Deutschlands Zögern bei der Lieferung schwerer Waffen ist richtig, sagen der frühere Außenminister Sigmar Gabriel und Brigadegeneral a.D., Erich Vad. Bei "Maybrit Illner" prallten am Donnerstagabend zwei Fronten aufeinander. Denn die restlichen drei Gäste der Sendung sind der Meinung: Deutschland muss der Ukraine viel mehr helfen – daran hängt es ab, wie die Ukraine bestehen wird.
Das waren Maybrit Illners Gäste:
Bis zum 9. Mai, dem russischen "Tag des Sieges" gegen Nazi-Deutschland, wird die "heiße Phase" des Krieges in der Ukraine vorbei sein, glaubt die deutsch-ukrainische Publizistin Marina Weisband. Wie ein Sieg bis dahin genau aussehen werde, wisse nur Putin, sagt Sicherheitsexpertin Claudia Major. Doch die Kontrolle der Ostukraine sei offenbar das Ziel.
Doch wenn die Ukraine dieser Offensive standhalten soll, brauche sie mehr Waffenlieferungen. "Es hängt auch an uns, wie die Ukraine bestehen wird", so die Verteidigungsexpertin. Für Erich Vad, Brigadegeneral a.D., ist die Lieferung von schweren Waffen wie Kampfpanzern "ein ganz anderes Ding". Die Diskussion empfinde er als eine "Scheindebatte", denn das Beschaffen, die Militärausbildung, der Transport, und die Ersatzteilversorgung für solche Waffen, gehe nicht von heute auf morgen.
"Es hat keine miliärische Relevanz für den laufenden Konflikt in den nächsten Wochen und Monaten", sagt er. Im Hintergrund schüttelt Weisband – deren ukrainische Familie enttäuscht über die deutsche Reaktion ist – nur den Kopf.
Sigmar Gabriel, der frühere Bundesaußenminister und Vize-Kanzler, unterschreibt dagegen Vads Meinung. Statt "Scheindebatte" spricht er von einer "Leichtigkeit" mit der "selbsternannte Militärexperten wie damals Hobbyvirologen" über die Lieferung von schweren Waffen diskutieren. Weiter verteidigt er die Kritik aus FDP und Grünen an Bundeskanzler Scholz, der überhaupt nicht alleine über Lieferungen entscheide, sondern der Bundessicherheitsrat dafür zuständig sei. Er versucht Vorwürfe an die Zurückhaltung von Scholz weiter abfedern zu lasssen: "So wie ich das verstanden habe, stimmt er alle seine Entscheidungen mit dem Weißen Haus und der Nato ab", erklärt Gabriel.
Dabei würden die USA nun schwere Waffen liefern, auch Großbritannien, Niederlande und Belgien seien dazu bereit, während Deutschland einzig einen Ringtausch mit Slowenien organisiert, erläutert der CDU-Politiker und Oberst a.D. der Bundeswehr, Roderich Kiesewetter, der sich deutlich gegen Vad und Gabriel positioniert.
"Ich habe den Eindruck, dass Teile der Sozialdemokratie die Ukraine schon aufgegeben haben," unterstellt er. Weisband ergänzt: "Unsere europäischen Verbündeten sind sauer auf uns." Major hat den Eindruck, dass "Irritation und Unverständnis" bei den Partnern herrsche, schließlich habe Bundeskanzler Scholz Ende Februar von einer Zeitenwende gesprochen, nach der nicht genug Entschlossenheit folgte.
Ein Atomkrieg sei jedoch wahrscheinlicher, wenn Deutschland der Ukraine nicht helfen, glaubt Kiesewetter. Putin würde so den Eindruck bekommen, dass der Westen nicht genug unternehme. Auch Major appelliert erneut daran, den Krieg vom Ende her zu denken: Es liege in den sicherheitspolitischen Interessen Europas, dass Russland den Krieg nicht gewinne.
Gabriel rechnet nicht damit, dass der Krieg beendet sei, selbst wenn Russland Ziele im Donbass erreicht habe. Der Konflikt werde immer wieder aufflammen, nicht einmal einen Waffenstillstand halte er derzeit für realistisch.
Dann redet sich Val, der ehemalige Berater von Kanzlerin Merkel, regelrecht in Rage. Den Krieg vom Ende her zu denken, bedeute für ihn nicht der militärische Sieg einer Seite, sondern ein baldiges Ende. Er warnt vor Russland als Nuklearmacht, weshalb man mit schweren Waffen vorsichtig sein und auch bei der Kriegsrhetorik aufpassen müsse. Deswegen sei es richtig, dass Deutschland nicht sagt, man wolle den Sieg der Ukraine. Weisband und Kiesewetter schütteln nur verdutzt mit dem Kopf.
Das müsse doch das Ziel sein, findet Weisband. "Ein Sieg der Ukraine bedeutet nicht, dass Russland besiegt wird, sondern nur dass sich russische Truppen endlich wieder hinter die Grenzen bewegen", so die Publizistin und Grünen-Politikerin. Kiesewetter bedauere es zutiefst, dass die deutsche Kriegsrhetorik in der Ukraine als so enttäuschend wahrgenommen werden. Es sei ein fatales Signal, dass 12,5 Millionen Ukrainer derzeit auf der Flucht sind, während sich Deutsche weigern, klar auszusprechen, dass der Sieg der Ukraine das Ziel sei. Vad dreht die Rhetorik in die ganz andere Richtung: Ihn enttäusche, wie die Ukraine mit Deutschland umgehe.
Damit bietet er Illner die perfekte Brücke für den Streit der Woche: Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk gegen die SPD. Viele Sozialdemokraten hätten jahrelang eine russland-freundliche Politik geführt, lauten die Vorwürfe, nun haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, und auch Gabriel selbst Fehler zugegeben.
Melnyks Vorwürfe, dass Steinmeier ein Interessenvertreter Russland sei, sei jedoch "eine Unverschämtheit" gewesen, kritisiert Gabriel deutlich. So wie er zuvor Scholz verteidigte, nimmt er nun auch den Bundespräsidenten in Schutz. Steinmeier habe sich zuvor gemeinsam mit Merkel besonders für die Ukraine eingesetzt, nach Lösungen gesucht, damit sie weiter mit Erdgas versorgt wird.
Doch die SPD habe lange an Friedenssicherung durch wirtschaftlichen Austausch geglaubt. Gabriel denkt, dass Deutschland zu lange überzeugt von einer Entspannungspolitik war und Putins Absichten unterschätzt habe. Man habe sich auf Russland als zuverlässigen Gaslieferanten verlassen – das sei ein Fehler gewesen.
"Mit einer Überheblichkeit" habe Deutschland Energiepolitik unter Merkel betrieben, kritisiert auch Kiesewetter. Doch auch in Zukunft werde man mit Russland sprechen müssen, darüber sollte man sich keine Illusionen machen, so Gabriel. Und Kiesewetter im gewohnte Politiker-Sprech: Auch die CDU muss ihre Hausaufgaben machen.