damit ist. Da steckt viel Arbeit drin. Manchmal sehe ich die Kund:innen dann auch noch in der Stadt und versuche zu erkennen, ob sie meinen Schmuck gerade tragen.
Bevor nun alle damit loslegen, ihre Bewerbungen fertig zu machen, noch was Technisches: Gibt es einen Unterschied zwischen Gold- und Silberschmied:in?
Ja, das sind zwei verschiedene Ausbildungen. Silberschmied:innen beschäftigen sich mehr mit Gefäßen und Tellern, es handelt sich insgesamt um größere Gegenstände und Geräte. Dabei wird mit Silber, Messing und Kupfer gearbeitet. Beim Goldschmieden wird sich auf Schmuck konzentriert und man lernt die präzise Arbeit hauptsächlich mit Silber, Gold und Platin.