Jede:r Mensch erinnert sich wohl ein sexuelles Erlebnis, das gar nicht mal so geil war, sondern eher cringe, unangenehm oder einfach langweilig. Doch nicht alle wagen es, solche Negativ-Erlebnisse direkt anzusprechen. Im Gegenteil: allzu oft wird geschwiegen – und durchgezogen.
Aus peinlichem Empfinden heraus. Der Angst, das Gegenüber zu verletzen. Oder weil man schlicht nicht weiß, wie man das Thema auf den Tisch bringen soll. Wie lernt man "Nein" zu sagen, wenn etwas beim Sex nicht passt?
Wir haben darüber mit Mignon Kowollik gesprochen. Sie arbeitet als Sexual-Coach für Paare und Singles in Hamburg und warnt davor, Abtörner aus falsch verstandener Wohlerzogenheit zu ignorieren.
"Beim Sex Dinge zu tun, die nicht gefallen, kann belastend sein", sagt sie. Ohne Lust mitzumachen, führe "langfristig oft zu Unzufriedenheit oder innerem Druck." Das kann dir und deiner Beziehung schaden.
Für die eigenen erotischen Wünsche und Grenzen einzustehen ist aber leichter gesagt als getan. Wer merkt, dass er sich damit schwertut, darf sich Zeit lassen, erklärt die Expertin: "Um 'Nein' sagen zu lernen, ohne dabei jemanden vor den Kopf zu stoßen, ist ein achtsamer und beherrschter, kommunikativer Ansatz entscheidend."
"Ein erster Schritt ist, die eigenen Grenzen klar zu definieren", erläutert sie. Dafür sollte man sich am besten bewusst Zeit nehmen und darüber nachdenken, "welche Praktiken oder Dynamiken sich unangenehm oder nicht stimmig anfühlen." Stört dich die zu zögerliche Berührung? War der Dirty Talk zu vulgär? Oder magst du generell nicht an diesem Körperteil angefasst werden?
"Diese Erkenntnis bildet dabei die Basis, um in der Partnerschaft darüber zu sprechen", sagt Kowollik und führt aus, wie das am besten geht:
Zum Beispiel: "Ich habe gemerkt, dass ich mich beim Sex im Freien unwohl fühle, aber ich würde gerne ausprobieren, ob ein weit offenes Fenster währenddessen schön sein könnte."
Diese Herangehensweise lenke den Fokus auf das "Ich-Empfinden", bietet eine gemeinsame mögliche Lösung an und – wichtig! – "es macht dem oder der Partner:in keine Vorwürfe", erklärt der Sex-Coach.
Schüchternen Menschen kann es außerdem helfen, Gespräche über sexuelle Grenzen nicht im Eifer des Gefechts zu führen, weiß Kowollik aus der Praxis. Es klingt zwar komisch, sei aber "oft effektiver, wenn es in einem ruhigen Moment außerhalb der sexuellen Situation stattfindet. Statt dem Schlafzimmer empfehle ich einen neutralen Ort in der Wohnung zu wählen, wie zum Beispiel den Essenstisch."
Solche Orte sind nicht so emotional aufgeladen. Zudem könne es helfen, den oder die Partner:in seinerseits zu fragen, was ihm oder ihr wichtig wäre. "Dies fördert gegenseitiges Verständnis und zeigt, dass es um die gemeinsame Intimität geht", sagt die Expertin.
Fällt dir das immer noch schwer, mache dir klar, dass du nicht sofort ein Riesenthema ansprechen musst. Das Nein-Sagen lässt sich auch in kleinen Schritten üben. Ein kurzes "Bisschen mehr links bitte" oder "Vorsicht, das war zu fest" kann schon helfen. Kowollik: "Kleine, bewusste Abgrenzungen sind ein wichtiger Fortschritt und stärken das Selbstbewusstsein." Es fällt dann zunehmend leichter und leichter, etwas zu sagen.
"Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass es vollkommen legitim ist, Grenzen zu setzen", erklärt Kowollik weiter. Niemand sollte sich aus falscher Höflichkeit genötigt fühlen, Dinge über sich ergehen zu lassen.
Dennoch sei sexuelles Feedback zu geben eine sensible Angelegenheit, gibt die Expertin zu und verweist hierbei auf eine Studie des Seitensprung-Portals Ashley Madison. Darin gaben nur 33 Prozent der Befragten an, dass ihr:e Hauptpartner:in positiv auf Feedback beim Sex reagieren, während Sekundärpartner:innen zu 82 Prozent kein Problem mit Kritik hätten.
Das zeige deutlich, "dass, wenn Sex im Vordergrund steht, eine Kommunikation über die dazugehörigen Wünsche weniger kritisch aufgenommen wird als in einer Beziehung", erklärt Kowollik. Oder anders gesagt: je größer die Gefühle, umso schneller sind diese verletzt.
Aus Angst vor Streit lieber nichts zu sagen, sei aber keine Lösung. "Wahre Nähe und Intimität entstehen durch das Gefühl, respektiert und verstanden zu werden – nicht durch das Übergehen der eigenen Bedürfnisse", mahnt die Sexualberaterin. Umso wichtiger sei es, die wohlwollende Kommunikation über Wünsche "oder eben auch Aktivitäten, die nicht gefallen" zu lernen.